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Die Kunst-Halle — 2.1896/​1897

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No. 22
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Rust, Agnes: München: Atelier-Plauderei
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Gensel, Otto Walther: Paris: Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.63305#0392

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3^2

D i e A u n st - k) a l l e.

Nr. 22

ein Brunnenmodell in natürlicher Größe oder ein
bserold zu Pferde für das Reichstagsgebäude findet
darin nicht s)latz . . . Immer fesselt mich dort eine
weibliche Figur von großem Reiz seelischen Ausdrucks
und fein realistischer Durchbildung der Formen. Sie
sitzt in ungezwungener Bewegung, das Köpfchen etwas
nach vorn geneigt, in einer bsand ein paar Mohu-
blüthen. Lin Ausdruck von Schwermuth macht das
sanfte, schöne Gesicht noch anziehender. Daß der
Künstler dieses Werk mit besonderer Liebe gebildet
bat, ist wohl zu sehen.
Das Gepräge einer aristokratischen Realistik trägt
nicht bloß diese besprochene Figur, man darf wohl
sagen es ist die Signatur der Arbeiten Josef
Lugelhards überhaupt. Mögen es Grabfiguren,
vorträtbüsten, Reliefs oder genrehafte Darstellungen
sein, der Zug reizvoller Naturwahrheit ist überall zu
bemerken.
Man hat auf Ausstellungen so viel Gelegenheit
zu vergleichen. Im Münchner Kunstverein war vor
Jahren ein lachender Mädchenkopf ausgestellt, mo-
dellirt vou einem Bildhauer, der damals großes
Talent verrieth und heute eiu berühmter Künstler ist.
Ich habe die Büste noch öfter gesehen in Gips und
in Marmor und immer mußte ich das eminente
Können des Künstlers bewundern. Und doch — ein
kleiner Schimmer von Seele — das fehlte dem
famosen Merke.
Diese feine Schattirung des künstlerischen ver-
mögens, sie kann mit allen Mitteln, mit allem Raffi-
nement nicht erlernt werden — bserr Eugelhard
besitzt sie in hohen: Grade. Schon seine Schüler-
arbeiten zeigten das; auch da, wo er noch in einer
gewissen akademischen Unfreiheit befangen war, suchte
sich die eigene Auffassung durchzuringen.
Aus dieser Zeit stammt die Figur eines griechi-
schen Jünglings in Schiffertracht, der mit besorgter
Miene den bfimmel übersieht. Er legt die b)and über
die Augen um noch schärfer spähen zu können, in
natürlich-ungezwungener Bewegung, der Blick geht
ins Weite wie man ihn bei Jägern, Seeleuten viel-
leicht auch bsaidebewohnern findet. Das Gesicht, ob-
wohl das traditionell hellenische Schönheitsideal nicht
verleugnend, interessirt durch einen weichen und
träumerischen Ausdruck.
von diesem meerfahrenden Griechen bis zum
„reitenden Bauersmann" und zur Büste der „bseloise"
ist ein großer Schritt.
Ich greife unter den verschiedenartigen Arbeiten
gerade die nur bezeichnend dünkenden heraus.
Der „reitende Bauer" hat sich von Seiten der
Kritik stets einer günstigen Beurtheilung zu erfreuen
gehabt. Müde, oder eigentlich träge sitzt der Mann
nut den: charakteristischen Kopfe auf seinem starken
Roß, er reitet aus der Schwemme heim. Die Gruppe
ist in kleinem Format und sehr lebendig.
bseloise (ich muß den Frauenkoxf so nennen)

fesselt durch den Reiz der Melancholie. Für stark
lebenslustige Naturen ist diese heilige vielleicht weniger
verständlich. Dem Künstler ist sie dafür doppelt inter-
essant; das Problem physische und geistige Leiden
zum Ausdruck zu bringe::, ohne abstoßend zu wirken,
ist fein gelöst. Das Antlitz zurückgeneigt, das den
Stempel tiefsten Schmerzes trägt, so ist Abälards
Freundin die Verkörperung einer unfreiwilligen, mit
den: Aufgebote aller Geistes- und Körperkräfte ge-
übten Lntsaguug. Line heilige verdient sie wohl
genannt zu werden. Stirn und ein kleiner Theil der
Wangen sind mit einem Tuch bedeckt, in freier Be-
handlung, es soll keine bestimmte Nonnentracht be-
zeichnet sein . . . kherr Josef Engelhard hat bei
all seinem künstlerischen Talent aber leider als Mensch
sehr unzeitgemäße Eigenschaften. Ganz entschieden
besitzt er kein biegsames Rückgrat, er hat auch viel
zu schwache Ellenbogen, und diese Mängel sind für
Künstler, besonders Bildhauer, die das Zeug zu
großen Leistungen in sich haben, heutzutage bekanut-
lich von größten: Nachtheil.
karis:
l^aystbriek.
von Walther Geusel, Varis.

^Mu den Berichten über die diesjährigen Salons
ist ein freudiges Lreigniß nachzutrageu. jDuvis
de Thavannes hat, von langer Krankheit
endlich genesen, den Karton zu seinem neuen Werke
vollenden und noch nachträglich in die Ausstellung
auf dem Marsfelde einschicken können. Das Werk
stellt die „Verproviantierung der belagerten und durch
die vsimgersnotb bedrohten Stadt V^ris durch die
heilige Genoveva" dar und bildet somit eine Fort-
setzung zu des Meisters gefeierten Jugendgerichte
der bseiligen im f)autheon. Dieselben Eigenschaften,
die wir dort bewundern, treffen wir auch hier an: Die
unmittelbare Verständlichkeit des Gegenstands, die
erhabene Ruhe, wie sie zu der Bestimmung des den
großen Söhnen Frankreichs gewidmeten Nuhmes-
tempels paßt, die schlichte Größe, die der Darstellung
einer religiösen Legende geziemt. In der Mitte des
durch veiler in drei Theile getrennten Gemäldes
sehen wir in einem Nachen die vom Alter gebeugte
Gestalt der Schutzpatrouin selbst, wie sie das Volk
segnet. Rechts bringen Lastträger die ersehnten
Nahrungsmittel hervor, links kommt eine lange Pro-
zession aus der Stadt der heiligen entgegen. Schlicht
und stimmungsvoll wie stets bei sMvis, ist die Land-
schaft. Die Seine mit einer Menge kleiner Schiffe,
im bsintergrunde eine sanfte Hügelkette, links die
Mauern und Festungsthürme der Stadt, und über dem
Ganzen ein milder wolkenloser bsimmel. Wenn wir
uns noch an Einzelnem stoßen, so müssen wir be-
denken, daß der Karton rasch fertiggestellt wurde,
und daß er — das Libretto des Gemäldes, wie
 
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