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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 17
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Gensel, Otto Walther: Pariser Brief
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M., C.: Dresden: Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0304

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26H

DieAunst-^alle -z-

Nr. f7

aus einer ungeheuren, von einem mächtigen Glasdach
überwölbten Halle mit Galerien ringsum, der ohne jede
Notivirung eine antikisirende Fassade mit Säulenhallen
vorgelegt ist. Im Mittelbau befinden sich unten die Ställe
für den Lonours lnppigus und oben ein Konzertsaal,
im Hinteren Theile, dessen nach der Avenue d'Antin zu
gelegene Fassade an diejenige des alten Industriepalastes
erinnert, ein ovaler Lhrensaal und eine Unzahl Geschäfts-
räume. Man sieht, der Palast soll vielen Zwecken dienen.
Der Hintere Theil enthält die Iahrhundertausstellung der
französischen Kunst. Soweit ich es bis jetzt beurtheilen
kann, sind die berühmten Meister weniger glänzend ver-
treten als bei der Iubelausstellung von (88Y, was sich
schon daraus erklären würde, daß man grundsätzlich keines
der damals ausgestellten Gemälde wieder ausgenommen
hat. Dafür ist einigen damals völlig vernachlässigten
Künstlern jetzt wieder zu ihrem Rechte verholfen worden.
Bei der internationalen Kunstausstellung, die alle übrigen
Räume einnimmt, haben die Franzosen mit der ihnen
eigenen Bescheidenheit sechsunddreißig Säle für sich mit
Beschlag belegt und den eingeladenen Nationen je einen,
zwei oder drei gnädigst überlassen. Nun dieser Mangel
an Höflichkeit hat sich furchtbar gerächt. Während man in
den anderen Abteilungen, wenn auch nicht durchaus un-
getrübte so doch starke und nachhaltige Eindrücke empfängt,
bringt man aus der französischen hauptsächlich Kops-
schmerzen mit nach Hause. Statt durch einen Ausschuß
verständnißvoller Leute eine Auswahl der besten und
charakteristischsten Bilder der letzten Jahre treffen zu lassen,
haben die Franzosen eine Jury eingesetzt. Diese Jury,
nicht besser und nicht schlechter als alle anderen solchen
Körperschaften, hat ihre Wirksamkeit damit begonnen sich
selbst Zensurfreiheit und zwar gleich für je a ch t Bilder
zuzuerkennen. Die meisten Mitglieder aber haben nun
nichts Eiligeres zu thun gehabt, als die acht größten und
in die Augen fallendsten ihrer Bilder zusammenzubringen.
Man scheint die Kunst in Paris wahrhaft nach der Elle
zu messen. Wie vornehm machen sich dagegen die Aus-
stellungen Deutschlands, Oesterreichs, Englands, der Ber-
einigten Staaten. Zu Allem kann man freilich auch hier
nicht Ja und Amen sagen. Line Ausstellung, die elf
Bilder von Lenbach enthält, in der aber Klinger, von Hof-
mann, die Worpsweder gar nicht und Menzel, Thoma und
Leibi ganz ungenügend vertreten sind, mag eine sehr
schöne und sehr geschmackvolle Sache sein, ist aber keine
Vertretung Deutschlands, aus der sich der Ausländer ein
richtiges Bild von unserer heutigen Kunst machen kann.
Hi
vrerOen:
s^tiyskbi-ief.
Wo I ffraininsche Kunstsalon im viktoriahause,
dessen Betrachtung wir das letzte Mal mit den
interessanten Steinradirungen von Schulte im Hofe verlassen
hatten, brachte seitdem erst eine Karlsruher Ausstellung,
die, ohne ein besonderes Gepräge zu tragen, doch viel Gutes
brachte. Malerisch interessirt der jetzt in München lebende
Franz Hoch am meisten, dessen tieftonige vornehm gestimmte
Landschaften eine stille ernste Künstlernatur verrathen.
Max Lieber war mit (5 durchweg guten, herrlich studirten
Landschaften vertreten, denen aber doch ein letztes, was
über die tüchtige Studie hinaushebt, fehlte. Dieser Aus-

