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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 6
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Zimmern, Helen: Domenico Trentacoste
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0103

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Nr, 6

Die Aun st-Halle

85

nationalen von s895 —, rief seine Beteiligung eine
wahrhafte Aufregung in der Kunstwelt seiner Hei-
mat hervor. Sein Ruhm war wohl über die Alpen
zu seinen Landsleuten gedrungen, doch seine Werke
waren ihnen nur jenseits der Berge und des Kanals
zu erreichen gewesen. Bei dieser Gelegenheit nun
trat der seltene Fall ein, daß Kritiker und Publikum
einstimmig dasselbe Werk für das beste erklärten.
Und dicht gedrängt standen die Besucher der Aus-
stellung tagtäglich vor Trentacoste's „vErscluäu«.
Der Titel „Die Enterbte" ist dahin zu deuten, daß
dieses junge, kaum s5jährige Rlädchen eiue Waise
ist, die nichts, gar nichts, weder Obdach, noch Klei-
dung mehr besitzt, die von allem entblößt, also buch-
stäblich nackt ist. Und so hat der Künstler sie dar-
gestellt, wie sie frierend und hungrig mit einer un-
willkürlichen Geberde die Arme um ihren Körper
schlingt, solcherart bestrebt, den einzigen, ihr ge-
bliebenen Schatz, ihre Jungfräulichkeit, zu verbergen.
Wie die Gestalt, das rührend traurige Gesichtchen,
die Stellung dieses armen verlassenen Mägdleins,
das ihre noch kaum im Entfalten begriffenen Reize
keusch zu wahren sucht, wie das alles so harmonisch
stimmt und wirkt, ist eine glückliche trovata.*)
Trentaooste liebt es, seine Gestalten oder deren
Gesichtszüge zum Theil zu verstecken. Ich sah in
seinem Atelier die Figur eines jungen Mädchens,
das über einen zerbrochenen Krug weiut, wobei sie
das Antlitz mit beiden Armen bedeckt, über welche
auch noch ihr volles Haar herabfällt, so daß man
erst bei näherer Betrachtung erkennt, daß ein Gesicht
da ist. Dasselbe wäre besser sichtbar gewesen, wenn
der Künstler das Werk ein wenig höher plazirt hätte.
Das sagte ich ihm, erhielt aber die abweisende Ent-
gegnung, wer das Gesicht sehen will, könne sich ja
danach bücken.
Line liegende Figur in Lebensgröße wurde ge-
rade in Marmor ausgeführt, als ich das Atelier be-
suchte. Ls heißt „Niobe's Letzte". Soeben von den
Pfeilen Apolls getroffen, hat sie das Antlitz in den
Sand gedrückt, auf den sie darniedergestreckt wurde.
Die Attitüde ist der Inbegriff des tiefsten Schmerzes.
Den Gesühlausdruck sucht Trentaoosta überhaupt
mehr oder doch gleich stark in Geberde und Haltung
als in der Mimik darzuthun, auch hierin den Spuren
der Alten folgend, denen die Schönheit oberstes Gesetz
war. Hiervon bildet eine Ausnahme seine Büste der
Dante'schen Heldin Kia äei llolomei, über welche
seine Landsleute, die von ihren alten Traditionen
fast nichts mehr wissen und denen Sentiment über
Stil geht, in ein Entzücken gerathen sind, das sich
sogar vielfach in Gedichten und Sonetten äußerte.
So sehr ich nun auch diese Büste bewundere, auf
deren Basis die wohlbekannten Verse angebracht sind:
*) Diese Marmorskulxtur ist s. Z. in Venedig an die
Stadt Triest verkauft worden.

„Kicorckati cki me cbe son la. Kia,
Liena rni te, cll8teoimi lVlaremma —"
so muß ich doch gestehen, daß sie mir lange nicht so
zusagt, wie „Alla Fonte" und noch manch' anderes
Werk dieses Künstlers. Mir scheint hier eine nicht
eben günstige Beeinflussung durch den modernen
italienischen Geschmack vorzuliegen. Das im Atelier
befindliche Werk ist übrigens eine Replik. Das ur-
sprüngliche Modell ist von dem Londoner Maler
Long gekauft worden. Das zweite Exemplar weist
einige Aenderungen aus, die, wie nur scheinen will,
keine Verbesserungen sind. Obwohl Trentaooste die
Züge der Pia selbstverständlich idealisirt dargestellt
hat, nahm er ihnen nichts von ihrer Unregelmäßig-
keit, nichts von den Spuren, womit Kummer und
Krankheit dieses Antlitz gezeichnet haben, das von
„Zravis clum suavis" getragenen Gram, Ergebung
in schwere Ungerechtigkeit zeugt. Und diesen Aus-
druck wiederzugeben, ist dem Künstler allerdings vor-
trefflich gelungen.
Line andere Frauengestalt aus dem Reiche der
Dichtkunst, von welcher Trentaooste sich begeistert
fühlt, ist die der Ophelia. Außer einer kleinen
Bronze-Statuette, die sie Blumen streuend dar-
stellt, sah ich das in Skulptur ausgesührte Haupt
Ophelia's aus den Wellen, in denen ihr getrübter
Geist die ewige Ruhe fand. Der Künstler hat hier
den Tod poetisch ausgefaßt, diesem Ophelia-Antlitz
ist etwas Blumenhaftes geblieben, der zarte Schimmer
einer aus dem Wasser ruhenden Lotosblüthe. Die
eigenartige Behandlung des Gegenstands erinnert
an manche der phantasievollen Marmorgebilde
Nodin's. Beim Anschauen des durchsichtig bleichen
Gesichts dieses todten Mägdleins werden wir von
einem wehmüthig zärtlichen Schauer ergriffen, und
der Schöpfer dieses Werkes dünkt uns wahrlich ein
Poet mit dem Meißel; so lyrisch ist die Stimmung,
die davon ausgeht. Unter die Maßliebchen, welche
noch die Stirn umkränzen, haben sich Wasserpflanzen
gemischt, und, offenbar von eindringendem Wasser,
sind die Augen! der seitlich ein wenig geöffnet, was
den Eindruck verstärkt, daß kein ruhiges Liegen auf
den Fluchen gedacht ist, sondern ein rasches Dahin-
treiben in starker Strömung Es ist Alles in Allem
ein wunderbar schönes, wundersam ergreifendes
Bildwerk.
Unmöglich, hier auch nur die bedeutenderen Er-
zeugnisse dieses fruchtbaren Künstlers herzuzählen,
dessen Fruchtbarkeit nicht etwa aus schnelles Arbeiten
zurückzusühren ist — solche Werke, wie er sie schafft,
sind nicht rasch auszusühren — der aber viel schafft,
weil er nichts thut als arbeiten und weil sein ganzes
Sein aus die Ausübung seiner Kunst gerichtet ist.
So viel ist sicher, daß aus Trentaooste's Atelier
nie etwas hervor geht, das nicht sein bestes Können
darthut. Kein nachlässig ausgesührtes Stück wird
er jemals aus Händen geben, und in jedem zeigt
 
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