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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 4
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Berliner Kunstschau
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Kunstchronik
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Nr. q

Die Aunst-^alle -L-

57

pythagoräischen Lehrsatzes. Dieser Mangel an Lnstz an
Tiese im Bilde ist ja vielleicht die durchgehendste und
eigenthiünlichste — wenig neidwürdigel — Eigenheit der
so recht „modernen" Malerei. Gelegentlich ersreut sich
aber auch die gegenständlichste Natur des denkbar
geringsten Respektes: das Skelett neben dem Selbstbildniß
stellt alle anatomischen Grundbegriffe aus den Kops! Doch
zum Schluß auch noch ein paar Glanzpunkte! Reizend er-
funden ist das „Capriccio": ein nacktes Weib, das aus
die Füße der bekannten antiken Bacchusstatue tretend sich
an sie anschmiegt und gierig den steinernen Mund küßt,
wie berückend müßte das wirken, wenn nicht das nüchterne
Alltagslicht, das gleichgültig und gesühllos alle Formen
umspielt, jede seinere malerische Wirkung unmöglich
machte! phantastisch und phantasievoll erweist sich der
Künstler in seiner „Versuchung", vortrefflich ist auch das
Bildniß einer alten Frau, säst nur Kops en tuos. Das
Bild ist weit entsernt von minutiöser Ausführung; aber
es ist bis zur erreichten Wirkung an allen Stellen und
mit voller Unterordnung des Machwerks unter den
künstlerischen Zweck gemalt. Für mich ist dieses kleinste
aller Corinthschen Bilder die perle unter ihnen.
Auch die Plastik hat in dem Salon ihre Karte ab-
gegeben. Bemerkenswerth ist nur Max Klinger, wenn
es wahr ist, was man sich von seiner armlosen sogenannten
(durch nichts charakterisirten) „Amphitrite" erzählt, daß
sie um einen an sich schon unsinnigen Preis erworben und
um einen noch viel — höheren dem ersten Lrsteher ab-
gejagt sein soll, so beweist das, daß es auch ein „Kunst"-
Publikum giebt, bei dem, wie in der Sportwelt, nichts
als die Sensation gilt und wirkt. Der Körper ist nichts
weniger als einwandfrei (allerdings mit sklavischer Modell-
treue fleißig ausgeführt); das Gewand ist einfach elend,
geradezu unmöglich; und um die Polychromie fo zu
machen, braucht man nicht Maler zu fein. Aber all das
könnte so tadellos sein, wie es anfechtbar ist, so wäre die
Idee an sich, eine (nicht etwa architektonische) menschliche
Figur „für neu" ohne Arme zu bilden, als rein närrisch
ausreichend, das Werk aus dem Reiche der Kunst hinaus
und in das der Spielereien zu verweisen. Für diese
Sottise giebt es nicht einmal mildernde Umstände. — Drei
kleine Tänzerinnen von Klinger, die am Rande des
Deckels eines cista-ähnlichen Zylinders umherhüxfen, sind
in der Bewegung sehr gut beobachtet, aber mit jener
Nonchalance gemacht und in der willkürlichen weise mit
einander verbunden, mit der man jetzt gern als „genial"
kokettirt, die aber dem Kundigen als Merkmal des
„fragmentarischen" Genies bekannt und nicht eben gar
ehrwürdig ist. B. M.
X
Aunstchromk.
* Berlin. In der Kgl. Nationalgallerie, in
welcher bekanntlich vor einiger Zeit ein „neues" Pro-
gramm verwirklicht wurde, dessen von manchen Leuten viel-
bewunderte pauxtnummer der Ankauf und die bevorzugte
Anordnung einer Reihe mittelmäßiger moderner französischer
Malereien (von Manet, Monet, Pissaro, Sisley rc.) war,
sollen jetzt heilsame Veränderungen bevorstehen. Sie be-
treffen eben jene Impressionisten, auf deren in Paris ab-
gelegteste Stücke der deutsche Enthusiasmus (wieder einmal)
so gründlich hineinfallen mußte. Fatal war nur, daß die
braven Getreuen ihrem bewunderten Führer aus seinen
kunstkritischen Sünden einen gar stolzen Mantel des Ruhmes

