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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 1
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Meyer, Bruno: Berlin: Grosse Kunstausstellung 1899, [8]
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Nr. 1

Die Kunst-Halle

5

kerlin-
grosse gunstausstellung isoo.
Von Bruno Meyer.

Vlll. (Schluß.)
urch ein unliebsames Versehen ist imVll. Be-
richt die Notiz über Tuaillon ausgelassen
worden, die wie folgt dort einzuschalten ist:
Mit den beiden genannten Neiter-Gruppen be-
rührt sich nach Stoff und Stil dasjenige plastische
Werk, welchen: nicht wenige ohne Bedenken die erste
Stelle unter den heurigen Skulpturen zuerkennen
dürsten, wie ihm der bevorzugteste und auszeichnendste
Platz angewiesen ist: die lebensgroße Bronze von
Li. Tuaillon (Nonr), „der Sieger". Sie ist das
Gegenstück zu jener „Amazone", mit welcher der
Künstler sich in die erste Reihe der lebenden Bild-
hauer gestellt hat. Für mein Gefühl bedeutet das
neue Werk einen großen Fortschritt. Ich bin nun
einmal unzugänglich für die Anschauung, daß der
Naturalismus in jeder wahllosesten Verwirklichung
des Prinzipes das Beste oder auch uur etwas Zu-
lässiges für alle, bezw. für bestimmte Arten von
Aufgaben sei. Wir sind nicht gewohnt, stupide Dirnen
von elendem Körperbau in äußerst defekter Toilette
auf englischen Rennpferden hängen zu sehen. Die
Grundlinien des Motives verweisen in ein Phantasie-
Gebiet, das ohne eine merkliche Erhebung der Er-
scheinungen über das Alleralltäglichste für meine
Empfindung nicht glaubhaft gemacht werden kann.
Aehnliches Auseinanderfallen von Bedeutung und
Gestaltung begegnet ja hier nicht zum ersten Riale;
aber es berührt mich auch vierhundert Zahre früher
ganz ebenso unsympathisch und unkünstlerisch. Dem
bewiesenen Rönnen muß ja Achtung gezollt werden;
aber die fällt ehrender aus, wenn Einen: nicht das
Gefühl aufgedrängt wird, daß man sie zwar nicht
verweigern, sonst aber auch reiu gar nichts Er-
freuliches empfinden kann. Der „Sieger" hat in
erster Lame über diese Befangenheit in der bloßen
äußerlichen Vorbereitung zur Kunst gesiegt; ja, er
dürfte Manchem, namentlich unter den vorbehalt-
losen Bewunderern des früheren Werkes, schon viel
zu sehr „stilisirt" in: Sinne des gewöhnlich aus-
schließlich so genannten „Zdealisirens" sein. Un-
bedenklich kann zugegeben werden, daß bei der hier
vorliegenden Ausgabe ein nut allen Konzessionen an
sogenanntes „Schönheitsgefühl" unversöhnlicher Na-
turalismus erträglicher, weil sinngemäßer gewesen
wäre, als bei der Amazone. Ein wirklicher, über-
zeugender „Sieger" aber wäre es schwerlich auf den:
Wege geworden; und so haben wir dringendste Ver-
anlassung, uns dieser Läuterung des Formgefühles
zu freuen. Dieselbe ist auch dem Pferde zu Statteu
gekommen, wenn es auch immer noch zu Hoppegarten-
mäßig aussieht. Unter allen Umständen aber: wie
konnte der Künstler es über sich gewinnen, einen
Wallach zu bilden?! Darf die Kunst — und vorab
eine naturalistische — ohne dringende Noch diese
Kultur-„Verlüderlichung" der Natur anerkennen? —
Alles in Allein: Der „Sieger" bewährt, was die
„Amazone" ahnen ließ, und was auch diejenige::
gefühlt haben, die für ihren Eindruck unzutreffende
Begründungen zu erfinden wußten, daß Tuaillon eine
„Natur" ist, ein ganzer Künstler, der Werke aus
einem Gusse zu schaffen vermag, und von den: sicher