stellung folgte eine solche belgischer Künstler, die einen
vollen Erfolg bedeutete, eine Reihe ausgewählt schöner
und interessanter Bilder und Bildwerke, die in der vor-
trefflichen Aufstellung eingehend kennen lernen zu können
ein Genuß war. Bor Allem ist Henry Luyten-Antwerpen
mit seinem eine Fülle packender Einzelheiten zu einem
wuchtig wirkenden Ganzen zusammenfassenden dreitheiligen
Kolossalgemälde „der Kampf ums Leben" zu nennen. Das
Mittelbild zeigt eine wüste wirthshausszene, in der ein
Arbeiter, auf einem Tische stehend, zum Aufruhr auffordert:
seine Zuhörer, erhitzte und halb betrunkene Männer und
Weiber, drängen sich johlend um ihn in wirrem Durchein-
ander. Dieser stark bewegte Vorgang, der mit erstaunlicher
Lebendigkeit und malerisch meisterhaft wiedergegeben ist,
kontraftirt mit den beiden Seitenbildern: rechts bei trübem
Laternenschein auf kothiger Straße eine eilig davonfchreitende
zerlumpte Frau, ein Kind im Arm, eins neben ihr durch
die Pfützen laufend, vom Wind zerzaust, ein ergreifendes
Bild des Proletarierelends, links eine lange Reihe an einem
Zaune auf der Erde niedergelegter Leichen, der Opfer des
Aufruhrs, mit in heftiger Bewegung erstarrten Gliedern,
von einem bewaffneten Posten bewacht. Wohl Niemand
wird sich dem Eindrücke der Kraft dieser Darstellung ent-
ziehen können, so packend wirkt es in seiner lebendigen
Deutlichkeit, so ergreisend und wahr in allen Einzelheiten.
Auch äußerlich betrachtet, bietet das Bild unendlich viel
was besonders den Künstler interessirt, virtuose Mache,
große Sicherheit im Ausdruck der schwierigsten Bewegungen,
und was besonders auf das rechte Seitenbild zu beziehen
ist, hervorragende malerische (Dualitäten, vor einem an-
deren kleineren Triptychon desselben Künstlers „Kinder des
Meeres", das als Ganzes weniger bedeutet, ist besonders
das rechte Seitenbild, Kinder im seichten Strandwasser bei
Heller Sonne spielend, als außerordentlich schön in der
Farbe, hervorzuheben. Auch den von früheren Ausstellungen
her bekannten Ziegelträgerinnen begegneten wir hier nebst
manchem andern vortrefflichen Bilde, so daß der Gesammt-
eindruck ein äußerst günstiger war. Neben ihm sind Franz
van Leemputten mit einigen seiner feintonigen Hellen land-
schaftlichen Genrebilder zu erwähnen. Henri Gttewaere
schien uns diesmal schwächlicher als bisher, ja sogar sichtlich
manierirt. Außerdem seien erwähnt H. Smits-Brüssel mit
einer merkwürdig einfach gemachten wirkungsvollen Mai-
landschaft, Firmin Baes mit einem sehr sonnigen Lrntebild,
Franz Binje mit 2 malerischen Aquarellen und der bisher
hier unbekannte Alberto Tiamberlani-Brüssel, dessen Studien
und Röthelzeichnungen groß aufgefaßt sind. Die ausge-
stellten kleinen Bildwerke von E. Meunier boten nichts
Neues, während Victor Rousseau, hier bisher so gut wie
unbekannt, aufs Höchste interessirte. Seine Frauenbüste
kann schlechthin als meisterhaft bezeichnet werden, ein
junges reifes Weib mit reichem Haarschmuck, bei größter
Linfachkeit der weichen Formenbehandlung von seltsam
lebendigem Ausdruck, der noch in der Erinnerung fesselt,
phantasievoll in der Darstellung ist weiter das Relief
„l'LvsuAls clestin", während die „Lloups äss voluptös", eine
kleine auf zierlichem Fuß stehende Bronzeschale mit zwei sich
von gegenüberliegenden Punkten des Randes zu einander
neigenden und in der Mitte im Kuß sich vereinigenden
nackten Figuren ein reizvoller kunstgewerblicher Gegen-
stand ist.
Der Kunstverein bot in dem gleichen Zeiträume
eine Kollektivausstellung des hiesigen Malers Georg Schwenk,
die zum größten Theil schon im Berliner Künstlerhaus zu
sehen war und s. Z. von dort aus besprochen wurde, wes-
wegen wir hier nicht näher auf sie einzugehen haben.
Der Gesammteindruck war der einer hohen Zielen nach-
strebenden ernsten Persönlichkeit: daß der Künstler in
seinem großen Bilde seine Kunst in den Dienst der Pro-
paganda für naturgemäße Lebensweise stellt, ist ihm viel-
fach vorgeworfen worden, jedenfalls verdient aber die Art
der Darstellung und die malerische Ausführung große An-
erkennung; ebenso die für ein Kinderkrankenhaus bestimmten
Märchenbilder, besonders aber die in straffer Federzeichnung
ausgeführten Kopfleisten für religiöse Schriften.
weiter interessirte eine Anzahl von Velgemälden des
Parisers E. Burnand, in reicher Abwechselung Landschaften,
Thierstücke und Figurenbilder: ein Mann mit einem Ochsen-
 
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