Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 2.1896/​1897

DOI Heft:
Nummer 6
DOI Artikel:
Bierbaum, Otto Julius: Ein archaeologischer Aufsatz aus dem 30. Jahrhundert
DOI Artikel:
Flamand, F.: Brüsseler Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.63305#0105

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 6

^-<5 Die K u n st - p a l l e. g^>

87

während das andere eine tanzende weibliche Person
darstellt, die ihre Unterkleidung zur deutlichen An-
schauung bringt.
Ueber die Bedeutung der Blätter „Lin Bivouak",
„Franktireurs", „Markirter Feind" bin ich mir noch
unklar, muß also hinsichtlich ihrer aus mein zukünf-
tiges Werk verweisen. Dies gilt überhaupt von allen
Blättern, die ich hier nicht nenne. Doreiliges chinaus-
blasen unfertiger Meinungen überlasse ich meinem
Kollegen in Taracas, der darin Spezialität ist.
scheiterkeit in der Versammlung.)
Hinweisen aber möchte ich aus die portraits der
Heerführer beider Armeen. Sie sind in jeder Pinsicht
von unschätzbarem Merthe. Mas für barbarische
Schädel! Man sieht, daß jene Zeit die Normal-
schädelpresse noch nicht gekannt hat, der wir es ver-
danken, daß wir endlich zur Typifirung des Normal-
Uebermenschen gelangt sind. Und dabei scheint es,
daß sich jene grotesken Milden aus ihre eckigen Köpfe
noch was eingebildet haben. Solcher Abgründe ist
der menschliche Geist fähig!
Auf den: Blatte „Generalstabskonferenz bei den
Alten" wird unser Auge durch den Anblick einer
Zange beleidigt, die zweifellos bestimmt war, ge-
fangene Moderne zu foltern, dagegen sehen wir auf
dem Pendant dazu „Generalftabs-Konferenz bei deu
Modernen" das Loch einer pöhle, in die vermuthlich
die gefangenen Alten geworfen wurden. Man sieht
daraus, wie furchtbar die Erbitterung auf beiden
Seiten gewesen sein muß. Und alles dies wegen
Putdifferenzen!
O Menschheit!
Interessant sind die Kriegsplakate der feindlichen
peere. Beide sind nämlich gänzlich unverständlich.
Nur soviel geht daraus hervor, daß die Alten Braun,
die Modernen Grün als Flaggenfahne führten.
Auch scheinen die Alten mehr für einen wulstigen,
die Modernen für einen schlappfaltigen Kleider-
schnitt gewesen zu sein. Unanständig ist es, daß auf
den: Kriegsplakate der Alten unter anderem ein pok-
cle-ekmmbre figurirt, während sich die Modernen des
Symbolgefäßes einer Gießkanne bedient zu haben
scheinen.
Das Pauptblatt stellt die Entscheidungsschlacht
dar. Den Vordergrund nimmt der Feldherrnhügel
der Modernen ein. Mir sehen riesige peerschaaren
von Pilz- und Röhrenhüten wider einander rücken,
im Hintergrund breitet sich das Meer mit feindlichen
Flotten. Mas uns am meisten interessirt, sind die
Geschütze und die Geschosse, die aus ihnen heraus-
stiegen. Es sind Maschinen wie große Photographie-
Apparate urältester Konstruktion uud Projektile von
der Form von Sternen und Medaillen, wie sie ehe-
mals zur Kenntlichmachung berüchtigter Personen in:
Gebrauche gewesen zu sein scheinen. Pier scheinen
sie gleichzeitig als Lrplofivkörper verwendet zu wer-
den oder sie waren nur bestimmt, Schrecken und Ver-

wirrung in die Reihen der Gegner zu tragen. Bei
der barbarischen Fremdartigkeit dieses ganzen Ge-
bahrens fällt es uns schwer, zu einer völlig sicheren
Deutung zu gelangen. Möglich auch, daß es eine
Art Stinkbomben waren.
Ihre Mirkung muß fürchterlich gewesen sein,
denn wir sehen auf unseren: Bilde, daß beide Gegner
gleichzeitig sich für besiegt erklären. Auch gewährt
auf späteren Blättern das Schlacbtfeld einen grau-
sigen Anblick. Mein Kulturgefühl gebietet mir, dar-
über schweigend hinwegzugehen.
Verwunderlich ist es, daß an: Schluß dieses
Krieges die Gegner gute Freunde geworden zu sein
scheinen. Man sieht wenigstens in einer Anzahl
jener fürchterlichen Gefährte, für die uns der Name
Droschke überliefert worden ist, Röhren- und Pilzhüte
einträchtig nebeneinandersitzen.
Vielleicht ist es überhaupt der Zweck der Kriege
gewesen, sich nachher zu vertragen. Das ist sehr
merkwürdig und setzt eine Art von Eerebralkonstitution
voraus, für die uns das Begriffsvermögen fehlt.
So ist denn überhaupt das Resultat aller unserer
Forschungen in der Papierzeit das, daß wir uns an
unseren Normalkopf greifen und fragen: Stammen
wir Rebermenschen wirklich von jenen Leuten ab?
Und wir find geneigt, jenen Anthropologen beizu-
stimmen, die die Meinung aufgestellt habe::, daß
jene nur die Schlußerscheinung der Thierwelt ge-
wesen sind, während wir als unsere Vorfahren Mesen
beanspruchen müssen, die sich selbstständig von ihnen
entwickelt haben.
Schlußbemerkung der Redaktion desSchwung-
rads. Mährend der Drucklegung dieses Aufsatzes sind uns
von hundertundfünfundzwanzig Mitanhörern dieses Vor-
trages höchst scharfsinnige und bemerkenswerthe Aufsätze
zugegangen, die zu völlig entgegengesetzten Ansichten über
Codex Sattler gelangen, wir werden sie in unseren näch-
sten Nummern nacheinander veröffentlichen.
L
Brüsseler Brief.
(AIrüfsel hat sich als Kunststadt in der letzten Zeit wenig
hervorgethan. Der Ruhm der belgisch-niederländischen
Schule wird in Antwerpen, Gent, im paag und in
Amsterdam oder in Frankreich weit besser gepflegt und be-
wahrt als hier, wo es auch an Anregungen in der Natur
und im Leben ziemlich fehlt. Brüssel ist zu modern ge-
worden und wirkt nur von oben nach unten besehen. Seine
schönen Boulevards besitzen nichts Anziehendes, ausgenommen
den Fernblick. Seine Parks sind zu modern frisirt, als daß
sich noch malerische Eckchen auffinden ließen, voll poetischen
Gestrüppes; und weltstädtische Genrebilder, Volksleben,
Pandel und Wandel, wie sie sich für die malerische Wieder-
gabe eignen, finden sich in jeder anderen Stadt Belgiens
 
Annotationen