noch überraschende Offenbarungen eines Genius be-
vorstehen, wenn er auf dein betretenen Wege unbeirrt
fortschreitet.
P -t:
*
achdem durch gewisse redaktionelle Zwangs-
lagen die Ausstellungs - Berichte so ins
Hintertreffei: gekommen sind, daß der Schluß
erst nach dem Ende der Ausstellung selber zu Tage
tritt, kommt es um so weniger auf Einzelheitei: und
um so mehr auf Gesichtspunkte an.
Zn der Baukunst den einzelnen Arbeiten nach-
zugehen, paßt nicht an diese Stelle. Dazu ist die
Auswahl hier zu klein, und den Werken besser bei-
zukommen bei ihrem Hervortretei:. Für Berlin bietei:
fesselndes Interesse zwei große Rmgestaltungsvorschläge
von Felix Wolff (Berlin). Die konsequente Durch-
bildung einer Terrassenanlage vor den: Orangerie-
gebäude bei Sanssouci ist unmittelbar überzeugend.
Alle jetzigen Mißstände der Lokalität sind mit einem
Schlage beseitigt, das bereits Vorhandene zu zehn-
facher Wirkung gesteigert. Gegengründe — außer
hier uicht hergehörigen finanziellen Bedenken — scheine::
mir nicht erfindlich.
Umgekehrt dürfte die Sache liegen bei den: plane
einer Umgestaltung der Umgebung des Kaiser Wil-
Helm-Denkmales in Berlin. Die Kommandantur, die
Bauakademie und das rothe Schloß sollen fallen, an
des letzteren Stelle — zurückgerückt — ein monumen-
taler Neubau der Kommandantur treten, der Spree-
arm hinter den: Denkmal überbrückt, und durch die
hier entstehende weiträumige Verbindungsstraße der
Raun: zwischen Denkmal und Schloß als Fahrstraße
(fast) überflüssig gemacht und wesentlich nur mit
gärtnerischen Anlagen geschmückt werden. Daß die
National-Denkmal-Anlage gründlich verfehlt ist, kann
ja nur das Verblendeteste Vorurtheil in Abrede stellen
wollen. Aber die Abhülfe erinnert ein wenig an das
verzweifelte Schneiderlein: „Schon zweimal beschnitten,
und immer noch zu kurz!" Die Verbesserung setzt an:
verkehrten Ende ein: nicht hinter, sondern vor den:
Denkmale fehlt es an Platz, nachdem dasselbe in
Verwechselung äußerer mit innerer Größe einmal für
seine bestimmte Stelle unverhältnißmäßig ausgedehnt
ist; und nicht durch die ruhigen, vornehm und schlicht
gegliederten Massen der Bau-Akademie als Hintergrund
(der diskreter nicht wohl sein könnte) verpufft alle
monumentale Wirkung, sondern durch die Tancan-
Architektur, die ohne Noch und Bedeutung als Zugabe
zu dem Denkmale selber iinprovisirt ist. Und wenn
das Denkmal eines nationalen Helden der That trotz
seines eigenen Fanfaren - Geschmetters die Ruhe der
Abgelegenheit erforderte, dann hätte man es nicht
nut Gewalt in den Mittelpunkt des weltstädtischen
Verkehres stellen sollen. Nachdem es da einmal steht,
ist es eine starke Zumuthung, ::::: dasselbe her idyllischen
Frieden zu schaffen. Man soll vorbedenken; und das
war hier wahrlich nicht schwer. Aber nachverbessern
giebt doch bloß Flickwerk, das unter keinem Gesichts-
punkte auch nur den zehnten Theil der erforderten
Kosten werth wäre.
Nicht bloß einer sinnlosen Vergeudung, sondern
einem Luxus zu::: direkten Schaden der Kunst dient
die als leidige Zugabe zur Ausstellung gegebene
Sammlung von Entwürfen für eine Bismarck-Säule.
Wenn die Kirche auf Wegen und Stegen Kreuzstöckle
errichtet, so ist sie dabei doch noch nie auf den
stupiden und brutalen Gedanken verfallen, sie alle
nach einen: Modelle gießen zu lassen. Den: hypno-


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