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Die Kunst-Halle — 2.1896/​1897

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Nummer 7
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Stahl, Fritz: Berliner Kunstschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.63305#0126

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106

Nr. 7

H-r-Z Die A u n st - k) a l l e -

berliner Ikunstscdau.
In der National-Galerie sind die neuen Er-
werbungen ausgestellt. Diese Ausstellung zeigt nicht
nur, daß für diese unglücklichste unserer Sammlungen mit
dem Amtsantritt des Direktors Prof, von Tfchudi eine
neue Epoche angebrochen ist, sondern sie verspricht zugleich,
daß das Berliner Kunstleben von hier aus wichtige An-
regungen empfangen wird. So wundervoll manche, so
interessant viele der erworbenen Kunstwerke sind, so liegt
doch die eigentliche Bedeutung der Ausstellung, das, was
sie zu einem wichtigen Kunstereigniß für Berlin und
schließlich auch für Deutschland erhebt, in etwas anderem.
In dem Programm, das man aus dem Eharakter der
Merke, aus der Art ihrer Erwerbung, aus den Besprechungen
des Katalogs herauslesen kann. So kommt es vor allein
darauf an, sich dieses Programm klar zu machen.
Die moderne Kunst hat für diese Galerie, die ein
lückenloses Bild der Kunstentwickelung unseres Jahr-
hunderts geben soll, mindestens in den letzten Jahren
garnicht existirt. Der erste Punkt des neuen Programms
ist offenbar, sie in ihre Rechte einzusetzen. Damit hängt
dann gleich eng der zweite zusammen, daß in ganz anderer
Ausdehnung, als bisher, Merke ausländischer Künstler
erworben werden müssen, denn auch der begeistertste Deutsche
wird nicht leugnen können, daß, außer auf dem Gebiete
der Traumkunst, Deutschland nicht eine führende Rolle ge-
spielt hat. Trotzdem in bedauerlicher Meise auch in der
Behandlung künstlerischer Dinge bei uns ein etwas nervöser
nud überreizter Nationalismus zu Tage getreten ist, der
ost freilich nur der Deckmantel egoistischer und materieller
Bestrebungen zu sein scheint, hat perr von Tfchudi diese
Konsequenz gezogen. Natürlich wird es bei dem Verhält-
nis; (5H: nicht bleiben. Abgesehen davon, daß unter
den ZH Werken ausländischer Künstler ^2 Schenkungen
sind, kam es zunächst daraus an, langjährige Versäumnisse
einigermaßen gut zu machen, wird das geschehen sein,
so wird das Ausland wieder mehr zurücktreten können.
In der Auswahl ist von historischen und ästhetischen Gesichts-
punkten ausgegangen worden.
Die Wichtigkeit der Neuerungen lenchtet ein. Es
wird in einigen Jahren, wenn inan in gleicher Meise
sortfährt, möglich sein, in Berlin Fühlung mit dein Kunst-
leben der Gegenwart zu gewinnen, in ganz anderer Meise
noch als durch selbst internationale Ausstellungen. Das
erzieherische und historische Prinzip, das unsern Museen
der alten Kunst und des Kunstgewerbes ihre eigenartige
Stellung giebt, wird auch die National-Galerie über alle
gleichartigen Sammlungen herausheben. Mder man wird
in den übrigen Kunstcentren den gleichen Weg gehen
müssen. Und das wäre ja am letzten Ende das Allerbeste.
Mit alledein wäre natürlich noch nichts gewonnen,
wenn es nicht gelänge, auch beim Publikum das Juteresse
für die neue Kunst zn wecken. In zweifacher Meise ist
das angestrebt. Die reichen Kunstfreunde, die bisher nur
den Sammlungen alter Kunstwerke ihre Zuwendungen
machten, wollen ihr Mäcenatenthum auch der modernen
Galerie beweisen. Die zwölf werthvollen Schenkungen,
die wir finden, sind in dieser Beziehung Bürgschaften für
die Zukunft. Dann wird es sich darum handeln, den
Fernerstehenden das tiefere verständniß für unsere Kunst