zusammenstickten. Nun fällt plötzlich dieser „Mantel des
perzogs", denn man hört, daß durch eine bevorstehende Um-
stellung der Gräflich Raczynskischen Sammlung im obersten
dritten Stockwerk der Gallerte einige verschwiegene pinter-
kabinette für die „Franzosen" des perrn Direktors demnächst
frei werden.
* Berlin. Aus Frankfurt a. M. wird die Aus-
stellung einer begabter: Schweizer Künstlerin Gttilie
Roeder st ein signalisirt, die dort seit einiger Zeit zu den
um Pans Thoma gruppirten eigenthümlichen Malern gehört.
Nachdem Frl. Roederstein in früheren Jahren in Paris
unter Penner und Carolus Duran studirt hatte, ging sie
darauf im Kreise der Frankfurter Archaisten zum „(Quattro-
cento" über.
* Berlin. Neue Ausstellungen. Bildhauer
Friedrich Pfannschmidt hat bei Gelegenheit der Voll-
endung seiner kolossalen Statue des Bayerischen Generals
von der Tann, die zu Tann a. d. Rhön aufgestellt werden
wird, einen Rückblick auf die Früchte seiner bisherigen
Thätigkeit in seinem Atelier ermöglicht, vor: seiner ersten
Iugendleistung an, einem sitzenden nachdenklichen Archimedes
in Lebensgröße, hat sich seine plastische Darstellungsweise
in nur edlen Formen bewegt und ihn namentlich, gemäß
der Sinnesart seines verstorbenen Vaters, für die Lösung
religiöser Aufgaben befähigt. So kommt es, daß er — ob-
wohl ein Schüler der hiesigen Akademie, zumal F. Schapers —
dennoch in Stil und Empfindung fast mehr zur Richtung
der Romantiker, als zum Klassizismus ^oder gar zum
modernen Realismus der Berliner Schule hinneigt. Am
deutlichsten zeigen dies zwei Lünettenreliefs in der Kaiser
Wilhelm-Gedächtnißkirche: Christus und Nikodemus und
„Die Marien am Grabe", auch die Reliefs in der Gnaden-
kirche. Daß es trotzdem seinen Arbeiten an energischer,
charakteristischer Gestaltung nicht mangelt, beweisen uns seine
Büsten (Kaiser Wilhelm II. und Posprediger Frommel),
zeigt uns die Statue des stark bewegten Simon Zelotes
am hiesigen neuen Dom, ferner die durch einen Konkurrenz-
sieg zur Ausführung gelangte Nischenfigur Kaiser peinrichs I.
am pamburger Rathhaus, das Moltke-Denkmal zu Zerbst
in permenform und ganz besonders jenes durch würdevolle
paltung und feine Porträtdurchbildung des Pauptes aus-
gezeichnete Standbild von der Tanns, dessen Ausführung
in Bronze demnächst erfolgt. — Line Vereinigung von
„Künstlerinnen" hat neuerdings zu einer Bilderaus-
stellung eingeladen, die in zwei kleinen Räumen in:
Schadowhause eröffnet wurde. Nach berühmten Vorgang
hat man auch zwei Gäste, Dora Pitz und Julie Wolf,
Thorn, gebeten — die einzigen Künstlerinnen übrigens an
diesen: Grte, und der Katalog war denn auch ehrlich genug,
dies durch den Druck sichtbar anzudeuten, wir sind keines-
wegs Gegner des Dilettantismus, selbst nicht eines über-
wiegend so untergeordneten, wie er in diesen sich „modern"
gebehrdenden Leistungen zum Theil noch ganz unreifer Mal-
schülerinnen sich an die Oeffentlichkeit wagt, wir meinen
nur, er müßte in angemessenen Schranken sich bethätigen,
nicht in die höhere Kunst hineinpsuschen. Es giebt ja heut-
zutage so viel Anderes für Damen, die ihre müßige Zeit
nicht gerade mit dem üblichen Klaviergeklimper auszufüllen
brauchen, so Vieles allein im Bereiche der sogenannten
angewandten Kunst, daß eine Verständigung unschwer zu
erreichen ist. Ilm nicht allzuhart zu erscheinen, wollen wir
nicht verschweigen, daß wenigstens eine Ausstellerin, Frl.
Käthe Münzer, über das Durchschnittsmaß der Andern
beträchtlich herausragt. — Im Künstlerhause
Bellevuestr. 5 begann am (2. November eine neue
Ausstellung. Felix Possart stellt hier eine Sammlung von
Bildern, Studien und Skizzen aus dem heiligen Lande aus.
In diesem Frühjahr von seiner Palästinareise zurückgekehrt,
hat der Künstler obige Sammlung von dort und speziell
Jerusalem mitgebracht, interessante Volkstypen, Landschaften,
heilige Vrte und Momente aus dem Straßenleben. Ferner
gelangte der künstlerische Nachlaß des verstorbenen Prof.
Gtto v. Kameke zur Ausstellung. Theodor wedepohl
ist mit einer Reihe Porträts vertreten. C. wuttke, München,
kommt mit einer Sonderausstellung von Naturstudien aus
den: Tsingtau-Gebiete, aus Peking, von den: Sommerauf-
enthalt der deutschen Botschaft u. a. künstlerischen Früchten
seiner Weltreise.
 
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