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Die Au n st-Halle -z-
Nr. §
stimmte er, ohne zu ahnen, abermals mit Delacroix
überein, der in seinem Tagebuch wiederholt dieses
Opfern von Details fordert, was „eine große Aunst
sei, die aber von Neulingen ignorirt werde, die Alles
zur Anschauung bringen wollen". Während nun
Tremona an der Lösung dieser von ihm selbst sich
vorgelegten Probleme arbeitete, bildete sich seine Mal-
weise mehr und mehr zu dem, was sie schließlich
wurde. Die Umrisse seiner Figuren traten weniger
scharf hervor, das Detail wurde minder wichtig,
weniger photographisch behandelt. Dafür kam mehr
Plastik hinein, das Tlairobscur gelangte zu höherer
Wirkung, die Fleischtöne gewannen eine schönere
Morbidezza, einen entzückenden Hauch von Lebens-
wärme.
(Schluß folgt.)
ver MnMrevel in üer verliner
Sieges-Mee.
er infame Bubenstreich, dessen Opfer jüngst
in einer nebeligen Nacht die Nebenfiguren
der vier ältesten Markgrafen - Denkmäler
in der Sieges-Allee geworden find, hat allgemeine
Entrüstung hervorgerufen. Das will nicht eben viel
sagen. Denn sollte vielleicht jemand erwartet haben,
daß er von irgend einer Seite Beschönigung oder
gar Lob erfahren würde? Aber ob er im All-
gemeinen so behandelt worden ist, wie es richtig und
würdig gewesen wäre, das steht nicht ganz außer
Zweifel. Oder wäre es zu billigen, daß man —
ohne jeden materiellen Hinweis — ganze weite Meise
oder Stände durch den ausgesprochenen Verdacht ge-
kränkt hat, daß aus ihrer Mitte wohl der Thäter
hervorgegangen sein möchte? Und macht es anderer-
seits nicht beinahe einen komischen Eindruck, wenn
die betroffenen Gemeinschaften sich in corpore gegen
solche Zumuthung wehren und sich die schönsten
Leumunds- und Wohlverhaltens-Zeugnisse ausstellen
lassen; — als wenn es so ganz unmöglich wäre, daß
der Thäter, so gut wie er ja doch irgend einem sonst
durchaus ehrenwerthen Berufe angehören muß, auch
ein räudiges Schaf unter ihnen sein könnte, und es
nach solchen Vorgängen nicht doppelt peinlich sein
müßte, wenn der Herostrat wider Erwarten etwa doch
unter ihnen gefunden würde! Sollte es nicht gerade
in akademischen Kreisen unvergessen sein, daß ein
sehr hoffnungsvoller Züngling aus vornehmem Hause,
Zögling — und zwar im Großen und Ganzen gewiß
nicht unwürdiger Zögling — des weisesten Meisters,
an körperlicher und geistiger Bildung ein leuchtendes
Muster, einst im schönheitstrunkenen Griechenland sich
der Theilnahme an einen: groben Vergehen gegen
öffentliche, noch dazu religiöse Denkmäler mindestens
sehr verdächtig gemacht hat?! Während dies ge-
schrieben wird, meldet die Zeitung, daß nach dem
berühmten Gesetze von der Duplizität der Fälle auch
im benachbarten Potsdam ein Attentat gegen eine
der Sandsteingruppen in den Arkaden des Stadt-
schlosses verübt worden ist. Dieser Fall entbehrt der
Komplikation mit der Möglichkeit einer Tendenz.
Außerdem scheint er ja nachträglich relativ harmlos
aufgeklärt zu sein.
„Nicht Roß, nicht Reisige", singt unsere National-
hymne, „sichern die steile Höh', wo Fürsten stehn";
und kein Schutzmann (in Berlin) und keine Schildwache
(in Potsdam) sichert die Unverletztheit ihrer Bild-
säulen. Die Uebelthaten müssen außerhalb des
Gedankenkreises liegen, wenn sie nicht unternommen
und vollbracht werden sollen; zu verhindern sind
Versuch und Gelingen sonst nicht. Die Verwüstungen
klagen daher unsere Kultur an, sie beschuldigen einen
negativen und einen positiven Fehler unseres öffent-
lichen Erziehungswesens. Davon möchte ich mir
erlauben, an dieser Stelle ein kurzes Wort zu
reden.
Die Kunst verachtet nur, wer sie nicht kennt.
Wer aber ist Schuld daran, wenn der großen Masse
unseres Volkes die Kunst unbekannt ist? Niemand
anders als die berufenen Lehrer und Erzieher des
Volkes! Solche Vorkommnisse wie das in der Sieges-
Allee beschuldigen unser Schulwesen der Unzulänglich-
keit; sie enthüllen einen negativen und einen positiven
Mangel desselben, die beide den unabhängig
Denkenden freilich längst ohnedies bekannt sind.
