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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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Dezember 1897
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Nr. 286
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#1177

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WcldkU Mtmtz dm IS.KMder 1897

Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.

Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Zwinger-raße 7,

Erscheint tL-tttz mit Ausnahme der Sonn- !u.
Feiertage. «bouuemevtKpreiS mit dem wöchent-
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stratz» 7, entgegen.
Expedition des „PMzer Volksblstt".
Heidelberg Zwingerstraße 7


mitbestimmte, ob bei neuen, Arbeitszeit ersparenden
Maschinen < «lernte oder ungelernte Arbeiter zu ver-
wenden s' n., wollen die Unternehmer jetzt das Recht
haben, r ach ihrer Wahl Accordlöhne an die Stelle
von Zeitlöhnen zu setzen. Sie verlangen freie Hand
i? l cr Besetzung der Maschinen und fordern von der
Gewerkschaft die Zusicherung, daß sie ihre Mitglieder
anweiSt, collegialisch neben Nichtgewerkschaftleru zu
arbeiten. Sie fordern auch das Reckt des Ueber
zeitarbeitenS bis zu 40 Stunden innerhalb vier Wochen,
während die Gewerkschaft auf gänzlich« Abschaffung
der Ueberzeit-Arbeit hinarbeitet. Auch die Verkürzung
der Arbeitszeit lehnen die Unternehmer unter Hinweis
auf die Concurrenz des Auslandes, insbesondere
Deutschlands, ab. Da alles das, was man in Eng-
land bisher als berechtigte Functionen der TradeS-
UuionS betrachtete, nicht mehr statthaben soll, haben
die Gewerkschaftsvertreter mit einer Kundgebung an
die Gewerkschaftsmitglieder sich gewendet und dieselben
zu einer Abstimmung über die Forderungen der
Unternehmer aufgefordert, dabei aber keinen Zweifel

auf ihrem Standpunkt beharren, so dürsten die vo
den Unternehmern bereits erlassenen Kündigungen
demnächst in Kraft treten, wodurch mehr als 10000»
Arbeiter ihre Beschäftigung verlieren würden. 0
Schließlich hat auch noch der Verband der britischen
Eisenbahner, der zur Zeit etwa 92 000 Mitglieded
zählen soll, mit Forderungen um Lohn-Erhöhung un
Arbeitszeit Beschränkung an die Eisenbahn-Gesellschaste
sich gewandt. Letztere haben sich bereit erklärt, mi
ihren Arbeitern darüber zu verhandeln, nicht ab«
mit dem Verband. Einem Antrag des letzter« aufr
Vermittelung hat das HavdelSamt nicht fiattgegeben.
In Folge dessen rüsten beide Theile zum Kampf,
dessen Ausbruch aber noch keineswegs feststeht. In
den Kreisen der festländische» Arbeiter werde» die
großen Kämpfe ihrer ArbeitSgenofsen jenseits des
Canals mit großem Interesse verfolgt, zumal Sieg
oder Niederlage der englischen Arbeiter voraussichtlich
nicht ohne Rückwirkung auf das Festland bleiben
werden.