zu erschließen. Ich betrachte den kleinen Katalog gewisser-
maßen als eine Probe des späteren Verzeichnisses der ganzen
Galerie. Er enthält eine kurze Notiz über das historische,
die den Künstler in die Zeit, das einzelne Merk in das
Lebeuswerk einordnet. Dann beschreibt er, aber so, daß
die Beschreibung zugleich aus Vorzüge und Mängel hin-
weist. In ihrer knappen, klaren Sachliches sind die meisten
dieser Notizen meisterhaft und vorzüglich geeignet, selbst
ganz naive Beschauer anzuleiten, wer die entsetzliche Hilf,
losigkeit unserer Museumsbesucher kennt, wird die Wichtigkeit
einer solchen Anleitung voll begreifen. Eine sehr be-
merkenswerthe Neuerung allen Katalogen gegenüber, die
ich kenne, ist es, daß der Verfasser den Besitz der Galerie
so unbefangen betrachtet und kritisirt wie fremden. Da-
durch wird dann der verbreitete Aberglaube, jedes Merk,
das in einem Museum sich befindet, müsse vollkommen
sein, wirksam bekämpft werden, ein Aberglauben, der die
schwachen Ansätze zu ästhetischer Bildung in unserm
Publikum immer wieder vernichtet. Daß eine solche Er-
ziehung des Publikums der zeitgenössischen Kunst in idealem
und materiellem Grunde zu Gute kommen muß, scheint
mir außer Zweifel zu stehen.
Die Verwirklichung dieses Programms würde mehr
als alle Bestrebungen Einzelner, das Kunstleben in Berlin
fördern, eine gesunde Tradition begründen Helsen. An
der Energie des Direktors ist nicht zu zweifeln, denn auch
ohne es zu wissen, wird Jeder ahnen können, daß ein Theil
der Erwerbungen nur gegen harten Widerstand durchgesetzt
werden konnte.
Aus die einzelnen Erwerbungen einzugehen, wird
bessere Gelegenheit sich finden, wenn sie in die Sammlung
eingeordnet sind, wenn das, was ich die neue National-
Galerie nennen möchte, erst einigermaßen steht. Für heute
mag eine kurze Auszählung genügen. Die englische
Kunst ist durch Lonstable, den Vorgänger der Meister
von Fontainebleau, die schottische durch ein schöntoniges
und elegantes Damenbildniß von Lavery und Land-
schaften von Nisbet und Lochhead vertreten. Unter
den französischen Bildern steht ein reifer Manet ,,Im
Treibhaus" obenan. Das Merk des runltrg imprössionisks,
das von ungeheurem Können und echt künstlerischem Ge-
schmack zeugt, beweist, mit wie geringem Recht sich viele
unserer Jungen aus diesen Bahnbrecher berufen dürfen,
wie weltenfern die Abart des Münchener und Berliner
Impressionismus hinter ihren: pariser Vorbild zurückbleibt.
Kein roher Ton, kein greller Fleck in dem ganzen Bilde,
Seinen Vorgänger Eourbet lernen wir nur durch eine tief-
gestimmte ernste Landschaft kennen, einen seiner Nach-
folger Monet durch eine Frühlingslandschaft in seiner
fleckigen Manier, die aber das Schimmernde der Luft schön
herausbringt. Lin Interieur von Degas ist bizarr in
Komposition und Linie. Ein schlichtes Frauenbild von
Fautin-Latour fesselt durch die Tiefe des Ausdrucks
und durch die brillant gemalten charakteristischen pände.
Boldinis Menzelstudie ist bekamst. Der Italiener
Segantini kennzeichnet seine „Trübe Stunde" sehr gut.
Die Kunstwerke, die auf der Berliner Ausstellung aus
einem der vorhandenen Fonds angekaust sind, haben wir
seiner Zeit ausgezählt. Sie sind zum Theil recht gut ge-
wählt, aber natürlich nicht mit dem Zielbewußtsein, das
stch in der Auswahl der „geschenkten" Werke ausspricht
Ls sollte in Zukunft einheitlicher vorgegangen werden.
Es liegt doch kein rechter Sinn darin, daß für die Galerie
ganz verschiedene Kommissionen ankausen. Mas hätte in
diesem Jahre gekauft werden können, um das Programm
zu fördern! Unter den Skulpturen ist eine ausdrucksvolle
Bronzegruppe des Belgiers Neunter „Der verlorene
Sohn" und eine portraitbüste von Rodin bemerkeuswerth.
 
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