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Die Kunst-Halle — 2.1896/​1897

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Nummer 2
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Stahl, Fritz: Lehren der Ausstellung
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Bierbaum, Otto Julius: Die Münchener Ausstellungen, [2] (Schluss)
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https://doi.org/10.11588/diglit.63305#0029

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Die K u n st - Ls a l l e.

^9

Nr. 2

sagen, wir gehören als Kritiker gesellschaftlich zu
einein solchen Lest, so ist das nur rein sachlich und
aus Interesse für die Sache.
Ich fürchte, man läßt in souveräner Verachtung
der betreffenden Kreise den subalternen Organen in
diesen Dingen mehr Freiheit als gut ist. Das rächt
sich sehr, auch für die allergrößten Lserren. Lin
preußischer Zivilversorgungsberechtigter hält sich an
sich schon jedem Mann ohne Umform weit über-
legen, wenn er auf den Künstler dressirt wird, kommt
er bald über kleine Unterschiede hinfort und gewährt
dem Geheimsten Negierungsrath nicht mehr Achtung,
als ihm für die kleinsten eingetrichtert wird.

Die Münchener Ausstellungen.
von Gtto Julins Li erb a um.

(Schluß.)
5. Stuck: „Das böse Gewissen."
^A^urch die s)hantasiewelt und Kunst des heidnischen
Alterthums gehen drei furchtbare Gestalten:
Die Nächerinnen. Sie sind Botinnen der strafen-
den Götter, die auch das heimlich Geschehene, von
den Menschen noch nicht gesühnte verbrechen strafen.
Sie verkörpern, nüchtern gesagt, die Angst vor der
Strafe, die damit selber zur Strafe wird, Munder-
bar hat sie Böcklin erfaßt, die Lauernden, besser als
Schiller, bei dein sie zuviel Pathos habeu. Auch
Stuck hat sie schon einmal dargestellt; es war auf
einem Bilde, das in der Stimmung an Böcklin, in
der Figur des fliehenden Mörders an ein Blatt
Klingers erinnerte. Lin Bild aus zweiter Lsand,
aber vortrefflich. Mail sah die drei Scheußlichen
auf dem Anstande, man sah im Lsintergrunde starr
den Lrstochenen und mit dem Messer in der Lsand
keuchte der Mörder nach vorn, noch im Bluttaumel,
aber schon wie angeweht vom eisigen Schreck über seine
That; noch ein paar Schritte und er ist im Bann der
Drei, im Bann der rächenden Aengste. Das Bild
war genannt: Der Mörder. Aber der Titel war
falsch. Das Bild stellte die Furien dar, die den
Mörder erwarten.
Lseuer hat Stuck, in größerem Formate, die
Furien gemalt, wie sie einen fliehenden Missethäter
verfolgen. Aber heute ist der Titel des Bildes noch
falscher. Ls heißt: Das böse Gewissen.
Das böse Gewissen! Dargestellt durch drei nackte,
recht kräftige Meiber, die fliegend um einen nackten
Mann her sind, der mit Angst und Lrschöpfung im
Antlitz angestrengt geradeaus läuft. Das böse Ge-

wissen? Drei fliegende nackte Meiber mit schönen
Brüsten? Franz Stuck muß ein enorm gutes Ge-
wissen haben, daß er sich ein böses nicht einmal vor-
stellen kann.
Aber da thu ich ihm schon unrecht. Auch wenn
er selbst, er, der allbereits etwas wohlhäbige, freund-
liche, glückliche, erfolgüberschüttete Künstler, über das
denkbar böseste Gewissen der Melt und nebstbei über
die Phantasie Dantes, ins Malerische gewandt, ver-
fügte, er würde doch niemals im Stande sein, das
böse Gewissen zu verkörpern. Das böse Gewissen ist
nämlich die christliche Verinnerlichung der heidnischen
Furienidee, und eben in seiner absoluten Innerlichkeit
liegt sein Mesen. Ls ist nicht die Angst vor der
Strafe, es ist nicht das Schreckgespenst der That, —
es ist die gebrochene Seele des Thäters. Diese Seele
kann dem Verbrecher Lsalluzinationen bereiten, sie kann
ihn mit Verfolgungswahn schlagen, daß er sich schreck-
wüthig flüchten muß, — und das läßt sich darstellen.
Aber niemals ist es denkbar, diese Seele selbst zu ver-
körpern, außer eben in dem, in dein sie schon ver-
körpert ist, in den: Thäter. Stucks Bild könnte nut
Necht das böse Gewissen nur danu heißen, wenn es
nichts darstellte, als diesen von Selbstgrauen ergriffe-
nen fliehenden Menschen.
Man könnte einwenden, das ist Titelklauberei;
der Titel ist Nebensache; aufs Bild kommt's an.
Ganz recht, aufs Bild kommt's an. Aber der Künst-
ler zwingt mich, es unter den: Gesichtswinkel seines
Titels zu betrachten. Lr giebt mir mit dem Titel
ein Maß in die kchmd, mit dem ich messen kann, ob
sein Merk innerlich groß genug ist, um an die Lsöhe
seines Ziels zu reichen. Aus dem Titel lese ich sein
Mollen, aus dem Merke seiu Können. Decken sich
beide nicht, so ist das Merk mangelhaft oder der
Titel bezeichnet von vornherein ein unmögliches Ziel.
In Stucks heurigem Fall liegt, glaub' ich, die Sache
so, daß er einfach den moralischen, innerlichen Begriff
des bösen Gewissens mit dein antiken Furiensinnbilde
der Strafangst verwechselt hat. Sein Vorwurf waren
die Furien, Lsätte er sich in die Idee des bösen Ge-
wissens so vertieft, wie man es eigentlich von einem
Künstler seines Ranges verlangen darf, wenn er uns
sagt: Ich will euch das böse Gewissen malen, so
wäre er wohl ohne Zweifel darauf gekommen, seine
Kunst lediglich am seelischen Ausdruck des Verbrechers
zu versuchen. Aber es steckten ihm die drei wild-
schönen Meiber im Kopfe und die Schwierigkeit, sie
in der Flugbewegung darzustellen, sie farbig zu charak-
terisiren und gleichzeitig lebendig schön um einen
rennenden männlichen Akt zu gruppiren. Das wollte
er: die Mirkung von Farbe und Linie war sein Ziel.
Mir thun ihm unrecht, wenn wir sein Merk an der
Größe des Themas messen, das uns sein Titel fälsch-
lich vorrückt.
Aber: haben wir so ganz unrecht, wenn wir nun
unzufrieden sind? Marnm bekennt sich der Künstler
 
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