Arbeiterksmpse in England.
Der große Kampf im englischen Maschinenbau-
gewerbe, der nun schon 22 Wochen dauert, geht wei-
ter. Die vom Handelsamt einberufene Conferenz
zur Schlichtung des Streites ist formell zwar nur
vertagt worden; aber die Vertagung kommt dem Ab-
bruch der Verhandlungen gleich. Ursprünglich drehte
sich der Kampf nur um die Ersetzung des bisherigen
NeunstuudentageS durch den Achtstundentag; nach und
Aach hat sich der Streit aber zu einem Kampf um
das ganze GewerkvereinSiystem ausgewachsen. DaS
Wesentlichste der englischen Trade-UnioniSmuS besteht
darin, das an die Stelle der Einzelübereiukunft, des
Einzel Vertrages, der Collectiv Vertrag der Gewerk-
schaft gesetzt wird, und seit Jahrzehnten sind die eng-
lischen Gewerkschaften gewohnt, mitbestimmend in den
Produktionsprozeß eiuzugreifen. Jetzt stellen die ver-
einigten Unternehmer im Maschinenbaugewerbe die
Forderung auf, daß sie künftig nur noch mit dem
einzelnen Arbeiter zu thun haben wollen. Sie allein
Wollen das Maß seiner Tüchtigkeit, seine Verwend-
barkeit an Maschinen, seine Arbeitszeit und seinen
Lohn festsetzen. Sie wollen „Herr im Hause" sein
und künftig Einmischungen der GewerksckaftSbeamten
in den Betrieb nicht mehr dulden. Während die
Maschinenbauer-Gewerkschaft bisher Accordlöhne be-
kämpfte, die Zahl der Lehrlinge beschränkte (rin Lehr-
ling aus je drei Arbeiter), Mmdrstlöhne seftsetzte und

darüber gelassen, daß sie, die Gewerkschaftsführer,
die Forderungen für unannehmbar halten. Werden
die Forderungen der Unternehmer, wie es den An-
schein hat, verworfen, so geht der Kampf weiter. Aus
eigener Kraft werden die Maschinenbauer, deren eigene
große Fonds ziemlich aufgezehrt zu sein scheinen, den-
selben allerdings nicht lange mehr führen können.
Es wird also daraus ankommen, ob die übrigen eng
lischen Gewerkschaften mit den Maschinenbauern sich
solidarisch erklären und denselben helfen, sei es durch
Gewährung von Darlehen, sei eS durch wöchentliche
Unterstützung. Bereits wird zu diesem Zweck die
Einberufung eines besonderen Gewerkschaft CongresseS
angeregt, nachdem schon der letzte Jahres Congreß der
Gewerkschaften in Birmigham für den Zusammenschluß
aller britischen Gewerkschaften zu einem großen Abwehr-
Verband im Prirrcip sich entschieden hat. Anscheinend
rechnet man auch auf die wettere Unterstützung der
Arbeiter des Auslandes, die bisher, besonders aus
Deutschland und auch aus Oesterreich, in ungewöhn-
lich reichem Maße schon erfolgt ist.
Dabei wäre freilich zu berücksichtigen, daß auch in
der britischen Baumwoll Industrie rin großer Ausstand
bzw. eine große Arbeiteraussperrung droht, nachdem
die Arbeiter die von den Unternehmern wegen der
schlechte« Conjunctur vorgeschlagene fünfprocentige
Lohnherabsetzung abgelehnt und auch ein Schiedsgericht
verworfen haben, dafür aber in eine Beschränkung der
Production willigen wollen. Sollten die Arbeiter

Deutsches Reich.
* Berlin, 13. Dez. Laut telegraphischer Mel-
dung an das Oberkommando der Marine beabsichtig-
ten die „Charlotte", Kommandant Kapitän zar-See
Thiele und „Stein" Kommandant Kapitän z. S. Ol-
richi am 14. ds. Porte au Prince zu verlassen m»d
wird erstere nach San Domingo, letztere «ach Ha-
vannah in See gehen.
* Kiel, 13. Dez. Wie hier verlautet, werde«
neueren Bestimmungen zufolge die Schifft „Deutschland"
und „Gefion" enst am Donnerstag unter Beautzung
des Kaiser-Wilhelm Kanals nach Ostasien auSlaüfr«.
Zum Abschiedsbesuch beim Prinzen Heinrich ist P ri nx
Max von Baden hier eingetroffen.
* Müttche«, 13. Dez. Bekanntlich hat der Prinz-
regent die Benennung (nicht Ernennung) des neuen
ErzbischofeS vollzogen. Die Persönlichkeit ist noch
nicht bekannt. In der Franks. Ztg. wird dies in der
folgenden geschmackvollen Form mitgetheilt: „Die Er-
nennung eines jesuitischen von den Hofklerikalen und
dem Nuntius protegirten Ultramontanen zum Erz-
bischöfe von München ist sicher.