Die Schule unterläßt etwas, wozu sie ver-
pflichtet wäre; sie thut gar nichts, um Verständniß
und Liebe für die Kunst zu erwecken. Wie wenig
das, was in der Schule mit Erzeugnissen der ver-
schiedenen Künste vorgenommen wird, durch die Art
des Betriebes im Stande ist, den Zweck zu erfüllen,
der hier eben aufgestellt worden ist, habe ich jetzt
genau vor 50 Zähren — damals selbst noch prak-
tischer Schulmann — in öffentlichen Vorträgen aus-
führlich dargelegt. Unter dem Titel: „Aus der
ästhetischen Pädagogik", Berlin 1875 im Druck er-
schienen. Es kommt nicht darauf an, daß man
Kunstwerke im öffentlichen Unterrichte benutzt, weil
nut ihrer Hülfe irgend welche pädagogischen
Zwecke gefördert werden können; sondern die
Künste und ihre Werke müssen selbst zum
Gegenstände planmäßiger Unterweisung gemacht
werden. Damit sollen keine kunstwissenschaftlichen
Lehrstunden verlangt werden, um dem „Ueber-
bürdungs"-Rummel noch mehr Nahrung zuzuführen,
sondern es wird nur eine reichlichere Vermittelung
künstlerischer Anschauungen und die selbständige sach-
gemäße Betrachtung der künstlerischen Dinge — ab-
gesehen von ihrer Dienstbarmachung für außer ihrer
selbst liegende pädagogische Zwecke und Absichten —-
gefordert; — wie ich das seiner Zeit in weit aus-
greifenden Andeutungen zu zeigen versucht habe. Ls
ist hier nicht des Ortes, darauf näher einzugehen.
Daß in dieser Richtung beinahe noch Alles zu thun
ist, weiß jeder Kundige; wenngleich nicht ver-
kannt oder geleugnet werden soll, daß Einiges in-
zwischen schon besser geworden ist.
Für Unterlassungssünden aber kann irgend ein
mehr oder minder zufälliger Ersatz eintreten. Viel
schlimmer ist es, wenn positiv etwas Falsches ge-
schieht. Denn hier ist auf zufällige und spontane
Korrektur nicht zu zählen, und selbst einer zielbe-
wußten Gegenwirkung stellt sich als Folge des ersten
Einflusses ein eben so bewußter zäher widerstand
entgegen. Unsere offizielle Pädagogik zielt direkt auf
die Erzeugung von Gesinnungen ab, auf die
Trainirung in kirchlich frommen und patriotischen
Gefühlen. Das ist ein unverständiger Mißbrauch
der für die Schule verfügbaren Zeit und Kraft. Die
Schule hat zu lehren und zu erziehen, Lmpfindungs-
Die Au n st-Halle -z-
Nr. §
stimmte er, ohne zu ahnen, abermals mit Delacroix
überein, der in seinem Tagebuch wiederholt dieses
Opfern von Details fordert, was „eine große Aunst
sei, die aber von Neulingen ignorirt werde, die Alles
zur Anschauung bringen wollen". Während nun
Tremona an der Lösung dieser von ihm selbst sich
vorgelegten Probleme arbeitete, bildete sich seine Mal-
weise mehr und mehr zu dem, was sie schließlich
wurde. Die Umrisse seiner Figuren traten weniger
scharf hervor, das Detail wurde minder wichtig,
weniger photographisch behandelt. Dafür kam mehr
Plastik hinein, das Tlairobscur gelangte zu höherer
Wirkung, die Fleischtöne gewannen eine schönere
Morbidezza, einen entzückenden Hauch von Lebens-
wärme.
(Schluß folgt.)
ver MnMrevel in üer verliner
Sieges-Mee.
er infame Bubenstreich, dessen Opfer jüngst
in einer nebeligen Nacht die Nebenfiguren
der vier ältesten Markgrafen - Denkmäler
in der Sieges-Allee geworden find, hat allgemeine
Entrüstung hervorgerufen. Das will nicht eben viel
sagen. Denn sollte vielleicht jemand erwartet haben,
daß er von irgend einer Seite Beschönigung oder
gar Lob erfahren würde? Aber ob er im All-
gemeinen so behandelt worden ist, wie es richtig und
würdig gewesen wäre, das steht nicht ganz außer
Zweifel. Oder wäre es zu billigen, daß man —
ohne jeden materiellen Hinweis — ganze weite Meise
oder Stände durch den ausgesprochenen Verdacht ge-
kränkt hat, daß aus ihrer Mitte wohl der Thäter
hervorgegangen sein möchte? Und macht es anderer-
seits nicht beinahe einen komischen Eindruck, wenn
die betroffenen Gemeinschaften sich in corpore gegen
solche Zumuthung wehren und sich die schönsten
Leumunds- und Wohlverhaltens-Zeugnisse ausstellen
lassen; — als wenn es so ganz unmöglich wäre, daß
der Thäter, so gut wie er ja doch irgend einem sonst
durchaus ehrenwerthen Berufe angehören muß, auch
ein räudiges Schaf unter ihnen sein könnte, und es
nach solchen Vorgängen nicht doppelt peinlich sein
müßte, wenn der Herostrat wider Erwarten etwa doch
unter ihnen gefunden würde! Sollte es nicht gerade
in akademischen Kreisen unvergessen sein, daß ein
sehr hoffnungsvoller Züngling aus vornehmem Hause,
Zögling — und zwar im Großen und Ganzen gewiß
nicht unwürdiger Zögling — des weisesten Meisters,
an körperlicher und geistiger Bildung ein leuchtendes
Muster, einst im schönheitstrunkenen Griechenland sich
der Theilnahme an einen: groben Vergehen gegen
öffentliche, noch dazu religiöse Denkmäler mindestens
sehr verdächtig gemacht hat?! Während dies ge-
schrieben wird, meldet die Zeitung, daß nach dem
berühmten Gesetze von der Duplizität der Fälle auch
im benachbarten Potsdam ein Attentat gegen eine
der Sandsteingruppen in den Arkaden des Stadt-
schlosses verübt worden ist. Dieser Fall entbehrt der
Komplikation mit der Möglichkeit einer Tendenz.
