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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 10
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Galland, Georg: Die Kunst unter Sittenkontrolle
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Zur Kritik der Moderne
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0174

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4- Die Nun st-Halle

Nr. sO


In der Blüthezeit des Griechenthums hat sich
die Auffassung des Göttlichen jedenfalls nicht mit
der Nacktheit verknüpft. Jupiter, Hera, Pallas,
Hestia — wer hätte gewagt hier die Gewandung
fortzulassen? Und wie fiel es auf, als Praxiteles
als Erster die Aphrodite völlig hüllenlos darzustellen
wagte? Seitdem schwand auch immer mehr die ge-
feierte naive Reinheit der griechischen Kunst, und die
Freude an der sinnlichen Schönheit ließ den keuschen
Adel, das Ethos der älteren klassischen Werke immer
mehr in Vergessenheit kommen. Sollen daher die
Griechen unsere Führer sein, so ist es gut, unsere
jungen Künstler an jene früheren Epochen der Antike
zu erinnern, da in den Werken geistige und leibliche
Schönheit in voller Harmonie prangten, da man zu
den berühmtesten Schöpfungen der gefeierten Weister
nicht pilgerte, „um sinnliche Körperschönheit zu be-
wundern, sondern um Kummer uud Leid zu ver-
gessen, um sich einen richtigen Begriff von dem Gött-
lichen zu bilden." —
So erheischen die üblichen Anschauungen auf
beiden Seiten, die in dieser Frage kürzlich zu Worte
kamen, eine gewisse Richtigstellung. Hier muß eine
Gewöhnung an edle Sinnlichkeit, ohne die, nach
H. Riegel's Worten „die Kunst zu einem Gespenst"
herabsinkt, an die Unterschiede zwischen jener und
der Lüsternheit, durch intensive Belehrung angestrebt
werden — dort muß Künstlern wie Laien klargelegt
werden, daß Nacktheit bei den Gestaltungen niemals
aus einein unedlen Motiv gewählt werden, sondern
stets aus einer ernsten künstlerischen Nothwendigkeit
gleichsam als Faktor der Schöpfung resultiren soll.
Sie wirkt unrein, wenn sie nicht Idee und Wesen
des Gebildes erklären hilft, verächtlich, wenn sie dies
von der sittlichen Höhe der Aufgabe herabzieht.
Ich habe indeß zur weit überwiegenden Mehr-
heit der deutschen Künstlerschaft das Vertrauen, daß
sie auf dem hier angedeuteten Boden vollbewußt ehr-
lich arbeitet und nur darum keine Ursache hat, auf
einen im Reichstage, also außerhalb der Fachkreise,
gegen sie geschleuderten Vorwurf, sie nehme diese
Dinge nicht ernsthaft genug, zu reagiren — ganz
abgesehen davon, daß sie auch nicht hinlänglichen
Grund findet, an den: ihr oft genug bewiesenen
Wohlwollen der Staatsregierung neuerdings zu
zweifeln. G. G.

Lm Wtik aer Moderne.
pMl^n einer zur Feier der Jahrhundertwende
uu Festsaale des Künstlerhauses gehaltenen
akademischen Festrede hat Direktor A. von
Werner am Schluffe eines historischen Ueberblickes
auch eine Kritik der Moderne gegeben, die sich
natürlich nur gegen die Auswüchse der jüngsten Zeit

richtet. Da der Vortrag uns jetzt gedruckt vorliegt,
sind wir in der Lage, diese Schlußkritik hier auszugs-
weise wortgetreu wiederzugeben:
„. . . Line neue Zeit wird proklamirt, welche auch
eine neue Kunst durchaus nöthig hat. wir werden
darauf hingewiesen, daß es jetzt Dekadenten, Neu-
rastheniker und Gigerln giebt, welche auch ihre
Kunst haben wollen, und daß es sowohl für Künstler
wie Publikum nothwendig ist, zu begreifen, daß Vernunft
und Wissenschaft, Klarheit im Denken und Energie
im wollen, Eigenschaften, welche man s870 noch
den Deutschen nachgerühmt hat, in der Kunst ein
vollständig überwundener Standpunkt sind, wir
müssen vor Allem modern sein, und die deutsche
Kunst (ich spreche hier immer von der bildenden,
vornehmlich der Malerei) braucht heute: Gefühl,
Stimmuug, Stimmung um jeden Preis, irgend etwas
Unbegreifliches, Unklares, Undefinirbares, Symbolis-
mus, Mystizismus, „müde Linien", wie ein Herold
des neuen Stiles, natürlich ganz ernsthaft, die
Schlangen- und Bandwurmlinien nennt, welche uns
jetzt von allen Seiten umwimmeln, und noch vieles
Andere, was sich mit den deutschen Wörtern: „häßlich
und widerlich", ohne gerade beleidigend zu werden,
am richtigsten bezeichnen läßt. Und das Alles soll
nun der künstlerische Ausdruck für die Macht und
Herrlichkeit des neuen Deutschen Reiches und für
das Deutschthum am Ende des ssl. Jahrhunderts
sein? Sollte hier nicht etwa ein Irrthum oder eine
Krankheit vorliegen? so hört man von allen Seiten
fragen.
Aber wir leben ja entsprechend tieferer philo-
sophischer Einsicht in der Zeit der Umwerthung aller
werthe: das Schlechte wird gut, das Falsche echt,
das Häßliche schön, was zweifellos als recht bequem
und angenehm empfunden werden muß. wer hielte
sich nicht gern für einen Uebermenschen, da es fo
schwer zu sein scheint, unter Menschen Mensch zu
sein? Der moderne, stolze Individualismus ver-
langt sein Recht, und der deutsche Künstler — ich
meine natürlich durchaus nicht jeden — sucht zunächst
als Ausdruck seiner Individualität Alles eifrig nach-
zumachen, was uns aus Paris oder sonst woher
von Jahr zu Jahr als Modernstes gemeldet wird,
nicht nur das Gute, weil das so schwierig ist, aber:
die mißverstandene plein-air-Malerei, die Grau- und
Armeleutemalerei, den Impressionismus und Inten-
tionismus, Verismus und Primitivismus, auch die
Sezession, welche uns Paris (8^0 vormachte und
welche seitdem jede deutsche Kunststadt habe?: muß,
und sei es nicht 'ne Sezession, so doch ein Sezessiönchen,
das Alles, Alles ist bei uns der Reihe nach nachge-
macht worden, vielleicht wird auch einmal der
Germanismus bei uns nachgemacht, wen?: er
an der Seine erst Mode geworden ist. . .
In einem Katalog einer Sonderausstellung las
ich vor einigen Jahren im erläuternden Vorwort:
„Ich bin weder Maler noch Bildhauer aber ich
bin Ich und stelle meine Werke aus!" Darnach
wäre das objektive Könne?: ein überwundener Stand-
punkt und das subjektive und individuelle wollen,
Stimmung und Empfindung treten an seine Stelle
und solle?: als berechtigte, individuelle künstlerische
Aeußerung respektirt werden. . .
Es scheint, als ob neben vielem Anderen der
von mir gebrauchte Ausdruck „Narrheiten" be-
sonderen Anstoß erregt hat. Sollte es zutreffender
erscheinen, dafür „Krankheiten" oder „Verrücktheiten"
zu setzen, so habe ich nichts dagegen. Zur Er-
 
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