Deutscher Reichstag.
* Berlin, 13. Dez.
Am Bundesrathstische Reichskanzler Fürst Hohe«
lohe, die Staatssekretäre v. Posadowsky, Frhr. v.

„Doktor!" rief ihm Hilverda entgegen, indem er sich
bald im Bette aufrichtete, „ist es wahr, daß es mit meinem
Vetter schlimmer steht als mit mir? Sagen Sie mir Alles
Alles, selbst das Schlimmste!'
„Er ruht, er ist ermüdet; er bedarf der Ruhe gerade
wie Sie, um bald wieder zu genesen."
„Sie reden die Wahrheit als Ehrenmann?"
„Wie können Sie etwas anderes meinen? Hier trinken
Sie das, das wird Sie beruhigen."
Hilverda fiel erschöpft zurück; er hatte das Fieber, der
Doktor schrieb rhs, neue Medizin vor und ging dann zu
dem anderen Krankenzimmer, wo man leider seiner Hilke
noch mehr bedurfte. Am Abende zuvor hatte er Leo unter-
sucht ; äußerlich war er nie verletzt, aber der Doktor be-
fürchlete eine Beschädigung des Rückgrates; ein holländischer
Reisender, der im Hotel wohnte, erbot sich, bei dem Kranken
zu wachen. „Ach komme gegen Mitternacht zurück," sagte
der Arzt. Leo war cingeschlummert. „Ich bin noch nie so
schläfrig gewesen," sagte er scherzend, „das kommt gewiß
von dem Eisbade." Das Zimmer, worin Leo lag, war ein
kleines Kabinet auf der oberen Etage, wo man in Eile ein
Feldbett aufgeschtagen hatte; er schlief kus tief in die Nacht
hinein, dann öffnete er die Augen und sah den Doktor, der
seinen Puls fühlte, neben seinem LandSmanne und dem
Hotelbesitzer.
LM„Doktor," sing er, „warum find Sie Alle zurückgekom-
men? Ich bin ganz wohl; ich fühle Nichts als eine große
Mattigkeit! Es ist mir, als wenn ich nie mehr die Kraft
haben werde, aufzustehen, wich zu bewegen und zu leben."
„Sie müssen ruhig sein," sagte der Arzt.
„Warum denn? Ist cs nicht gut mit mir? Sagen Sie
es mir aufrichtig! Ich liebe das Leben, doch ich fürchte den
Tod nicht. Doch, wenn ich schlafen bliebe, wäre ich besorgt,
daß ich unbewußt in einer anderen Welt erwachte. Be-
wahren Sie mich davor, Doktor, das will ich nicht!"
„Es ist keine unmittelbare Gefahr, aber . .
„Das Schlimmste ist zu befürchten — ich lese es in
Ihren Augen. Lassen Sie mich nicht unvorbereitet sterben ;
jetzt kann ich die Mattigkeit noch überwinden, später viel-
leicht nicht mehr." Cr schloß wieder die Augen, während