Außerdem scheint er ja nachträglich relativ harmlos
aufgeklärt zu sein.
„Nicht Roß, nicht Reisige", singt unsere National-
hymne, „sichern die steile Höh', wo Fürsten stehn";
und kein Schutzmann (in Berlin) und keine Schildwache
(in Potsdam) sichert die Unverletztheit ihrer Bild-
säulen. Die Uebelthaten müssen außerhalb des
Gedankenkreises liegen, wenn sie nicht unternommen
und vollbracht werden sollen; zu verhindern sind
Versuch und Gelingen sonst nicht. Die Verwüstungen
klagen daher unsere Kultur an, sie beschuldigen einen
negativen und einen positiven Fehler unseres öffent-
lichen Erziehungswesens. Davon möchte ich mir
erlauben, an dieser Stelle ein kurzes Wort zu
reden.
Die Kunst verachtet nur, wer sie nicht kennt.
Wer aber ist Schuld daran, wenn der großen Masse
unseres Volkes die Kunst unbekannt ist? Niemand
anders als die berufenen Lehrer und Erzieher des
Volkes! Solche Vorkommnisse wie das in der Sieges-
Allee beschuldigen unser Schulwesen der Unzulänglich-
keit; sie enthüllen einen negativen und einen positiven
Mangel desselben, die beide den unabhängig
Denkenden freilich längst ohnedies bekannt sind.
Die Schule unterläßt etwas, wozu sie ver-
pflichtet wäre; sie thut gar nichts, um Verständniß
und Liebe für die Kunst zu erwecken. Wie wenig
das, was in der Schule mit Erzeugnissen der ver-
schiedenen Künste vorgenommen wird, durch die Art
des Betriebes im Stande ist, den Zweck zu erfüllen,
der hier eben aufgestellt worden ist, habe ich jetzt
genau vor 50 Zähren — damals selbst noch prak-
tischer Schulmann — in öffentlichen Vorträgen aus-
führlich dargelegt. Unter dem Titel: „Aus der
ästhetischen Pädagogik", Berlin 1875 im Druck er-
schienen. Es kommt nicht darauf an, daß man
Kunstwerke im öffentlichen Unterrichte benutzt, weil
nut ihrer Hülfe irgend welche pädagogischen
Zwecke gefördert werden können; sondern die
Künste und ihre Werke müssen selbst zum
Gegenstände planmäßiger Unterweisung gemacht
werden. Damit sollen keine kunstwissenschaftlichen
Lehrstunden verlangt werden, um dem „Ueber-
bürdungs"-Rummel noch mehr Nahrung zuzuführen,
sondern es wird nur eine reichlichere Vermittelung
künstlerischer Anschauungen und die selbständige sach-
gemäße Betrachtung der künstlerischen Dinge — ab-
gesehen von ihrer Dienstbarmachung für außer ihrer
selbst liegende pädagogische Zwecke und Absichten —-
gefordert; — wie ich das seiner Zeit in weit aus-
greifenden Andeutungen zu zeigen versucht habe. Ls
ist hier nicht des Ortes, darauf näher einzugehen.
Daß in dieser Richtung beinahe noch Alles zu thun
ist, weiß jeder Kundige; wenngleich nicht ver-
kannt oder geleugnet werden soll, daß Einiges in-
zwischen schon besser geworden ist.
Für Unterlassungssünden aber kann irgend ein
mehr oder minder zufälliger Ersatz eintreten. Viel
schlimmer ist es, wenn positiv etwas Falsches ge-
schieht. Denn hier ist auf zufällige und spontane
Korrektur nicht zu zählen, und selbst einer zielbe-
wußten Gegenwirkung stellt sich als Folge des ersten
Einflusses ein eben so bewußter zäher widerstand
entgegen. Unsere offizielle Pädagogik zielt direkt auf
die Erzeugung von Gesinnungen ab, auf die
Trainirung in kirchlich frommen und patriotischen
Gefühlen. Das ist ein unverständiger Mißbrauch
der für die Schule verfügbaren Zeit und Kraft. Die
Schule hat zu lehren und zu erziehen, Lmpfindungs-