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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 18
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Zimmern, Helen: Aus dem Florentiner Kunstleben
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Schwalbe, B.: Reform im Schul-Zeichen-Unterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0318

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276

Die Kunst-Halle

Nr. s8

von dort ging er nach London, immer in irgend
einer Thätigkeit für den täglichen Groschen sich
mühend. Er lernte allmählich das Französische und
Englische beherrschen, in London unterrichtete er in
einer Mädchenschule, in Paris verkaufte er Skizzen
im Palais Royal, und die Nächte widmete er dem
Geigenspiel, wobei es nicht selten vorkam, daß er
von einem Tag bis in den andern hinein kein Auge
schloß. Dies konnte er natürlich nicht lange aushalten.
Ein plötzlicher und ernster Anfall von Nervenschwäche
machte für Herrnphilipp die Rückkehr nach Deutschland
nöthig, wo er sich einer Rur unterziehen und drei
Monate lang von Morgens bis Abends Holz sägen
mußte. Als er sich in der Besserung befand, amüsirte
er die übriger: Insassen der Anstalt damit, daß er
ihre Porträts zeichnete. Er bewies ein so großes
Talent hierfür, daß man ihn: dringend rieth, dasselbe
praktisch zu verwerthen. Als er, auf die ihm zu
Theil gewordenen Ermuthigungen hin, eine von diesen
Skizzen einen: tonangebenden Künstler einreichte, war
dessen Gutachten ein so glänzendes, daß der junge
Musiker, durch dieses Lob angespornt, fortan mit
gleicher Ausdauer den Zeichenstift, wie den Violin-
bogen führte. Wiederum eine Zeit angestrengter
Thätigkeitund aufreibenden Etudirens bei nothdürftigen:
Lebensunterhalte, bis abermals ein Zusammenbruch
erfolgte, hiernach war es mit den Aussichten auf
eine musikalische Karriere gäuzlich vorbei, denn der
Arzt verbot Herrn Philipp die Geige auch nur anzu-
rühren. Jetzt suchte und fand er sein Heil bei der
Malkunst. Und die Uebung, welche er schon im
Handhaben des Zeichenstifts gewonnen hatte, kam
ihn: sehr zu statten. Er wurde vou deu besten Lehrern
unterrichtet und erhielt in Anerkennung seines Fleißes
und Lerneifers ein Stipendium an der Münchener
Akademie. Dort erfreute er sich bald des warmen
Interesses seiner Lehrer, und nach Ablauf seiner
Studienzeit konnte er getrost der Zukunft entgegen
sehen. Einige seiner Porträts gelangten zur Beachtung
seitens maßgebender Personen, und von nun an
stellten sich ihn: keine Hindernisse mehr entgegen, die
er nicht rasch und sicher zu überwinde:: vermochte.
Ihm hat die Kunstwelt sich erst nach schweren:
Ringen und sogar im Kampf nut der Noth des
Daseins erschlossen, von den: Ernst, den ihm das
Leben gezeigt hat, spürt man etwas in seinen:
künstlerischen Schaffen. Er sieht die Schönheit im
Charakter, und diesen treu und wahr in Gestalt und
Antlitz wiederzugeben, gilt ihm als vornehmstes Ziel
seiner Kunst. Kraft und Entschlossenheit sind die
hervorragendsten Züge seiner Menschendarstellung.
Wohl sprechen hier und da die Linien des Mundes,
die Senkung der Wimper von Leid und Kummer,
doch nicht von solchen der Enttäuschung, dem Weh
der Hoffnungslosigkeit. Es sind die Merkmale schmerz-
licher Erfahrungen, wie sie ein Leben der That und
des Strebens mit sich bringt.

Herr Philipp, der den Sommer über in Deutsch-
land geweilt hat, um dort Porträts zu maleu, gedenkt
seine Thätigkeit in Florenz fortzusetzen, wo ihn: von
zahlreichen Beurtheilern eine glänzende Laufbahn
prophezeit wird.
bekorm im Zcbul-Leicben-
Unterricbt.*)
von Prof. Dr. B. Schwalbe, Berlin.

n einer Zeit, wo unser Schulwesen in vollster Ent-
wickelung ist, wo man überall Reformen verlangt, und
wo man als Reformen Pläne, die schon längst vorgeschlagen
waren, ausgiebt und Bestrebungen, die schon feit Jahrzehnten
vorhanden waren, als neu einführt, wird an und für sich
jeder Vorschlag, der die Hauptrichtung der neuen Bestre-
bungen zu fördern geeignet ist, „Hebung der Anschauung,
Aufbau der Bildung durch die zum Bewußtsein gebrachten
Wahrnehmungen und die aus der geordneten Beobachtung
und dem Experiment ergebenden Schlußfolgerungen" will-
kommen sein, und ein solcher Vorschlag wird zur Frage
führen, ob nicht ein versuch innerhalb des gegebenen
allgemeinen Rahmens unserer Schuleinrichtungen gemacht
werden könnte, diesen oder jenen Reformgedanken auf
seine Richtigkeit praktisch zu prüfen.
Für den Zeichenunterricht sind es wesentlich zwei
Reformen, die hier vorgeschlagen werden. Zunächst die
Zurückverlequng des Unterrichts über Sexta
hinaus mit dem Anfang im 7. resp. 8. Lebensjahr, also
in der zweiten Vorschulklasse. — In der That hat die
Streichung des Zeichenunterrichts in Sexta, die mit Rücksicht
auf die Ueberbürdungsfrage, welche unsere heutige Päda-
gogik so wenig vortheilhaft beeinflußt hat, angeordnet war,
wenig Anerkennung gefunden. Schon in den Pensen von
l8y2 ergiebt sich aus dem Stoffe, der in Sexta in Geographie
und Naturgeschichte verarbeitet werden soll, daß eigentlich
auch Zeichenunterricht in dieser Klasse ertheilt werden
müßte. In beiden Fächern soll das Zeichnen zu Hilfe
genommen werden, und wenn diese Forderung hier noch
nicht bestimmt ausgesprochen ist, so ist dies doch für Guinta
(Gymnasium und Realanstalten) der Fall, wo „Ueb ungen
in: einfachen schematischen Zeichnen des Beobach-
teten" verlangt werden (p. 59 der Pensen), und ebenso
in der Geographie: Anfänge im Entwerfen von einfachen
Umrissen an der Wandtafel (p. ^9), die einen Theil des
Pensums ausmachen; dies ist aber nur möglich, wenn
zeichnerische Uebungen vorangegangen sind. Auch für das
Rechnen in Sexta würde das Zeichnen ein wesentliches
Hilfsmittel sein. Die geometrische Darstellung der Maaße
kann nicht früh genug geübt werden, nur hierdurch und
durch die praktische Uebung, die nicht früh genug vorge-
nommen werden kann, ist es möglich, die Maaße so einzu-
prägen, daß der Schüler „nach Maaß" die Größen beurtheilen
lernt und nicht die Anwendung des Flächen- und Raum-
*) Emanuel Grosser, Porträtmaler, Reform in:
Schul-Zeichenunterricht, Zeitgemäße Betrachtungen und Vor-
schläge. Mit Vorwort von Prof. Dr.B.Schwalbe, Direktor des
Dorotheenstädtischen Realgymnasiums zu Berlin. Verlag
von wilh. Süsserott, Berlin ^900.
 
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