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Die Kunst-Halle — 2.1896/​1897

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Nummer 10
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Galland, Georg: Atelierbesuche
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https://doi.org/10.11588/diglit.63305#0179

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Nr. 10

-Die A u n st - a l l e

Atelierbcsucbc.
Nachdem von einer Seite behauptet wurde, die Aus-
stellung im Atelier sei in Berlin nicht lebensfähig,
fangen nunmehr die Künstler selbst ernstlich an, die von
uns vor länger als einem Jahre gegebene Anregung in
ebenso einfacher wie rationeller Meise zu verwerthen.
Bor uns liegen drei Einladungen: eines Malers von Ruf,
einer amerikanischen Bildhauerin und eines jungen Bild-
hauers. Bon diesen bezeichnet die eine zwar nicht das
eigene Atelier als Empfangsstätte, sondern einen fremden
Saal, den das „Al. Journal" in seinen GeselAchaftsräumen
in der Leipzigerstraße dem Künstler zur Berfügung stellte.
Aber nach Zweck und Eharakter gehört auch diese vor-
führuug einer ungewöhnlich reichhaltigen Bildergruppe,
die keine Sensationen schaffen, sondern ein retrospektives
Stück Leben und Schaffen des einladenden Meisters vor
uns entfalten will, ganz gewiß in die Kategorie der Atelier-
ausstellungen.
Für die hiesigen Salons, unter denen die von Schulte
und Gur litt dein Berliner Kunstleben Jahre hindurch
den edelsten Reiz verliehen, können die neuen Unter-
nehmungen, denen eine neue werbende Kraft auch für
den Kunstmarkt unleugbar innewohnt, nur erwünscht sein.
Die große Zahl der Kunstfreunde wird fortfahren, jene
Salons als die bequemsten, angenehmsten und lohnendsten
Tränkplätze des heimischen Kunstbodens aufzusuchen.
Eine Minderheit aber dürfte sich rasch mit den intimeren
Atelierbesuchen vertraut machen. Solchen Künstlern wird
wohl der Erfolg am meisten zu gönnen fein, die sich, durch
irgend eine unlautere Beranlasfung von den spärlichen
Gelegenheiten sich öffentlich mit ihren Merken zu zeigen,
ausgeschlossen sahen. Durch Rivalität, Kliquenweseu, Miß-
gunst, Prüderie oder Beschränktheit zurllckgehalten, bietet
die Atelierausstellung ihnen nicht selten die einzige Mög-
lichkeit, sich der grimmigen Polypcnarme der Gegner, die
sie in rühmlose Dunkelheit untertauchen mögen, kräftig zu
erwehren. . .

Mir waren kürzlich bei Mrs. Latwallader Guild,
Sigmundhof Die amerikanische Bildhauerin gehört
freilich nicht zu den unerkannten und unbclohnten Talenten,
ward ihr bei uns doch sogar unlängst ein großer künstle-
rischer Staatsauftrag zu Theil. Ls scheint auch sonst, daß
sie in den Kreisen unserer ersten Gesellschaft geschätzt und
bevorzugt wird. Unter ihren Schöpfungen ragen eine
zierliche Gipsstatuette der jugendlichen Königin von polland,
die reizvollen Büsten einer Prinzessin von Sachsen-Alten-
burg und einer Prinzessin von Sckleswig-Polstein zunächst
durch den fürstlichen Rang der Modelle hervor. Eine
irgendwie nennenswerthe Erfindungskraft besitzt Frau Guild
dagegen keineswegs. Als Phantasiearbeiten stehen sowohl
der bronzene Endymion, wie die Psyche und eine „Farrn-
kraut-Elfe" — beides mit Aquarellfarben bemalte Büsten —
und selbst die lebensgroße, stellenweise vergoldete allego-
rische Bronzefigur „Elektron" (Besitzer: Exc. von Stephan),
die einem bekannten antiken permes nachempfunden ist,
doch nur auf einem bescheidenen Niveau. Bon den schöpfe-
rischen Verdiensten aber abgesehen, zeichnet sich die Aus-
stellung, nahezu Stück für Stück, durch einen wirklich ge-
wählten Geschmack und durch reifes Können aus. Ihre
Büsten des uniformirten perrn von Scholl, des greisen

