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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 15
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Galland, Georg: Bildhauerschule oder Werkstatt?
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Genfel, Walther: Alfred Stevens
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0263

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Nr. f5

ch- DieAunst-^alle -ch

227

welches sind nun die hauptsächlichen Mißstände?
Vers, wirft, wie schon bemerkt, den heutigen Skulp-
toren vor Allem Unkenntniß der Materialien vor.
Sie seien lediglich Modelleure, keine Bildhauer im
Sinne des Wortes, wie z. B. Michelangelo, der
seine Werke angeblich stets nach einer kleinen pla-
stischen Skizze ganz frei aus dem Steinblock heraus-
schlug. Ob wirklich der aus diesem genialen Vor-
bild gezogene Schluß richtig ist? Oder schuf Michel-
angelo so Herrliches nicht weil, sondern trotzdem er
meist so arbeitete? Das bleibe dahingestellt. Jeden-
falls hat Hrof. Hellmer recht, wenn er sagt, daß des
modernen Bildhauers Arbeit mit dem Hilfsmodell in
Thon oder wachs in der Regel gethan sei. Die
Uebertragung in Stein bezw. Bronze, gewöhnlich
mechanisch von anderer Hand verrichtet, wirkt dann
blos gleichsam wie eine Uebersetzung in eine sremde
Sprache: „Alle Individualität der Formengebung,
jeder Vortrag geht verloren. Nichts von jenem
berückenden, hinreißenden Nervenspiel, keine Aus-
nützung von Zufälligkeiten, kein kraftvoller Ligenwille,
nicht hingebungsvolle Liebe — einfach eine inte-
resselose, schwache Kopie". Die Mehrzahl der
heutigen Erzeugnisse unserer Hlastiker hat der Ver-
fasser nur zu richtig gekennzeichnet.
Der weg zur Heilung der angedeuteten Schäden
ergiebt sich fast von selbst, er heißt: Rückkehr zur
werkstattthätigkeit. Der junge Bildhauer „darf nicht
auf Zeichnen und Modelliren gedrillt werden, er
muß von Jugend auf meißeln, für Bronze bosseln,
in Metall gießen, ziseliren, schnitzen . . . Vorträge
über die Technik der Alten müßten mit den prak-
tischen Versuchen Hand in Hand gehen." Immer
wieder entsteht die Frage, ob eine derartig organisirte
Bildhauerschule noch länger den bestehenden Aka-
demien angegliedert bleiben kann. Andererseits läßt
sich wohl sagen, daß bei dem mit so großen Mitteln
und räumlich überaus opulent ausgestatteten Neubau
der Berliner akademischen Hochschule die Reali-
sirung der Hellmerschen Vorschläge allerdings im
Bereiche des Möglichen läge. Ja, es ist dringend
genug, daß sich die bei uns maßgebenden Faktoren
recht eingehend mit dieser Frage beschäftigen, um
noch rechtzeitig, ehe es zu spät ist, geeignete Maß-
regeln zu ergreifen. Vorgeschlagen werden in der
Schrift als unbedingt erforderlich, außer den
Modellirsälen: Marmoratelier, Versuchsbronzegießerei,
Ziselirabtheilung, Chemisches Laboratorium.
was sich der Vers, zunächst von einer ungleich
müheseligeren Vorbildung des Bildhauers verspricht,
ist die Aussonderung der ernsten Leute von den
Dilettanten, die vielfach nur durch die relativ leichte
Erlernung der bisherigen plastischen Technik angelockt
wurden. Daß dann die hohe Kunst in den Händen
der bis zuletzt ausharrenden „Kerntruppe" weit besser
aufgehoben sein dürfte, als bei den Anderen, denen
das, nur aus inniger Vertrautheit mit dem Material

zu gewinnende, echte plastische Empfinden fehlt, bin ich
mit Hrof. Hellmer völlig überzeugt. Ob indeß
lediglich durch solche Wiedergeburt der guten alten
Bildhauer-, Bildgießer- und Bildschnitzerkunst eine
wirklich, anerkannt und allseitig belohnte „zeitgerechte
Kunst" da sein wird, also eine künftige Hlastik,
welche die heute noch urtheilslose Menge mächtiger
und nachhaltiger fesseln wird, ist einstweilen wohl
nur eine schöne Vermuthung oder Hoffnung, die ich
gern mit dem Verfasser theile. G. G.
X
Alkreä Ste^eys.
Von Walther Gensel, Haris.
Moirekleider, japanische wand-
schirme und Kaschmirshawls, Bälle in den
Tuilerien und Soireen bei der Fürstin
Metternich, eine liebenswürdige und frivole, ver-
gnügungssüchtige und blasirte Gesellschaft, auf die
die Aelteren unter uns sich noch ganz genau zu be-
sinnen vermögen, während sie den Jüngeren in weiter
Ferne zu liegen scheint wie die Tage der Hompadour
oder des Hhilippe Lgalits: das sind die Vorstellungen,
die der Name Alfred Stevens in uns hervorruft.
Ja lebt denn Stevens noch, wird daher Mancher von
uns verwundert ausgerufen haben, als im vorigen
November ein Aufruf für eine zu seinem Besten zu
veranstaltende Ausstellung seiner Werke durch die
Zeitungen ging. Und wir vernahmen, daß der einst
so Gefeierte in Mißmuth und Verbitterung seine Tage
verbringt, daß er krank ist und nicht mehr zu arbeiten
vermag, ja daß selbst Geldsorgen das Alter des einst
mit Reichthümern Ueberschütteten umwölken. Der
Aufruf verhallte nicht ungehört. Damen des höchsten
Adels vereinigten sich mit den hervorragendsten
Künstlern zu einem rührigen Komits, Fürstlichkeiten,
Museen und Sammler schickten bereitwilligst ihre
Bilder, vor einigen Tagen konnte die Ausstellung
in den Räumen der Kools ckes Lsaux-^rts eröffnet
werden. Der Erfolg hat bis jetzt alle Erwartungen
übertroffen und ist wohl verdient. Unter den zwei-
hundert Bildern befinden sich mindestens dreißig ganz
hervorragende Werke. Die Ausstellung ist ein würdiges
Gegenstück zu den Berliner Böcklin-, Menzel- und
Knaus-Ausstellungen.
Am öftesten wird Stevens mit Meissonier ver-
glichen. Er war neben diesem der vorzüglichste
Interieurmaler seiner Zeit, der beste Nachfolger der
niederländischen Kleinmeister. Aber er hat einen
großen Vorzug vor Meissonier. Dieser verachtete im
Allgemeinen das Zeitkostüm, wählte bald wie in den
beiden van de Velde die Tracht des f7., bald wie
in dem Zeitungsleser die ihm noch liebere Tracht
des s8. Jahrhunderts. So mangelt seinen Bildern
der historische Reiz, der sich bei den Terborch und
van der Meer so glücklich mit dem malerischen ver-
bindet. Mögen die Kostüme noch so echt sein, mögen
die Modelle sich noch so ungezwungen in ihnen be-
wegen, das Gefühl des Maskeradenhaften werden
wir doch nicht ganz los. Stevens übernahm nicht
das Kostüm der Niederländer, sondern ihren Geist,
suchte wie sie mit liebevoller Treue Ausschnitte aus
dem Leben seiner Zeit zu geben. Es wird bald die
Zeit kommen, wo wir mit Memoiren aus der Zeit
 
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