n Melisne.
Erzählung von Melativ Iva. Aas >em ö dischen von
L- v. Heemstede-
23-
Hilverda schlief gut und wenn ihn sein Kopf und seine
Glieder nicht geschmerzt hätten, würde er sich am Morgen
vollständig wiederhergcstellt gefüllt haben. Er lag wach im
Bette und ließ alle Ereignisse des vorigen Tages aa sei-
nem Geiste vor überziehen, waS ibm nicht wenig Aerger
und Bitterkeit bereitete. Daß nun gerade im letzten Mo-
ment eine so dumme Geschichte passiren und daß von allen
Menschen in der Welt gerade Leo ihn retten mußte. Es ist
eine schlimme Sache, einem Anderen sein Leben zu ver-
danken, wenn man diesem ewige Stunden später mit der
Botschaft näher treten muß: „Ich habe Dir Deine Braut
abwendig gemacht." Hilverda fühlte das Unangenehme sei-
ner Lage in vollem Maße und es war ihm höchst peinlich,
seinen Woblthäter so kränke» zu müssen, aber was blieb
ihm übrig? Mtltane rechnete auf ihn und es war unmög-
lich, die Täuschung fortzusetzen. „Nie bin ich in eine so
verwünschte Falle gelaufen," dachte er, „Alles mißlingt mir."
Ein Kellner trat ein, um sich nach seinem Befinden zu
erkundigen.
„Ist der andere holländische Herr schon aufgestanden ?"
ftug -r.
„O nein, man hat die ganze Nacht bei ihm gewacht;
kS scheust, daß eS ihm schlechter geht als Ihnen."
Es war Hilverda Plötzlich, als wenn ei» Blitz ihm ei-
nen Abgrund zu seine» Füßen enthüllte, oder als wenn
ein Vorhang zerriß, der ihm ein Schauspiel voll Jammer
und Elend verborgen hatte- „Schlechter?" frug er mit hei-
serer Stimme. „Ist er kenn krank?"
Der Kellner sah seine unv-rze hliche Dummheit ein.
„Ich weiß es nicht, Herr! Der Doktor wird gleich hier
sein. Sie können ihn ja sragen"
„Rufen Sie gleich den Doktor oder sonst stehe ich auf."
Der Mann machte, daß er fortkam; erschreckt von dem
den Blick und der rauhen Stimme, warnte er sofort den
tor, daß der andere Kranke seiner bedürfe.

der Doktor dem Holländer ernen Wink gab, näher zu treten
Ein Lächeln spielte um die Lippen des Kranken.
„Haben Sie noch einen Wunsch ?" frug der Landsmann
besorgt und zögernd.
„Noch nicht, aber sprechen Sie mit mir, es thut mir
wohl, meine Muttersprache zu hören. Ich dachte an meine»
Vetter; der arme Mensch! wie sonderbar und excentrisch
er auch sein mag, so glaube ich doch, daß es ihm wohl leid
thun wird, mich in diese Lage gebracht zu haben."
„O lieber, junger Herr! Ich denke nicht, daß es so
schlimm sein wird. Der Doktor sagt ja selbst . . ."
„O schmeicheln Sie mir nicht mit eitler Hoffnung. Ich
fühle, wie das Leben mir langsam wie unter den Füßen
wegfiukt."
„Ist denn nichts daran zu thun ?" fragte der Holländer
den Arzt im Flüstertöne.
Dieser schüttelte traurig de» Kops. „Nichts, nichts, die
Wissenschaft ist hier ohnmächtig."
Der Kranke begann zu phantafiren. „Miliane — unsere
Villa am Lago Maggiore ist so schön — die Terrassen
find mit Blumen bepflanzt, Kunst und Natur sind da ver-
einigt. — Welchem herrlichen Winter gehen wir entgegen,
Miliane — und wenn es Sommer wird, kehren wir heim
— dann ist Kaprice ganz fertig. — O meine Braut, wie
schön ist das Leben, von der Liebe erleuchtet." Er öffnete
die Augen und ein freundliches Lächeln umspielte seinen
Mund. „Laßt mich träumen," sagte er sanft, „ich träumte
so süß von meiner Braut. Denn über vier Wochen soll
unsere Hochzeit sein, dann gehen wir «ach Italien — nicht
mehr allein — und wir vermeiden die Gletscher — v ich
bin so glückiich I"
Die Anderen konnten nicht mit trockenen Augen diese
Träumereien anhören, selbst der Doktor, in der Ausübung
seines Berufes gestählt und seine Worte kaum verstehend,
war gerührt. „Und daß solch ein Leben der Laune zweier
Wagehälse zum Opfer fallen muß!" murrte er.
(Fortsetzung folgt.)
 
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