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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 1
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Galland, Georg: Brüsseler Kunst
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Gustav, Leopold: Münchener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0017

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4- Die Aun st-Halle

9

Nr. l

vollgeformten Frauen und Männern des heutigen Brüssel
einen magern kümmerlichen Menschenschlag verbildlichen,
ähnlich dem der alten Spätgothiker Memling und van der
Goes. Mehr dieses Borbild als das realistische Quattro-
cento erscheint bei den Marmor-Gruppen „Das Gebet"
(von Charlier) und „Verzeihung" (von Braecke) wieder-
erweckt. Die kraftvolle, fast skizzenhaft breite Modellirung
der Naturalisten Meunier, van der Etappen, Herain u. A.
erinnert dagegen am meisten an gewisse Schöpfungen
Donatellos, obwohl es angebracht ist, zugleich auf die
wuchtige dekorative Elastik eines Duquesnoy u. a. belgischer
Statuarien der Rubenszeit hinzuweisen. Neben van der
Stappen hat sich als monumentaler Bildner besonders der
Genter p. de Vigne bewährt, nicht nur in der Brügger
Doppelstatue für Breydel und de Konink, wo er ganz ohne
pathetischen Beigeschmack einen packend kraftvollen Ausdruck
bürgerlicher Heldenhaftigkeit gefunden, sondern auch in der
kolossalen Bronze-Gruppe an der Front des alten Museums,
„Krönung der Kunst", die er als Pendant zu van der Stappens
„Erziehung in der Kunst" schuf. De Vignes Gruppe wirkt
lebhafter, aber in den Typen der drei Gestalten minder
originell als die dafür weniger glücklich aufgebaute Gruppe
van der Stoppens.
wer aber die Leistungen der lebenden Bildhauer-
generation in Brüssel studiren will, wird gut thun — da
ihm auch das entfernte Museum des Palais Linquantenaire
gar kein Material bietet — die öffentlichen Schmuckanlagen
der Residenz zu durchsuchen, besonders die auf dem Wege
nach dem südlichen Bois de la Tambre und den wunder-
voll gelegenen Iardin Botanique im Norden der Stadt.
Es ist da sicherlich manches, in seinem extremen und un-
schönen Naturalismus völlig verfehlte Werk zu finden.
Patte man früher auf grünen Wiesenflächen, Blumenbauten,
zwischen anmuthigen Büschen gewöhnlich ideale, an Antiken
sich deutlich anlehnende Personifikationen aufgestellt, so pflegt
man jetzt nicht nur oft ganz andere Motive und Allegorien
zu wählen, die auf das mühsame kärgliche Dasein der
untersten Menschenklassen Hinweisen, sondern stellt in diese
künstlich gehobene Natur, in diese entzückend heitere und
liebliche Gartenkultur bald halbnackte, mißgeformte, zer-
lumpte, dabei oft überlebensgroße Landarbeiter umher,
Gestalten, die, wenn sie sich an solchen bevorzugten Stätten
der Erholung in Wirklichkeit so breit machten wie hier im
Iardin Botanique, einfach von der Polizei fortgejagt werden
dürften. Ls ist unglaublich, was in solcher Verirrung
künstlerischer Ausschmückung von öffentlicher! Anlagen
neuerdings hier geleistet wurde, und daß es eine Kunst-
behörde giebt, die derartigen, anderwärts vielleicht ganz
berechtigten Gestaltungen in Mitten einer vornehmen
Hauptstadt so beträchtlichen Spielraum gewährte. Ich
möchte einige dieser, von der Kompagnie des Bronzes in
Brüssel, I. petermann u. a. hohl gegossenen, durchweg
grün patinirten Bronzen zum Schluß besonders hervor-
heben. van der Stapxens Gruppe: Geflügelter bärtiger
Mann (0llronv8), der einen Jüngling leitet, zeigt eine
wenig geglückte ideale Auffassung und Behandlung. Lin
sich stehend räkelndes Mädchen von L. H. Devillez ist in
der Durchbildung der jugendlichen Formen eine respektable
Leistung, ebenso ein an einer Klippe festgebundener, kahlköpfiger
entseelter Greis von v. de Haan. weitere figürliche
Schöpfungen sind von P. Braecke (Weib mit Reisigbündel),
Le Roy, Desenfans, I. Dillens, G. van Hove, Laermans,

