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Die Kunst-Halle — 2.1896/​1897

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Nummer 12
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Schmarsow, August: Der Barockstil in der darstellenden Kunst
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Tismar, Franz: Noch einmal: Photographie und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.63305#0210

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s80

D i e A u n st- p a l l e

Nr. s2

denken gegen Herstellung und Zuthaten lieber außer
betracht bleibt) ein vielgestaltiger Pochdrang der
Kräfte doch in durchgehender Einheit empor. Der
Kaum gewiuut im Stirnbaud des Simses seiue
körperliche Geschlossenheit ringsum, und darüber
erscheint Alles aus der bildsamen Klasse der Km-
fassungsmauern gewachsen. Tektonisches Rahmen-
werk und herkulische Gestalten in Bronze- oder
Naturfarbe, Neliefbilder Grau in Grau oder iu
vollfarbigem Dasein, Alles mit einander verwachsen,
durchdrungen, im Zusammenhang des werdens er-
faßt und nimmt den ganzen Pomp des Fleisches und
der Kraft mit nach Oben, wo die beiden Seiten der
Wölbung einander begegnend sich verbinden und
Nanin lassen für die reichsten Soenen des Bilder-
kreises. Nur in den Eckeu eröffnet sich ein Ausblick
ins Freie, so daß dies Drängen und Schieben, dies
Arbeiten und Uebereinandertürmen doch nicht er-
drückend wirkt, sondern immer noch einen Ueberschuß
athletischer Stärke, einen Dorrath neuen Zuwachses
zu bergen scheint, der den freien Genuß ihrer
Spannung gestattet. Verfölgen wir, von diesem
Lindruck des Luftigen durch die Oeffuungeu aus,
die Gekouomie des Malers, so begreifen wir nicht
allein die Kläglichkeit der -Bilder mit demselben
Himmelsblau im Grunde, sondern auch die Stufen-
folge zwischen Verwirklichung und Entwirklichuug
der naturfarbenen oder willkürlich getönten Körper
der Träger und Dränger, und erkennen die ent-
färbten und erstarrten als Söhne der Karyatiden,
die blutwarmeu Gesellen aber als plastische Ver-
körperung lebendiger Kräfte. Pier ist, mit den
Klittelu der Klalerei erst, die Organisation der
raumschließendeu Baumasse vor Augei: gebracht,
daß „der Gestalten Fülle verschwenderisch aus waud
und Decke quillt". Aber vom „malerischen Stil"
wird nur das vorurtheil noch reden. Das durch-
waltende Prinzip ist der plastische Drang. Diesel-
erzeugt die Einheit iu der allseitigen Berufung auf
unser Körpergefiihl, wie auf unsre Kraftempfin-
dungen. Ls ist der Bildnergeist Michelangelos in
Annibale Tarraooi gefahren, — aber nicht ans der
Decke der Sistina, sondern ans dem Jüngsten Ge-
richt, nicht der Stil der pochrenaissanoe, sondern
des Barock.
Sehr wesentlich aber erscheint doch der Unter-
schied zwischen dein großen Wandgemälde, das die
weite der Welt am letzten Tag umspannen will,
und diesen: dekorativen Werke der Tarraooi, das
zunächst den plastischen Pochdrang der sich wölbenden
Mauern eines beschränkten Nauines in: unmittel-
baren Anschluß au die bauliche Wirklichkeit auf-
nimmt und nur zwischen: der statuarische:: Gestaltuug
uoch freiere Bilder eröffuet, die weder an Körper-
relief noch an Farbenschwere für das Nealitäts-
bedürfniß jener Generation etwas zu wüuschen übrig
lassen. Michelangelo sucht wenigstens durch plastische

Mittel, nämlich durch das Gedränge der körper-
lichen Erscheinungen Naumwerthe zu schaffen, die
weitere Tiefenausdehnung fordern; er erweckt durch
zahllose Bifiten und Köpfe, die übereinander her-
vortauchen, wenigstens den Eindruck des Unüber-
sehbare::; wenn sich auch uirgends die unendliche
Tiefe des Raumes öffnet, will doch die Menge des
Gestalteten nicht aufhören; Welle auf Welle taucht
als Form empor, sowie sie unser Blick erreicht, so
daß ein Gewoge sich uns entgegendrängt, als
wollte das Meer noch ein Meer gebären, von
alledem ist an der Decke der Galleria Farnese nichts
zu spüren! Nichts von: Unergründlichen, Unfaß-
baren, Endlosen, das wölfflin hineingesehen hat,
nur das Unerschöpfliche der Gestaltungskraft, das
Unermüdliche des Gebarens von Innen heraus, das
auch jenseits des Anschaulichen noch zu wirke::
scheint. Aber alles ist nah, absehbar, beinahe tast-
bar. Und jener Eindruck eiues Plus sichert mü-
der Austreugung orgauischer Geschöpfe uuseru
Glaube:: an das Bestehen^ dieses Kraftaufwandes
vor und nach den: Gegenwärtigen, während wir
betrachtenden Menschen wohl wissen: der Wille sei
stark, unser Fleisch ist schwach; auch Giganteu vou
uuserer Art erlahme::. Die Klalerei ist eben in
diesen pünenleibern Lin Fleisch geworden mit der
A r chitekt ur, nimmt also von: Wesen dieser Schwester
den Tharakter der Beharrung an. Die unverbrüch-
liche Fortdauer der veranschaulichte:: organischen
Kraft ist ästhetisch nothwendig für das gemeinsame
Kunstwerk, das durch und durch plastisch gedacht
ist. Da dars uoch keiu Pang zu::: Dämmerscheiu
des Nirvaua gewittert werden, eine derartige Inter-
pretation wäre abermals Anachronismus. -
Dock einmal:
Dbotograpbie und Ikunst.
von Franz Tis mar, Berlin.

^I^estatteu Sie nur zu diesen: gerade iu jüngster
Zeit sehr viel besprochenen Thema, das auch
iu der „Kunst-Palle" erst kürzlich ausführlicher be-
handelt wurde, uoch eiiunal das Wort zu ergreife::,
wem: wir zu der aktuelle:: Frage, ob wir be-
rechtigt siud, die Photographie deu schöuen
Küusten zuzugesellen, bejahend Stellung nehmen
wollen, dann müßte der Nachweis versucht werde::,
daß der Photograph gleich den: Maler seiue hervor-
rageuden Leistungen einer künstlerischen Schulung
seines Auges, unterstützt durch Kenutniffe manigfacher
Art, zu verdaute:: hat. Die bei der Photographie
zur Anwendung kommende Technik ist schon an und
für sich eine so vielseitige, daß nur wenige Photo-
 
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