Die Run st-Palle
Nr. 6
seinen Bildern wiederfinden wollte. Und dennoch
war der Verstorbene durchaus ein moderner Mensch,
kein Idealist im altern Sinne. Das ihn umgebende
Leben lieferte ihm allein seine Motive, er wählte aber
stets solche, welche die anmuthigen und gemüthvollen
Seiten desselben repräsentirten. In dieser Vereinigung
von Modernität und Empfindung besteht auch sein
beträchtlicher Einfluß auf die heutige lombardische
Malerei; und nicht nur auf die Malerei, auch auf
die Skulptur hat er belebend eingewirkt — er, der
sich mit so vielen koloristischen Problemen der folgenden
Generation beschäftigte, um sie in seiner synthetischen
Technik der Lösung entgegenzuführen. Auch als
Bildnißmaler hat sich Tremona Verdienste erworben.
Im Suchen nach den charakteristischen Momenten
in den Physiognomien fand und erfaßte er das be-
deutsamste und flüchtigste, den Reflex der Seele. And
so wurde er endlich ein Seelenmaler, wie er längst
ein Maler der Schönheit war.
V
Lwei neue venkmäler in Paris.
Von Walther Gensel, Paris.
aris ist in den letzten Wochen um zwei große
Denkmäler reicher geworden. Am Aller-
heiligentage wurde auf dem großen Ost-
friedhofe Usre-Uaebkiss in aller Stille die
letzte pülle von dem Todtendenkmal Albert Bartho-
lomss hinweggenommen, am ff)- November mit
einem Pompe ohne Gleichen das riesige Denkmal
der Republik auf der Ulass cls la Aktion von
Dalou eingeweiht. Beide Denkmäler bezeichnenden
Gipfelpunkt in der Laufbahn ihrer Schöpfer, von
beiden ist seit vielen Jahren die Rede gewesen. Das
ist aber auch Alles, was sie gemeinsam haben, sonst
gähnt eine unüberbrückbare Rluft zwischen ihnen,
wer sich von dem einen bis in die innersten Lasern
seines Wesens ergreifen läßt, kann das andere un-
möglich schön finden; wer dieses bewundert, kann
jenes nicht ganz verstehen.
Das Llonumsnt aux Norts erinnert in seinen
architektonischen Formen an die ägyptischen Grab-
stätten. Die beiden Seiten entbehren fast jedes
Schmuckes; in der Mitte bauen sich zwei Stockwerke
übereinander auf, von denen das untere, ein wenig
vorspringend, als Unterlage für ein gewaltiges pock-
relief dient.
Zu den Seiten des „Thores des Unerforschlichen"
erblicken wir Reihen von je sieben überlebensgroßen
Gestalten, die Menschheit im Angesichte des Todes.
Ein Mann hält sich krampfhaft an dem Thore fest,
um das Furchtbare noch nicht zu schauen. Ein junges
Weib mit aufgelösten paaren ist zu Boden gesunken
und drückt in wilder Angst ihr Antlitz auf den Stein.
Pinter ihr kniet ein Mädchen, vertrauensvoll die
pände zum Gebet faltend. Ein Mann sucht die
Gattin zu stützen, die in wortloser Oual zusammen-
bricht. Eine Jungfrau sendet einen letzten Ruß nach
dem Leben zurück, dem sie so früh entrissen und das
doch so reich an Erinnerungen für sie ist. Auf ver-
änderen Seite vergräbt eine alte Frau, auf einem
Stein sitzend, den Ropf verzweiflungsvoll in die
pände. Und hinter ihr kommen neue Gestalten,
angstvoll zurückbebend oder vertrauensvoll sich nahend,
Tröstende und des Trostes Bedürftige.
