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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 6
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Imhof, Franz: Die Jurn-Freiheit der Groszen Berliner Kunstausstellungen
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Zimmern, Helen: Tranquillo Cremona, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0101

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Nr. 6 —-4- Die Run st-Halle < 83

d. h. die „Alten" der großen Ausstellung mit dein
erdrückenden Wust des Minderwerthigeu nichts Ver-
gleichbares mehr an die Seite zu stellen hätten.
Vermutlich würden sich dazu in kurzer Zeit neue
Sezessionen aller Talente bilden, weil es sür sie kein
Interesse hat, verlorene Punkte in der Mede be-
deutungsloser Werke zu bilden.
Möchten die Herren von der Gruppe für
„Iuryfreiheit" sich ernstlich überlegen, welche ver-
hängnißvolle, ja selbstmörderische Entscheidung bei
ihnen eventuell liegt, wenn aber nichts Anderes sie
stutzig machte, dann muß es der Umstand, daß
gerade die sezessionssreundlichen Blätter sür „Iurv-
freiheit" plaidiren. Natürlich! Die Sezession hat ein
dringendes Interesse daran, das Niveau der großen
Ausstellungen in Moabit zu drücken und den Rünstler-
verein moralisch zu ruiniren, denn aus seinen
Trümmern wird und muß die Sezession triuinphirend
emporsteigen und Hohnlachen, daß kurzsichtige und
engherzige Runstpolitik ihr den Sieg zu einem Rinder-
spiel gemacht hat.
Die Iuryfreiheit, Ihr Herren vom Rünstler-
verein, ist Euer moralischer Selbstmord uud der
Nuin des ernsteu Berliner Runstlebens. Sie arbeitet
der Sezession mit gesteigerter Schnelligkeit in die
Hände. Hütet Euch vor der verhängnißvollen Ent-
scheidung! —l.
X
Prayqaillo Dreinoya.
von Helen Zimmern, Florenz.
(Schluß, vgl. No. qI
Zn der That hat Tremona srüher als die Fran-
zosen gewußt und in seiner Technik gezeigt, daß die
Malerei ihre höchste i-3.i8ou Tötrs durch das Lucht,
und vor Allem durch Einheit des Lichtes empsängt.
Die Luministeu jeglicher Art stehen der Technik
Tremonas so nahe wie nur möglich. Damals vollendete
er übrigens fast nichts. Erst s87O trat er in Turin
mit einem Bilde hervor, das später den Titel „Rousin
und Roufine" erhielt; zwei Rinder, die schüchtern
einen Ruß wechseln, worin die Vorbedeutung einer
künftiger: Liebesepisode liegt. Drei Jahre später er-
regte dieses Bild in der Internationalen Ausstellung
in Wien einen außerordentlichen Beifall, der selbst
die Italiener zu der Erkenutniß aufrüttelte, daß unter
ihnen ein neuer Maler, und kein geringer, erstanden
war. Nun stellte er weiter aus — „Das Rind der
Liebe", „Stille Liebe", „Mutterliebe" u. A., welche
sämmtlich zu der Gattung von Malereier: gehörten, die
von nun an Tremonas eigenstes Darstellungsgebiet
war; zur Sphäre des Gefühlslebens in Haus und
Familie. Es sind dies, wie fast Alles was er malte,
Bilder vor: bescheidenem Umfang mit höchstens zwei
Figuren, ohne Anspruch auf ein großes Sujet, ohne
Inszenirung. Doch wie viel Anmuth, welcher Reiz

innerhalb dieser Beschränkung und welche Renntniß,
welche Genialität in der Ausführung!
Der Ton war das nächste Feld seiner Unter-
suchungen. Und um eine Verschmelzung der ver-
schiedenen Töne, deren völliges Gleichgewicht zu
erzielen, legte er Farbe auf Farbe, wodurch sie oft
ar:, Frische einbüßten und seine Bilder das Aussehen
der unter der: Einwirkungen der Zeit trübe gewordenen
alter: Gemälde erhielten. Er bemerkte dies sehr wohl
und bemühte sich unablässig, dieser: Uebelstand zu ver-
meiden und dabei doch seiner: Zweck zu erreichen.
Mit dieser: Studien verband er ein Streben nach
Lebendigkeit des Ausdrucks und der Stimmung ir: der
Wiedergabe dessen, was er dem modernen Leber: an
gemüthvoller: und ansprechender: Momenten ablauschte;
eine Aufgabe, die er ohue jene banale oder karikirende
Mache und fade Gelecktheit löste, worin seine heutiger:
Nachahmer ir: Italien sich vielsach Hervorthun. Später
malte er viel in Wasserfarben, in welcher Technik,
die er als an: besten geeignet zur Erzielung seiner
Zwecke erkannte, er mehr Einfachheit und Frische des
Rolorits gewann. Aquarelle sind auch seine Bilder
aus der Rinderwelt — Schilderungen von kindlicher
Liebe und Eisersucht, Freude und Schmerz . . .
Viele Jahre lang bewohnte er in Mailand das-
selbe Atelier, ein Harterre, an dessen Eingangsthür
er auf seinen Vornamen anspielend schrieb: „Freunde
werden gebeten, nur „Ruhe" (Tranquillo) zu lassen.
Stundenlang pflegte er aus seinen: Balkon in: Freien
zu arbeiten, im Winter oft bis sein Modell vor Frost
fast erstarrte. Oder er inalte knieend, denn seine
Leinwand oder sein Hapier spannte er einfach auf
deu Fußboden. Eine Staffelei benutzte er so wenig
wie eine Halette. Die Farben mischte er, wie schon
erwähnt, auf der Handfläche. Er malte mit der
Linken und der breite Hinsel an: langen Stock, dessen
er sich bediente, war ihm je älter desto lieber, wenn
er Freunde empfing, war er der Lustigste von Allen
und bethelligte sich am eifrigsten an den Debatten
die dann geführt wurden. Ein Gegenstand, über den
sich schon Leonardo da Vinci und Michelangelo er
hitzten, wurde besonders oft diskutirt; die Frage, ob
der Malerei oder der Bildhauerei der Hreis unter
den Rünsten gebühre. Dieser Streit schloß häufig so,
daß Tremona zu einen: befreundeten Bildhauer sagte
„Bitte, willst Du nur nicht einen Sonnenuntergang
modelliren?" worauf der Andere: „Und Du sage
mir mal, wieviel Rnöpfe der Maun, den Du da eben
malst, hinten auf seinen: Haletot hat."
Gerade, als ihn: die Sonne des Erfolges zu
strahlen begann, als er zum Direktor der Runstschule
seiner Vaterstadt erwählt worden und eine reiche
Erbschaft ihn seiner pekuniären Sorgen enthoben hatte
raffte ihn der Tod vorzeitig hinweg. In: Gegensatz
zur früheren Ablehnung wurde er jetzt vou seinen
Landsleuten überschwänglich gefeiert, ja mit Lorreggio
verglichen, dessen Anmuth und Schönheit man in
 
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