Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

DOI issue:
Juni 1897
DOI article:
Nr. 133
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0549

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Tochter von 4 Kindern, mit denen die 25jährige Ehe
des Verlebten gesegnet war, mit der tiefgebeugten
Witwe beweinen den guten Vater und Gatten. Das
Eheleben war ein herrliches; es herrschte gegenseitige
Liebe, gegenseitiges Verständniß, und beides war,
veredelt durch Betätigung reichen religiösen Lebens.
Im Januar dS. IS. feierte Dr. v. Ziegler den 85.
Jahrestag seiner Trauung; aus vieler Munde wurde
ihm zugcrufeu: aä multos annos! Jndeß anders be-
schlossen war eS in GotteS Rathfckluß. Seit langer
Zeit bereits kränkelnd, konnte er trotz der ausgesuch-
testen Mittel und Pflege nicht mehr am Leben er-
halten werden. Als er im Mai das Gesuch um
Versetzung in den Ruhestand einreichte, sprach er zu
mir: „jetzt will ich meinem Gott und meiner Familie
so recht leben." Daher seine riesenhafte Geduld in
d-r schmerzhaften Krankheit, daher der gläubige Em-
pfang der Sterbsakramente, daher sein laut ausge-
sprochener Vorsatz: von nun an will ich immer beten.
Gott hat seine Zeit abgekürzt. Als Zeichen der
Liebe, Verehrung und Dankbarkeit für die Opfer,
Sorgen und das Walten in seinem Berufe wollen
wir niederlegen das Gebet der Kirche.
Darnach trat Regierungs-Direktor Müller an'S
Grab und widmete dem verewigten Präsidenten
Namens der Beamten und Bediensteten der Kreis-
regierung einen tiefempfundenen Nachruf. Er be-
merkte u. A.:
„WaS Ziegler als CabinetSsekretär seinem König
und dem Vaterland geleistet, was er in seinen späteren
Stellungen gewirkt, das haben wir alle noch miterlebt.
Einem anderen besseren Mann mag es Vorbehalten
sein, daS reiche Leben besser zu schildern als ich;
nur ein Zeugniß sei mir anzuführen gestattet. Als
ich beim Austritt meiner gegenwärtigen Dienstes-
stellung die hohe Ehre hatte, einem hohen Staats-
würdenträger meine ergebenste Ehrerbietung zu be-
zeigen, da durfte ich aus hohem Munde folgendes
treffliche Wort vernehmen: „WaS Ihr Präsident
in seiner Stellung als Sekretär des Königs geleistet,
das weiß nur der zu würdigen, der selbst den Er-
eignissen nahe gestanden ist. Wie viel Gutes hat der
Mann gestiftet, wie viel Bedenkliches verhütet! WaS
hätte er aller thun könne», wenn er seinen
Einfluß hätte mißbrauchen wollen; aber nicht
die unbedeutendste Gunstbezeugung hat er je-
mals für einen andern verlangt, geschweige denn
für sich selber. Mit reinstem Gewissen, mit reinen
Händen ist der Mann aus eirer so hochmögenden
Stellung geschieden." Ich glaube, der hohe Herr, der