allerlei Thiergestalten von Jean Hsrain, Gaspar,
Samuel u. a. jüngern Bildhauern bemerkenswerth. Man
ersieht jedenfalls, daß der Iardin Botanique viel für die
heimischen Kräfte der Bildnerei gethan hat. G. G.
X
Uüycheyev Hvief.
von Leopold Gustav.
/ er Kunstverein hat bis „auf weiteres" wegen
baulicher Veränderungen feine Thore geschloffen.
Der Kunstreferent ist nun auf die Ausstellungen der Kunst-
händler angewiesen und muß dort das wenige, dem hier
Erwähnung werden kann, aus der großen Zahl braver
Sachen heraussuchen. Doch vor Kunstvereinsschluß sahen wir
dort noch eine Kollektivausstellung von Gabr. Schachinger.
Lin großes Repräsentationsbild des prinzregentsn geht
noch über die Langweile, mit der derlei Aufgaben oft aus-
geführt werden, wie theatralisch das Arrangement mit
den: Hermelin und dem Feldmarschallshut! welche photo-
graphiemäßige Steifheit in der Haltung und dem Ausdruck
des immer leutseligen, greisen Herrschers! Das Blau des
Mnformrockes, welches tiefer zu stimmen die Maler stets
mit mehr oder minder Glück versuchen, glänzt in seiner
ganzen Härte; dann ein gemalter Medaillonrahmen,
Hortensien (I), rothe, weiße, bläuliche und etwas Lorbeer.
M, Töchteralbum! viel besser ist eine Porträtskizze des
deutschen Kronprinzen; nur mit wenig Strichen hingelen-
bacht. Freilich wirkt der Adlerhelm schier erdrückend auf
dem zarten Iünglingskopfe. Recht ansprechend sind die
Porträts eines Herrn und einer Dame; die Kinderbilder
für unseru Geschmack zu säuberlich; in Stillleben verräth
sich tüchtiges Zeichnen; das beste Bild stellt zwei Damen in
Trauer dar. Herbstende Züge und thränenlose, rothe Augen;
Alles einfach gegeben und ergreifend.
Interessant war uns bei Fleischmann ein Zügel aus
dein Jahre t882: Hunde, die schon ausgeschnittene Jagd-
beute beschnuppernd. Noch herrscht ein Braunton vor, aber
die Luftwerthe sind schon grandios gegeben. Bei Lieber-
manns kuhführendem Bauer ist das Thier prächtig modellirt,
Alles andere ist aber oberflächlich hingestrichen. Im gleichen
Kunstsalon sehen wir zwei Lenbachs; eine Art moderne
Diana, farbenkräftig, aber ein wenig posenhaft; das viel
einfachere Bild einer Dame mit Schleier wirkt sympathischer,
vom Heinemannschen Salon erwähnen wir Nonnenbruchs
Dame in japanischem Kostüm. In dein Bilde ist der Koloris-
mus des östlichen Inselreiches mit viel Anempfindung ge-
geben. Andre Brouillet malt ein Bauernmädchen, lässig
auf einer wiese unter blühendem Weißdorn sitzend. Das
Frühlinghafte ist sehr warm empfunden und alles Süßliche
vermieden. Aus Littauers Kunstsaal notirten wir uns
einen Frauenkopf von Hierl-Deronco, bei aller Farbenfreude
etwas herb archaisirend; von I. Leonhard einen koloristisch
wirksamen, rothgeflügelten Engel. Larabins Schreibzimmer-
einrichtung ist im Einzelnen espritvoll; aber menschliche
Formen sind in solcher Verschränkung zu Möbeltheilen be-
nutzt, daß ein völliger ästhetischer Genuß uns nicht möglich
wird.
 
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