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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 17
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Rücklin, R.: Kunst und Mode
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Imhof, Franz: Grosse Berliner Kunstausstellung 1900
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0299

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Nr. N

Die Aunst-Halle -4

259

gerade gegenwärtig. — Es hängt das unzweifelhaft
damit zusammen, daß unserer Zeit das Vorwärts-
streben, das Neuerringen, das Erschließen neuer Ge-
biete als das Erstrebenswertheste jeglicher Lebens-
thätigkeit erscheint. Was modern, was Mode ist,
wird stets das Neueste sein; wer sich dagegen ab-
lehnend verhält, kommt in Gefahr, als Rückständiger
verschrien zu werden. Und nicht nur das. Was
modern ist, ist fein, ist aristokratisch; alles Andere er-
scheint dagegen beschränkt, kleinbürgerlich, — Eigen-
schaften, deren die Neuzeit am allerwenigsten
bezichtigt sein will. Die Sache hat aber auch ihre
wirthschaftliche, ihre soziale Seite. Was die Mode
Neues bringt, ist zunächst relativ theuer und sein
Besitz ein Anzeichen, daß der Käufer sich's Etwas
kosten lassen kann. Damit ist dem fl>rotzenthum Thür
und Thor geöffnet und, wenn dann die minderbe-
mittelten Konsumenten ihre bsände danach ausstrecken
und die Massenindustrie ihre Wünsche zu erfüllen
sich anschickt — der Imitation.
Der Modegeschmack ist der formale Ausdruck
alles dessen, was für neu und für fein gilt; die
Mode ist ein aristokratisches Prinzip, sie breitet sich
stets von oben nach unten aus; die Kunst ist ihrem
innersten Wesen nach demokratisch, sie bindet sich an
keine Gesellschaftsschicht.
Kunst ist erhöhtes Leben, ausgesprochen in der
Materie; Mode ist verfeinertes Leben, nivellirt nach
den Gesetzen der Gesellschaft. Damit haben wir ihre
Aehnlichkeit und ihre Verschiedenheit, ihre Verwandt-
schaft und ihre Gegnerschaft gekennzeichnet. In beiden
prägt sich das Leben formal aus; in beiden wird
das Schönheitsempfinden der Zeit und der Gesell-
schaft in Formeln gebannt. Aber die Kunst arbeitet
für das Lserz, die Mode fürs Auge; wo jene ringt,
da tändelt diese, wo jene nach der Lsöhe strebt, da
tummelt sich diese behaglich ins Breite. Es sind die
beiden Seelen in Fausts Brust, von denen die eine
gewaltsam sich emporhebt, während die andere an
die Erde sich klammert. Sie wollen sich voneinander
trennen, und doch sind sie verwachsen miteinander,
sie wohnen in der Brust der gleichen Zeit. So ver-
ächtlich der Künstler vom Modegeschmack zu sprechen
pflegt, so wenig sollte er versäumen, ihn verstehen
zu lernen: Seien seine Falten noch so glatt und leblos
drapirt, er wird den Schönheitsbegriff der Zeit und
der Gesellschaft darunter entdecken können.
Ich möchte nicht mißverstanden werden, wenn
ich der Geschmacksmode oder dem Modegeschmack
auch vom künstlerischen Standpunkte aus seine Be-
rechtigung zuerkenne. Für das materielle Gedeihen
der Kunst ist er sogar die unentbehrliche Grundlage.
Wohl der größere Theil aller Ankäufe von Kunst-
gegenständen haben ihre Direktive weder einem Lehr-
buchs der Aesthetik, noch einem selbständigen, per-
sönlich-eigenartigen Kunstempfinden, sondern dem je-
weiligen Modegeschmack zu verdanken. Das kann

auch gar nicht anders sein. Wessen Kunsturtheil
nicht auf eigenen Füßen zu stehen vermag, dem wird
man den Gebrauch dieser Krücke nicht verweigern
dürfen. Wie würde es wohl mit unserem so rasch
aufgeblühten modernen Kunsthandwerk heute stehen,
wenn seine Erzeugnisse eben nicht in die „Mode"
gekommen wären? Die Mode verflacht ja wohl,
aber sie breitet auch aus; sie macht Ouersprünge,
aber sie bringt auch Bewegung. Sie ist das Sammel-
becken für die Wasser der Kunst, die ohne sie zwar
lustiger sprudeln, aber auch eher im Sande sich ver-
lieren würden. — Man denkt bei dem Begriff „Mode"
immer nur an ihre Auswüchse, an ihre Geschmack-
losigkeiten; die können nun und nimmer vertheidigt
werden. Aber das ist bei der Kunst auch nicht an-
ders. Auch sie zeitigt Bizarrerien, doktrinäre Ein-
seitigkeiten mehr als genug — ihr Wesen und ihr
Werth kann dadurch nicht berührt werden. Wenn
die Kunst einerseits der Mode bedarf zu ihrem
pekuniären Gedeihen, so kann andererseits die Mode
der Kunst nicht entrathen, ohne ästhetisch zu versumpfen.
Eine Geschichte der Kleidermoden, welche mehr vom
kunst- als vom schneiderwissenschaftlichem Gesichts-
punkte ausginge, würde diesen Satz jedenfalls be-
stätigen müssen: denn auch die Form und die Ge-
staltung der Kleidung ist nicht lediglich Modesache; ein
Stück Kunstempfinden spricht sich immer noch darin aus,
wenn auch Niemand der dabei Betheiligten sich dessen
bewußt ist. wer eine Soutachestickerei auf einem
modernen Damenjackett unbefangen betrachtet, wird
sich sagen müssen, daß das eine moderne Ornamentik
darstellt, nicht schlechter als gar vieles Andere. Unsere
gesammte Kunstindustrie steht, sagen wir es einmal
ruhig heraus, nicht im Dienste der Kunst, sondern
in dem der jeweiligen Kunstmode, und es wäre sinn-
los, ihr daraus einen Vorwurf machen zu wollen.
Wir haben gelernt, die Arbeit der Dilettanten, der
Liebhaberkünstler, als Pioniere ernster Kunstarbeit zu
schätzen: Wir werden auch den verwässerten Nieder-
schlag, als welchen die Mode die Kunstformen der
Zeit unter ihre Kundschaft bringt, als eine in vieler
Lsinsicht fruchtbringende Bodendüngung wenigstens
taxiren dürfen. Je mehr Kunst in die Mode gebracht
werden wird, um so mehr wird die Kunst Mode
werden. (Schluß folgt.)
Gosze
veMlm Mnstauzzteilung «yoo.
tl. Die Berliner (s).
erlin hat mit einigen berühmten Kunst-
zentren der Vergangenheit gemein: daß es,
ohne die b^eimath der großen Meister zu
sein, eine Fülle verschiedenartiger Talente
anzuziehen und zu fördern vermag. Nicht nur
Künstler, die etwa aus dem interessanten Wechsel
 
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