Tief erschüttert stand seine Tochter vor ihm und be-
trachtete seine verfallenen Züge. Tas war ein Schwer-
kranker, der vor ihr saß- Sein Antlitz war bleich; mitunter
flog eine jähe Röthe über dasselbe, und von Fieberschauer»
geschüttelt, erbebte der ganze Körper. Der Nthcm ging
schwer, an den magern Händen traten die Adern dick her-
vor. Und dazu der Anzug! Mitleid überkam Anna, als
sie die zerrissenen Kleider, die zerfetzten Strümpfe ansah —
Alles, was edel und weiblich an idr war, machte sich mit
einem Male geltend. Sie iah nicht «ehr den sinnlosen
Verschwender, den brutalen Tyrannen, den gemeinen Dieb,
sie sah nur einen kranken, hülflosen Greis, der ihr Vater
«ar. Sie fühlte nur das Eine: daß sie rm jeden Preis
ihm zu Hülfe kommen, ihn verbergen müsse.
„Vater!" sagte sie liebreich und legte ihm die Hand aus
die Schulter. „Komm' mit mir in das Kämmerchen neben-
an und lege Dich in mein Bett; ich bereite inzwischen ei-
nen Thee, damit Du Dich erwärmst. Komm' mit mir!"
Er sah auf zu ihr, und es zuckle über sein verwittertes
Gesicht, als er das schöne, durch selbstloses Mitleid ver-
klärte Antlitz betrachtete. „Du bist gut I" murmelte er und
folgte ihr langsam. Es war klar, er hatte seine letzten
Kräfte aufgeboten, um hierher zu flüchten. Nun, wo er sich
im sicheren Hafen zu sehen glaubte, brach sein kranker Kör-
per zusammen.
Anna mußte ihm behülflich sein, wie einem Kinde.
Willenlos ließ er Alles mit sich geschehen und sprach kein
Wort. Nur als sie einmal seinen Fuß streifte, stöhnte er
schmerzlich auf: „Wre wich die Wunde brennt!"
Erschrocken blickte sie ihn an: „Bist Du verwundet,
Vater?" Er deutete auf sein linkes Bein.
Vorsichtig löste sie ein schmutziges Tuch, mit dem sein
Fuß umwickelt war, uud entdeckte nun eine bläulich ans-
tehende Wunde, an deren Rändern geronnenes Blut klebte.
Mit schonender, zarter Hand fing sie an, die Wunde aus-
zuwaschen. Der Kranke stöhnte auf vor Schmerz, und be
fahl rhr, einzubalten. Es blieb ihr daher nichts andere»
übrig, als die Wunde mit reinem Leinen zn umwickeln und
da» Uebrige der Hand des Arztes zu überlassen.
.Ans welche Weise haft Tu Dir die Wunde z»»ezogkn?'

heute selbst als Leidtragender hier weilt, wird mir
verzeihen, wenn ich, der Geschichte vorgreifend, dieses
herrliche Zeugniß aus seinem Munde hier angeführt
habe. Aber dessen bin ich mit Ihnen sicher: wenn
einst eine Geschichte Ludwigs II. von Bayern geschrie-
ben wird, bei dessen Namen heute noch alle treuen
Bayernherzen in ehrfürchtiger Wehmuth erschauern,
dann wird auch seines treuesten Dieners Ziegler ehrend
gedacht werden.
Sodann sprach Namens des Landraths von Ober-
bc yern dessen Präsident v. Schultes. Weitere Kränze
wurden niedergelegt vom Veteranen-, Krieger- und
Kampfgenossenbund, von dem landwirthschaftlichen
KreiSausschuß von Oberbayern, vom Verein der Ober-
pfälzer in München, vom Verein für Volk-Heilstätten,
von der Handels- und Gewerbekammer, sowie vom
Philistertum und von der ActivitaS ßeS akademischen
Gesangvereins und dessen Augsburger Philisterverband
durch Herrn Justizrath Blümel.
Deutsches Reich.
* Berlin, 12. Juni. Eine Versammlung der
Maurer Berlins und der Umgegend, die von mehr
als 3000 Personen besucht war, beschloß gestern, von
einem Generalstreik abzusehen und einen par-
tiellen Streik überall zu proklamiren, wo ein Stun-
denlohn von 60 Pfg. und 9stündige Arbeitszeit nicht
bewilligt werden.
* Darmstadt, 12. Juni. Die Großherzo-
gin von Hessen reiste gestern Abend von Bukarest ab
und trifft Montag hier ein.
* München, 12. Juni. Heute Nachmittag gab
der Prinzregent Luitpold zu Ehren der Kolonialgesell-
schast eine größere Tafel, zu welcher u. A. der Ehren-
präsident der Münchener Abteilung, Prinz Albert,
Johann Albrecht von Mecklenburg, die Vorstandschast
der deutschen Kolonialgesellschaft und die der Mün-
chener Abteilung, ferner Minister Frhr. v. Crailsheim,
Major v. Wißmanu geladen waren.