Durch das offene Thor aber tasten sich bereits
zwei Gestalten, ein Mann und ein Weib, in die
Finsterniß hinein, wohin schreiten die Beiden? Ist
es das Nichts, das sie erwartet, der ewige ungestörte
Schlaf? Ist es etwas Schreckliches, das sie schauen
werden, oder winken ihnen die Freuden des Para-
dieses? Rein Dogma giebt uns der Rünstler zur
Antwort. Unten blicken wir in ein offenes Grab.
Eine Gestalt voll unendlicher Barmherzigkeit hat den
Steinhinweggenommen und blickt herab auf die in tiefen
Schlaf Versunkenen, einen Mann, ein Weib und ein
Rind. Ist sie gekommen siezu wecken? „LinLicht leuchtet
über denen, die im Reiche des Schattens wandelten."
Ist diese Deutung die richtige? Das Denkmal ist
auf sehr verschiedene weise erklärt worden. Vielleicht
ist das ein Mangel, vielleicht ist es aber auch ein
Zeichen dafür, daß Jeder, welches Glaubens er auch
sein mag, sich das Seine aus ihm herauszulesen vermag.
Darin sind Alle einig, daß eine unendliche Poesie zu-
gleich des Schmerzes und des Trostes aus ihm strömt.
Rönnte ich dem Leser doch die Tiefe und Zart-
heit der Empfindung, die Schlichtheit und den Reich-
thum der Romposition, die klassische Schönheit und
die individuelle Behandlung der Formen schildern,
lauter scheinbare Widersprüche, die sich vor dem
Denkmal selbst sofort auflösen! Alle Figuren sind
nackt oder fast nackt, aber niemals vielleicht ist das
Nackte in der neuesten Runst mit so vollkommener
Reuschheit dargestellt worden. Sie sind frei von
jedem Naturalismus, der Akt ist in ihnen völlig über-
wunden, i und doch haben sie nichts von der etwas
weichlichen, nach einem Schönheitskanon konstruirten
Formgebung so vieler Idealisten. Die Gestalten der
im Grabe Liegenden sind sogar direkt herb. Das
Allerwunderbarste ist vielleicht, wie in den Gesten
des Schmerzes mit unendlichem Takte zwischen zu
großer Natürlichkeit und schauspielerischer Mäßigung
genau die richtige Mitte eingehalten ist. Nicht alle
Figuren sind gleich vollendet, wohl möchte Mancher
hier und da etwas andres wünschen. Einige aber
gehören zu den allerschönsten, die die moderne Plastik
— ja, wenn die Geschichte uns nicht lehrte, daß es
vermessen ist, über Zeitgenossen solche Urtheile aus-
zusprechen, möchte ich sagen: die Plastik überhaupt
hervorgebracht hat. Wie die in das Thor hinein-
schreitende Frau den Ropf nach hinten senkt und den
Arm auf die Schulter des Gatten legt, das ist so
einfach und so groß, daß ein Rind es hätte finden
können und doch die Größten nicht darauf gekommen
sind, einfach und groß wie ein Goethesches Gedicht. . .
wer ist Bartholoms? In der ersten pälfte der
achtziger Jahre konnte man öfters Pastelle und Ge-
mälde von ihm sehen, hauptsächlich Schilderungen
aus dem Leben der Armen und Elenden, u. A. die
„Erholungspause in einer Armenschule" I88fl>). Der
Tod seiner Frau, der ihn bis ins Innerste seines Wesens
erschütterte, führte die entscheidende Wendung herbei.
Damals faßte er den Gedanken zu feinem großen
Werke. Er gab nicht nur die Malerei auf, sondern
verbrannte den größten Theil seiner Gemälde auf
freiem Felde. Alles, was er bis dahin geschaffen,
erschien ihm eitel. Seitdem hat er zwölf Jahre an
dern Denkmal gearbeitet, wie ein Asket lebend, vier-
zehn Stunden täglich schaffend, ja oftmals die Nächte
zu pülfe nehmend. Jede der Gestalten, auch die-
jenigen, von denen wir jetzt im Relief kaum mehr
als den Ropf sehen, wurde in ganzer Figur modellirt