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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 18
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Rücklin, R.: Kunst und Mode
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Zimmern, Helen: Aus dem Florentiner Kunstleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0317

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Nr. s8

4- Die Aun st-Halle

275

Hier hat der Kunstindustrielle die Leitung, — eine
Mischung aus Kaufmann, Techniker und Künstler.
Steht die Kunst hier auch oft auf der niedrigsten
Stufe, so steht die Vielseitigkeit der zu beherrschenden
Verhältnisse jedenfalls auf der höchsten, Hier handelt
es sich nicht mehr um Wiederholung, sondern um
Massenherstellung, nicht um Originalität, sondern
um Gangbarkeit. Der Künstler, der hier selbständig
arbeiten, nicht blos sich ins Schlepptau nehmen
lassen will, hat einen ungleich höheren Grad von
nichtkünstlerischen Kenntnissen und Fähigkeiten zu
erwerben, als irgend anderswo.
Diese Kunst im Dienste der Mode steht unzweifel-
haft heute nicht in: richtigen Verhältnisse zu einer
wahren Kunstübung. Die Schuld darau liegt jeden-
falls weniger am guten Willen, als an dem unge-
heuren Ballast von kaufmännischen und technischen
Bedingnissen, unter der sie arbeitet. So nimmt sie,
anstatt eine bescheidene Stellung im Reiche der Kunst
einzunehmen, eine falsche ein. Eine Besserung wird
nur langsam erhofft werden können. Sie kann
durchgreifend nur erfolgen durch die allgemeiner
werdende Kunst- und Geschmacksbildung. Bis zu
welchem Ziele diese gelangen wird, steht dahin.
Ihr höchstes wäre es, zu erreichen, daß die Kunst
der Zeit auch die Mode der Zeit würde.
X
Mz aem Florentiner Isunstleben.
Von Lselen Zimmern, Florenz.

ter den jüngeren ausländischen Künstlern,
die während des vergangenen Jahres in
Florenz gearbeitet haben, ist als der
begabtesten Einer der deutsche Radirer Iohnphilipp
zu nennen. Die vollkommenste Herrschaft über das
von ihm erkorene künstlerische Ausdrucksmittel giebt
sich aus allen seinen Darstellungen kund. Es sind
dies meist nur Porträt- und Studienköpfe, aber
jedes Blatt ist ein Meisterstück. Ein taktvolles Ermessen
der Grenzen, wie ein feinfühliges Erkennen aller
Vortheile der Radirkunst, das ist's, was in erster
Linie den subtilen Reiz der Arbeiten Philipps erklärt.
Grade seine ausgedehnten und vielseitigen Studien
lehrten ihn den hohen Werth der Konzentration, der
Spezialisirung, schätzen. Bei Allem, was aus seiner
Hand hervorgeht, ist die Wirkung eine volle. Ob
auch die Farbe fehlt, es liegt etwas von ihrem Ton
in den sanft schattirten Umrissen. Und diese Vorstellung
ist ganz ohne erkünstelte Effekte und Kniffe erzeugt,
wie solche der französischen Salonmanier eigen sind.
Was dieses Künstlers Arbeiten von jener Mache
unterscheidet ist eben ihre lautere Reinheit. Lin
redliches zeichnerisches Können, eine gründliche
Kenntniß von Form und Linie werden durch die
vollendetste Technik unterstützt, deren Sauberkeit und

Feinheit der Wirkung nicht nur keinen Eintrag thut,
sondern den erfreulichen Lharakter des Ganzen erhöht.
Wie ich schon sagte, widmet Herr Philipp sich
mit Vorliebe den: Porträt- und Tharakterkopf. Am
besten gelingen ihn: alte Gesichter, deren Linien von
Schicksalen erzählen und anstatt der gerundeten
Formen eckige, markirte Züge aufweisen. Ein Antlitz,
das nur hübsch ist und nichts weiter, finden wir
unter seinen Bildnissen nicht, er verschmäht die Wieder-
gabe graziöser Nichtigkeit, und sein Aufenthalt in
Italien hat ihn nur noch mehr gegen die Erzeugnisse
so vieler modernen italienischen Ateliers, einer Kunst
der Gordignani, Torcos u. a. ihres Schlages, bestärkt.
Eine von seinen Tharakterstudien sei hier besonders
erwähnt, der Typus „Egoist". Ohne irgendwie die
Grenze des Rationellen überschritten zu haben, läßt
der Künstler die Miene völliger Selbstbeschaulichkeit
eines ganz vom eigenen Ich erfüllten Menschen
aufs Deutlichste hervortreten. Das Gesicht wirkt
beinahe komisch durch diesen Ausdruck intensiven,
konzentrirten Selbstgefühls.
wo Herr Philipp jugendliche Züge zu porträ-
tiren unternimmt, was er nicht allzugerne thut, deutet
er in der Auffassung schon etwas von den der
Zukunft vorbehaltenen Linien an, was allerdings den
Eindruck der Iugendblüthe und Frische um ein
Weniges beeinträchtigt. Seine Bildnisse, ob männ-
lich oder weiblich, sind alle aus einen ernsten Ton
gestimmt. Zuweilen jedoch besiegt diesen traurigen
Zug, zumal bei alten Frauen, ein Lächeln von kind-
licher Liebenswürdigkeit und Reinheit.
Selten wohl leistet Jemand, der sich erst in
zweiter Berufswahl der Malkunst zugewendet, so
vortreffliches darin, wie Herr Philipp. Seine erste
Neigung galt der Musik. Er wollte Geiger werden
und glaubte nur als solcher es zum Künstler bringen
zu können. In Hamburg einer zahlreichen Familie
entsprossen, stieß er bei seinem Vater, einem rührigen
Kaufmann, aus energischen Widerstand, als er sich
für den musikalischen Berus erklärte. Und da der
Vater bei der Weigerung, ihn Musik studiren zu
lassen, beharrte, sah der Knabe keinen anderen
Ausweg, als das elterliche Haus zu verlassen und
in der Fremde nach der Gelegenheit zur Ausbildung
seines Talentes zu suchen. Natürlich fiel er bald
aus seinen erträumten Himmeln. Er sand die Welt
so voller Musiker, daß kein Plätzchen für einen nuttel-
losen, verlassenen Jungen übrig schien. BurchRetouchiren
von Photographien, was er zum Glück erlernt hatte,
verdiente er sich einen kärglichen Unterhalt. Für
die geliebte Geige blieb ihm nur die Zeit nach
Dunkelwerden, wo er dann mit Leib und Seele übte
bis spät in die Nacht hinein. An Stundennehmen
war indessen nicht zu denken, denn er konnte sich als
Retoucheur nur das nackte Leben fristen. Mit unbeug-
samer Willenskraft hielt er aber an seinem Vorsatz
fest. Von Deutschland begab er sich nach Paris,
 
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