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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 7
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Wirth, Robert: Ueber Max Klingers "Amphitrite"
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Nr. 7

ck- Die Kunst-Halle -z-


59. F. von Schennis, Römische 2lllegorie.
^0. H. Struck, „Bonsoir, Messieurs" (nach Ad.
Menzel).
Verein für Original-Radirungen, f Mappe.


lieber Max Wngerz
„Umpbitrite".
Herr Prof. Vr. Robert Wirth, flauen i. V.,
schreibt uns:
Sehr geehrter Herr Professor!
or einigen Tagen las ich in Ihrer ge'
schätzten „Kunst-Halle" von: November
auf S. ö7 einige Aeußerungen gegen
— nicht für also — die Klingersche
Amphitrite. Auch ich freue mich darüber: scheint es
doch, als seien wir gegenüber Klinger bereits auf
den Standpunkt des abgeschlossenen und zwar kritik-
los zustimmenden Urtheils angelangt aus keinem
andern Grunde, als in dem heimlichen Hintergedanken,
man könne sich mit tadelnden Aeußerungen bei Klinger
vor der „Nachwelt" kompromittiren. Ihr Herr Be-
richterstatter M. hegt erfreulicherweise die Befürchtung
nickt und ich möchte mir deshalb bei Ihnen und
ihm die Trlaubniß ausbitten, seine treffenden aber
nur kurz andeutenden Bemerkungen mit ein paar -
Worten ergänzen zu dürfen.
Das von Herrn M. als unmöglich bezeichnete
Gewand der Figur ist in einer Weise gerade noch
über die Schoßgegend herabgezogen, als wolle ein
Frauenarzt eine leider benöthigte Untersuchung des weib-
lichen „holden verborgenen", um mit Goethe zu redeu,
vornehmen. Oder müssen wir nicht auch an ein
anatomisches Präparat denken, da solche Präparate
ebenso eingepackt werden? Offenbar will Klinger
durch diese Gewandanordnung den Leib noch
schlanker erscheinen lassen als er schon an sich ist,
aber die Absichtlichkeit und der dadurch sich wieder-
holende spitze Winkel der Schoßgegend wirken wie
alle schlecht verhüllten Absichtlichkeiten in der Kunst
mindestens herabstimmend. Das Gewand ist vom
Leibe herabgewurstelt ohue die leiseste Rücksicht auf
eine gefällige Faltung: die bekannten klassischen
(Quetschfalten sollen vermieden werden, ja keine
Stilifirung, Realismus der Zufälligkeit um jeden
Preis! Und doch die böse Absichtlichkeit durch-
scheinend! Schneiden darf das Gewand den Leib
freilich nicht in gergder Ouerlinie, aber diese Herab-
ziehung knapp unter den Schoß sieht einer frivolen'
Schaustellung bedenklich ähnlich. Und die „Göttin"
hat sich doch s e l b st das Gewand so geordnet, wer
denn.sonst? Wohlverstanden: Niemand hat etwas
gegen die naive Naktheit der Kunst. Ferner erscheint
die Gewandung angeklitscht, sie ist wohl naß, weil
Amphitrite im Meere leben muß ? Wie wird sie sich
uur herauswickeln? Jedes weibliche Menschenkind
müßte doch über eine solche Umschnürung ärgerlich
werden?
Der der Figur, man kann sagen, aufgedrungeue
Name Amphitrite erweckt bestimmte Vorstellungen:
Die Figur muß altgriechischen mythologischen Vor-
stellungskreisen entsprechende Göttlichkeit offenbaren,


sodann bezeichnet der Name enger eine Meergottheit
— diesen Umstand kann man wohl beiganzSeite lassen?
Was muß das nun für ein feinsinniger Archäologe
sein, der der Klingerschen Figur eine Amphitrite an-
sieht? Diese Modellfigur mit dein gut bürgerlichen
Gesicht ist also die Gattin des Gkeanos? Titel Ge-
flunker — sie kann ebenso gut Amalie und Thekla
heißen, der Name thut neuerdings gar nichts mehr
zur Sache. Der Konfektionär nennt ein neues Iacket
Thea, der griechische Name hat uur den Zweck,
vornehmer und interessanter zu klingen als z. B.
Guste; wenn aber ein Künstler seinem Standbild
einen Namen giebt, so will er doch damit etwas
sagen — oder sollte es nur darum sein, weil das
Kind doch einen Namen haben muß? Nein —
Klingers Figur ist keiue altgriechische Göttin, er selbst
will gar keine solchen Götterbilder schaffen, mit Recht
— aber dann lasse man auch die Spielerei mit solchen
ausputzenden Namen — Klinger kann doch von Rechts
wegen nur eine d e u t s ch e Amphitrite schaffen —
worüber man aber wieder, wenn auch nur leise, lachen
dürfte. Man kann keine leidliche Aktfigur durch eine
Benennung zur Göttin aufbauschen! Nachdem man
einmal nicht mehr an die griechischen Gottheiten
glauben kann und einen solchen Glauben nicht mehr
versteht, soll man denn endlich einmal die griechischen
Fabelwesen gewesen sein lassen.*) Tin modernes An-
und Hineinempfinden in mythologische Vorstellungen
der Griechen kann eben weiter nichts besagen als
eine leere eingebildete Tmpfindelei.
In dem Unistande, daß der Künstler die Figur
ohne Arme bildete, sieht Herr M. eine Spielerei, ja
eine Sottise. Als ich das Werk in Dresden das
erste Mal sah, glaubte ich, der Künstler habe es
«üb 8p66l6 usternitutis betrachtet sehen wollen —
nach zweitausend Jahren wird eine verschüttete
Klingersche Statue gefunden, aber leider ohne Arme
-— just ganz wie die Venus von Milo! Und der
Künstler malt sich im Geiste aus, daß man über die
wahrscheinliche Ergänzung Bücher schreiben werde!
Ts ist Herrn M. vielleicht bekannt, daß in der
Velhagen L Klasingschen Monographien-Sammlung
ein „scharfsinniger" Autor die Amphitrite eine Herme
ob ihres Defekts genannt hat. Auch das noch!
möchte man ausrufen. Also eine vollständig durch-
modellirte Figur, der nur die Arme fehlen, heißt jetzt
Herme. So wäre denn die Figur glücklich unter-
gebracht, eingeordnet, die Armelosigkeit entschuldigt;
die Figur ist lebensfähig, sie führt als eine „Art
Herme" ein berechtigtes Dasein. Der Herr verräth
uns auch — und nur der Küustler selbst kann ihm
diesen Umstand mitgetheilt haben —, daß die Figur
deshalb ohne Arme geblieben ist, weil der Marmor-
block dazu nicht gelangt habe. Somit war also die
Armelosigkeit eine äußere Nöthigung und von vorn-
herein gar nicht vorgesehen? Kein Marmor mehr
— keine Arme! Wer lacht da?
Den Körper des Standbildes nennt Herr M. mit
Recht nichts weniger als einwandfrei. Ts giebt ja
allerdings keinen eorpu8 loAieum — aber daß man
einer Amphitrite ansehen muß, sie hat ein Korsett
getragen, einer Meergöttin, die im Spiele der Wellen
täglich sich erlustigt, das ist stark. Realismus ä tonte
outranos! Beruhigen wir uns jedoch — die Göttis
hat ja den Schnürleib abgelegt, bevor sie sich dar

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geber.
 
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