Ausland.
* Zürich, 9. Juni. Bekanntlich betreibt die Nord-
ostbahn als „Nebengeschäst" auch die Dampfschifffahrz
auf dem Zürichsee und Bodensee. Diese Unternehm-
ungen würden nun laut Botschaft über den Eisen-
bahnrückkauf als „Nebengeschäfte" vom Bunde nicht
zu übernehmen sein, da dieselben mit dem Bahn-
betriebe nicht in engem Zusammenhänge stehen. Die
Bewohnerschaft der Ufer des Zürichsecs, die nun be-
fragte sie den Kranken, als er sich einigermaßen beruhigt
batte. Scheu sah er mit seinen fiebcrglänzenden Augen um
sich. „Ich will eS Dir leise sagen, ganz leise," flüsterte er
„Berrathe mich aber nicht- Vor ein Paar Tagen — wir
saßen unter einer Hecke — merkte einer, daß ich einen Schatz,
bei mir führte, und wollte mir ihn rauben. Ich war aber
stärker, al- er — damals ging es mir noch gut — uud er
hatte getrunken; er schlug mit seinem eiseubeschlagenen
St-ck mich an da- Bein, ich wars ihn jedoch nieder und
versetzte ihm einen Schlag an deu Schädel, daß er liegen
blieb. Nachher bin ich geflohen, trotz der Wunde, die wie
Feuer brannte; man durste mich ja nicht bet ihm treffen:
er hätte gegen mich ausgesagt- Niemand darf ja wissen, Wa-
ich bei mir führe."
Er lächelte pfiffig, legte einen Finger an die Lippen,
und laß sich dann von der Tochter in das Bett Helsen.
„O, wie aut!' murmelte er, als er darin lag. „Wie
das wohl thut!" Ein Bett und Ruhe! Aber es ist mir so
kalt. O, wie friert mich auf einmal." Seine Zähne klapper-
ten, ein Fieberfrost durchschüttelte ihn. Schnell ging Anna,
Thee für ibn zu bereiten. Als sie zurückkam, die Tasse in
der Hand, entriß er ihr dieselbe und trank den Inhalt
gierig aus; seine Finger, die dabei die ihrigen berührten,
vorhin noch eiskalt, waren nun wieder brmnend heiß.
„Vater!" sagte sie, „ich muß Dich j tzt einen Augen-
blick verlasse», um Doktor Heimburg zu holen. Du fieberst
und bist sehr krank."
Der Kranke richtete sich im Bette auf; seine Augen
glühten wie Kohlen. Bhwehrend streckte er beide Hände von
sich: „Keinen Arzt, keinen Arzt!" keuchte er. „Schwöre mir,
daß Du keinen Arzt holen willst. Er würde mich nur ver-
rathen. Er würde mich auSliefern, Ich will hier sterben,
hier im Bett. Nur nicht ins Gesängniß! Ich w.ll nicht auf
dem Stroh verfaulen."
„Beruhige Dich doch Vater!" beschwichtigte ihn Anna
„Ich verspreche Dir, keinen Arzt herbeizuholen, ehe Du mir
es nicht gestattest." Ach, dachte sie, al» sie so sprach, wie
bald kann aber Dasjenige geschehen, vor dem ihm graut;
in kurzer Zeit vielleicht führt man ihn und mich, in dieselbe
Anklage verwickelt, von hier fort. (Fortsetzung folgt.)

Wtzer Wksblatt


Weiber«, WsW, dm IS. Juni I8S7.


Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.

ie -
K-

si-j

chel-
W
s-i>

ei^
gicf
el'-
K'
«IS
trs«
Ai«
M
daß
de-l
d>«

Für den Monat
Zurri
»ehmeu immer noch alle Postämter Bestellungen auf die
Kglich erscheinende Zeitung
„Pfälzer Bottsblatt"
(mit der wöchentlichen Gratisbeilage „Der Sonntag«-
bete",) sowie unsere Expedition Heidelberg
8wi«gerstraße 7 entgegen.
Expedition des „PMer Volksblstt".
Heidelberg, Zwingerstraße 7.

Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Zwingerstraße 7.