englischen Malers Watts, des Kunsthistorikers p. Thode,
der wie ein unternehmender junger Abbe dreinschaut, des
Frankfurter Malers Pans Thoma, unseres pofkaxellmeisters
Weingartner, besitzen nicht nur eine frappante portrait-
ahnlichkeit, sondern zum Theil auch jene gewisse Beschönigung
des geistigen Ausdrucks, womit viele Künstler deut inte-
ressanten Modell zu huldigen pflegen. Auch einige Male-
reien hat Frau Guild vorgeführt, die nicht gerade schlechter
sind als die Gemälde, welche uns R. Begas vor einiger
Zeit draußen im Landesausstcllungspalast sehen ließ.
Mir folgten auch einer Einladung nach der abgelegenen
Nürnbergerstraße im Berliner Westen. Ein niedriger
Rauin hinten im pofe eines Mietbshauses mit unzn-.
reichender Beleuchtung, so ist das Atelier des Bildhauers
Franz Flaum. Junge Künstler ohne Beziehungen
müssen in Berlin auch mit solcher Arbeitsstätte zufrieden
sein. Und dem Kritiker soll es einerlei sein, in welcher
Umgebung sich ihm das Kunstwerk offenbart. Das Ge-
botene ist hier nicht allzuviel: ungefähr sechs, theilweise
wie Lroneen gefärbte Gipsabgüsse von fast durchweg
kleinen Figuren und Gruppen, die verschiedene „modern"
empfundene sexuelle Motive behandeln, bald sinnbildlich
bald als fast real wirkende Scene ausgefaßt. „Das Ge-
schlecht", „Am Felsen", „Die Sehnsucht" (soll wohl heißen
„Das verlangens, „Die Versuchung", „Sphinx" und
„Mutter und Sohn" lauten die wenig genug sagenden
Bezeichnungen der Bildwerke; „Das Geschlecht" ist allein
eine lebensgroße Figur, ein geduckt lauerndes halb miß-
gestaltetes Weib, um deren Schooß ein schlangenartiges
Ungethüm sich ringelt. In Manchem wird man an die,
von uns früher besprochene Bilderfolge von Anna Eostenoble
erinnert. Nur folgt Flaum gedanklich mehr dem Frauen-
hasser Strindberg. Ueberall stellt er das Weib in Ver-
bindung mit der Schlange als die sinnenbethörende Ver-
führerin dar; an ihr geht der Mann willenlos zu Grunde.
Zugleich klingen überall Reminiscenzen an Stuck uud
Exter heraus, namentlich in dein auf öder Felsenklippe
ringenden nackten Menschenpaar, dem bei weitem besten
Stücke der Gruppe, perrlich ist auch die andere Gruppe
„Mutter uud Sohn". Die an den jungen Frauenleibern
sinnlich weiche plastische Formengebnng ist die der heutigen
pariser Schule, zu der sich der halbpoluische Künstler an-
scheinend rechnet, poffentlich begegnen wir ihm ein zweites
Mal mit mehr selbstständigen Leistlingen.

Prof. Albert pertel, den man längst als Vertreter
der Stillandschaft allgemein kennt, stellt in jenem Lokal in
der Leipzigerstraße eine Gruppe vou ca. ;so Bildern,
Arbeiten aus ungefähr drei Dezennien, aus. Angesichts
dieser, zum Theil nicht wenig ausgedehnten Malereien
wird in uns eine schon halbvergessene Kunstepoche,
die Zeit der Landschaftsschilderung eines Rottmann und
Preller lebendig. Da gab es noch kein leuchtendes Sonnen-
licht, keine rauh oder sanft wehende Luft, in der die
irdischen Geschöpfe athmen, keinerlei intime malerische
Wirkung. Jene Meister betrachteten das Antlitz der Erde
nicht mit dein Blicke freudigen Behagens oder tiefer Em-
pfindung, fondern mit kaltem Erstaunen, und für ihre
meist heroische Auffassung suchten sie am liebsten in der
 
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