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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 21
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Wirth, Robert: Ueber die "Stimmung" des Landschaftsgemäldes
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Thomas, Bertha: Die Londoner Ausstellungen von 1900
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0371

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Nr. 2s

-v- Die Aun st-Palle

323

uns vorhanden sind. Alles Wirkliche ist sür uns
Nervenreiz. Auch für den Künstler selbst schon war
in diesem Sinne die durch die wirkliche Landschaft
angeregte Stimmung nur in ihn: selbst. Indessen:
Wenn schon die Welt um mich her meine Vorstellung
und Empfindung ist, so ist doch diese meine Nerven -
thätigkeit außerhalb meiner in jeder Wandlung that-
sächlich begründet und veranlaßt. Die Wirkung
der Welt ist in mir und ist Alles, was ich von ihr
habe; die Ursache dieser Wirkung ist, obschon in
ihrem Wesen unerkennbar, außer mir. So empfinde
ich auch eine Stimmung im Bilde nur deshalb, weil
die dazu gegebene Veranlassung außer mir ist.
Das äußere Bild muß also jedenfalls den Vorzug
haben, daß es auf mich stimmlich wirkt. Der schon
als Dichter erwähnte Physiker und Philosoph Zechner,
bekanntlich der bedeutendste Vertreter der Assoziations-
ästhetik, sagt in seiner Vorschule der Aesthetik, das
„Unsagbare, Unerschöpfliche, Unerklärbare (also das
jo N6 sai8 c^noi), was dem landschaftlichen Eindrücke
znkommt", läge in der Gesammtheit der Selbster-
innerungen und Vergleichs-Vorstellungen, die die ge-
malte Landschaft im Beschauer erwecke. Souach
läßt auch er die Stimmung als aufgerührten geistigen
Prozeß in: Betrachter entstehen. Dazu ist zu be-
merken, daß die durch den Künstler dargestellte
Landschaft in jedem Falle denjenigen Grad der Voll-
kommenheit bewähren muß, daß sie die iu der be-
schauenden Seele zu erweckenden Erinnerungen, die
auch das wirkliche Stück Landschaft erweckeu würde,
nicht stören darf, daß also die bildliche Landschaft
die Eigenschaften der natürlichen haben muß, Eigen-
schaften, die nicht einmal die künstliche, sondern
eben nur die künstlerische Landschaft hat. Der
Forderung also des Künstlerischen wird durch die
Annahme, der ästhetische Werth eines Bildes beruhe
auf den angeregten Assoziationen, ganz und gar nichts
geschenkt. Es giebt kein Bild für mich, sofern es
anders etwas Bemerkenswerthes vorstellt, das ohne
geistige Assoziationen wäre, aber ebenso giebt es für
mich kein Ding der Wirklichkeit überhaupt ohne
solche. Die Bemerkung, daß ohne die geistigen Be-
ziehungen, Assoziationen, eines Bildes zum Beschauer
dieses Bild nur eine „kunterbunte Farbentafel" wäre,
kann also mit Zug und Recht die gleiche Bemerkung
veranlassen, daß auch jedes Stück Wirklichkeit ohne
die Anklänge an den bereits aufgestapelten Schatz
von Erinnerungen und Vorstellungen ein bloßes
Sammelsurium von leeren sinnlichen Eindrücken ist.
Die Frage ist hier die: Wie muß ein Bild beschaffen
sein, daß sich in mir bei seinem Anblick ungetrübt
das Spiel der Vorstellungen und Erinnerungen aus-
löst? Bei welchem Bilde geschieht dieser unbewußte
Prozeß zu meiner Befriedigung und Lust, bei
welchem nicht? Uebrigens steht fest, daß bei einem
vi8U8 6ruäitu8 mehr und mehr eine Beurtheilung des
Kunstwerkes nach der Menge und Stärke der per-

sönlichen Erinnerungen, die das Werk wachruft,
zurücktritt.
päufig hört man auch sagen, die Stimmung in
der Natur sei Wahrheit, die Stimmung im Bilde sei
Schein, und dieser Unterschied- bedinge das Wesen
der Kunst. Man freut sich mehr über die Stimmung
in der Bildlandschaft denn über die in der Wirk-
lichkeit. Also liegt der Zweck der Kunst in der
Scheinwirkung und das Wesen des Kunstgenusses iu
der „Lust am Scheine", wodurch er zur „bewußten
Selbsttäuschung" wird. Die Sache ist aber doch im
Grunde also: Die von den wirklichen Dingen vor
mir ausgehende Stimmung ist eine Erscheinung
dieser Dinge in mir, sie ist nicht ihr Wesen selbst,
sondern eine Aeußernng- dieses Wesens; die vom ge-
malten Bilde dieser Wirklichkeit ausgehende Stim-
mung ist auch uur eine Erscheinung, nur sind hier
die konkreten Scheinwerfer die körperlichen Farbstoffe,
die Pigmente — der Schein ist derselbe. Jedes Bild
als neue versinnlichuug ist für mich immer nur
wieder ein neuer Schein. Freilich erschreckt mich ein
wirkliches Gewitter, ein gernaltes nicht, es ergötzt
mich vielmehr — also ist doch ein wesentlicher Unter-
schied „zwischen"? Für die künstlerische Auffassung und
die ästhetische Beurtheilung gewiß nicht. Künstlerisch
gesehen ist ein Gewitter am Pimmel und ein Ge-
witter auf der Leinwand desselbe Objekt. Beide
Erscheinungen oder beider Schein sind ästhetisch keine
Täuschungen, sondern Thatsachen, Wirklichkeiten.
Daher hat Goethe nicht recht mit seiner Bemerkung:
„Die höchste Ausgabe einer jeden Kunst ist, durch
Schein die Täuschung einer höheren Wirklichkeit
zu geben." Die Kunstschöpfung ist sirre zweite höhere
Wirklichkeit, nicht eine vor g etäuschte. Ein vor-
getäuschtes Gewitter haben wir aus dem Theater,
die Kunst ist hierbei nicht engagirt; ebenso kann ein
stümperhaftes Gemälde allerdings auch ein Gewitter
vortäuschen und hier war scheinbar die Kunst und
Aesthetik betheiligt, ein meisterhaftes Gewittergemälde
dagegen ist ein Gewitter, d. h. im Geiste und in der
künstlerischen Wahrheit. Daß ich durch ein solches
Gemälde getäuscht werde — fällt es mir jemals
ein? Ich würde mich doch mit Unrnuth davon ab-
wenden.
(Lin II. Artikel folgt.)
Vie Londoner Mmeliungen
von 1000.
Von Bertha Thomas, London.

ie große Ausstellung der Royal
^oaäswy präsentirt sich viel vortheil-
hafter, als irgend eine ihrer Vor-
gängerinnen der letzten Jahre. Dies will nun
freilich bei dem überaus niedrigeu Stande dieser
 
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