Die Beisetzung des Regierungs-Präsidenten
Dr. v. Ziegler
sand am letzten Donnerstag 4 Uhr im südlichen Fried-
hof in München statt. Die Leichenfeier gestaltete
M zu einer erhebenden Kundgebung der Verehrung,
Anerkennung und Liebe, die dem Verstorbenen aus
allen Theilen der Bevölkerung eutgegengebracht wurde.
Der Prinzregrnt und die königlichen Prinzen hatten
Vertreter zu der Trauerfeier entsandt; die Minister,
der Erzbischof, Mitglieder aller staatlichen Behörden,
der Gerichte, der Handelskammer, der Gemeindekolle-
gien, des LandwirthschaftsratheS u. a. waren erschienen.
Der akademische Gesangverein, welchem v. Ziegler
als Student angehört Halle, und Veteranen- und
Kriegervereine mit ihren umflorten Fahnen gaben
dem Verstorbenen das letzte Geleit. ?. Remigius
von St. Anna hielt die Grabrede und bemerkte nach
rinem Ueberblick über den Lebenslauf u. A.:
Der Herr StaotSrath hat einmal anläßlich einer
Krankenbesuches zu mir gesagt: „Es gereicht mir
rum großen Trost, nach Kräften meine Pflicht gethan
P haben." Ein Beweis für seine Pflichterfüllung
ist das glänzende Avancement, ein Beweis, die De-
roration mit hohen Orden, ein Beweis, die Liebe und
Sympathie Aller, mit denen er amtlich oder außer-
amtlich in Beziehung oder Verkehr trat, ein Beweis
hirsür auch das innige, schöne Familienleben und
die dort herrschende Liebe. Ein Sohn und eine
M

Leidvoll und freudvoll. BL
Novelle von L- v. Neid egg-
Sie nahm die Feder auf und war bald in ihre Arbeit
vertieft. Da vernahm sie wieder das befremdliche Anschlägen
vn des Fenfier, und al» sie ausblickte, kam es ihr vor, als
unterscheide sie ein menschliches Angesicht, das sich an die
Scheiben drückte- Sie erschreck wohl; aber muthig, wie sie
War, stand sie sofort auf, öffn-te das Fenster und rief mit
fester Stimme in die Nacht hinaus: „Wer ist da? Wer
schleicht hier herum?"
„Um GotteS willen, rufe nicht so laut, sondern rette
wich!" flüsterte eine Stimme aus dem Gebüsch vor dem
Fenster. Ihr war, als sollte ihr dos Hrrz still stehen. Nur
zu wohl hatte sie die Stimme erkannt: es war ihr Vater,
der selbst hier ihren stillen Frieden zu stören kam! Seine
unheilvolle Nähe wußte neue Schande bedeuten! Beinahe
bätte sie im eisten Antrieb und unter dem Einfluß des
Schreckens das Fenster zugeworfen. Einen Augenblick blieb
sie stumm; dann beugte sie sich hinaus und flüsterte: „Bist
Tu es wirklich, Vater? Wes aiebt es?"
„Rette mich, Anna! Laß' mich ins Haus I Ich bin
krank und werde verfolgt!"
Wie ein Dolchstich bohrten diese Worte sich in rhr
Herz. So weit war es also mit ihm gekommen. Ekel und
Abscheu stiegen in ihr ruf. Aber —er war krank und hatte
«ur noch sie. Cie überwand sich also und gab leise zur
Antwort: „Bleibe ganz still stehen, wo Du bist. Ich komme
und hole Dich herein "
Ein paar Augenblicke später stand sie neben ihm und
hatte seine Hand erfaßt. „Gehe, so leise Du nur kannst,"
«ahnte sie. .Ich wohne nicht avrin."
Die Hand, welche Anna erfaßte, war brennend heiß.
Rillig ließ er sich führen, wobei sie bemerkte, daß das
Sehen ihm schwer wurde und er den linken Fuß nach-
Mlppte. An der Hausthüre zog er mit einer scheuen Ge-
Verde die Schuhe von den Füßen und folgte rbr mit leisen
schritten. In ihre« Zimmer angekommen, ließ er sich auf
"«en Stuhl sinken und starrte mit angsterfüllte» Augen
vor sich hi».

tLaNL mitZ Ausnahme der Sonn- u Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Gram für Nlalirlmt, FMeit L KeM.
 
Annotationen