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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 8
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Zimmern, Helen; Segantini, Giovanni [Gefeierte Pers.]: Giovanni Segantini
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Meyer, Bruno: Moderne Teppiche und Tapeten, [2]: im Berliner Kunstgewerbe-Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0139

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Nr. 8

4- Die Au n st-Halle -z-


den realistischen Bauernmaler als Symbolisten. Ls
entstanden u. A. „Die schlechten Mütter", ein
phantastischer Lntwurs mit in seltsamen Schwingungen
an Baumgezweig hängenden Frauengestalten. Aber
auch eine Madonna von hoher Lieblichkeit malte er
in dieser Periode. Das kleine Bild — eine wahre
perle — zeigt eine junge Mutter, die, das Knäblein
auf dem Schooße, unter vollem Sonnenlicht aus einem
Baumstamm sitzt. Line weibliche Gestalt im Baum
finden wir auch in dein lieblichen, wehmüthig ge-
stimmten Bilde „Die Frucht der Liebe". Unter den
allegorischen Gemälden hervorzuheben ist noch die
überaus schöne Komposition „Die Liebe am Lebens-
quell".
plötzlich, in der vollen Kraft seiner robusten
Konstitution, wurde Segantini seiner Familie, seinen
Freunden, seiner Kunst entrissen, infolge einer inner-
lichen Erkältung, als er hoch oben in den Alpen an
seinem großen Gemälde für die pariser Weltaus-
stellung arbeitete. Lr, der den Schnee so liebte, ist
beim Schneesturm im Schnee begraben worden, auf
demselben kleinen Gebirgsfriedhof, den er in dem
Bilde „Glaubenstrost im Schmerz" gemalt hat.


Moderne Leppicbe und Lapeten.
Im Berliner Kunstgewerbe-Museum.
(Schluß).

beinahe eben so schön und genußreich
scheint mir eine der von A. Burchard Söhne
fabrizirten Tapeten von Walter Leistikow.
Man denke sich ein ganzes Zimmer voll fliegender
Schwäne, alle in derselben Figur, alle in derselben
Richtung! Leistikow scheint überhaupt seine Wirkungen
auf der Theorie der Hypnose aufgebaut zu haben: er
schläfert die Sinne durch die eintönigsten Wieder-
holungen ein. Das Fichten-Motiv ist doch zum ver-
zweifeln. wenn man sich in der etwas kargen
heimischen Natur von der dürftigen Fichte mit ihren
endlosen, durch Zweigtrümmer verunzierten Stämmen
den „Wald" vormimen lassen muß, so hat man da
wenigstens Luft und Duft so gut wie in schöneren
Waldungen. Aber diese Schemelbeine in monotonem
parallelismus an der Zimmerwand?! Brrr! Diese
schematische Wiederholung macht auch solche Fries-
motive unmöglich wie den Fluß und die Haide, —
ganz abgesehen von den wunderlich „stilisirten"
Wolken über dem ersteren. Das ist dann nicht
Fisch, nicht Fleisch, nicht Natur und nicht Stil; nur
Hirnauswaidende Herrschaft der nichts bedeutenden,
keinem Gesetze gehorchenden, bei der Willkürlichkeit
und Gleichgültigkeit ihrer Schwellungen und
Windungen auch von nichts wie Kunst zeugenden
Linie. wenn ich solche Gebilde wie das ganz
„moderne" „1" Lckmanns auf dem ausgegebenen
Programm oder das Liniengewirre einiger Leistikow-
schen Tapeten sehe, fällt mir der Schluß einer freilich

etwas boshaften Kritik über Auerbachs „tausend
Gedanken des Kollaborators" ein, der etwa so
lautete: wem: Liner ein zweites Tausend solcher
„Gedanken" zu haben wünscht, so frage ich bloß:
Hat es Zeit bis morgen?!
Ich wäre geneigt, A. Burchards Söhnen einige
weitere Linzelgaben höher anzurechnen als den
ganzen Leistikow. von L. Siedle stammt ein vor-
trefflich stilisirtes, das Motiv wirklich ausnutzendes
Kastanienblattmuster, und von Fräulein Marie
von Breken ein recht gut geordnetes Muster, lilien-
artig, mit einem guten entschieden stilisirten Friese;
Pflanzengattung zwar unkenntlich, was aber nichts
schadet.
Fast noch erfreulicher gestaltet sich, was
Lieck 6c Heider produzirt haben. Man erkennt
hier das durch lange praris gebildete Gefühl für
Zeichnung und Farbe, das durchaus nicht wieder-
käuend am Alten hängt, aber die unwandelbare
Nothwendigkeit begreift, durch klare Naumvertheilung
und Farbenanordnung zu einer ruhigen Fläche und
einer einheitlichen Gesammtwirkung zu kommen.
Schon auf der Kunstausstellung dieses Sommers find
ihre Tapeten wegen dieser Vorzüge aufgefallen. Ich
hebe die freie Behandlung des mittelalterlichen
Granatapfelmotivs hervor; sodann das groß ge-
haltene Astern- oder Georginen-Muster in drei gelben
Tönen, mit Gold-Dominante; dazu ein breiter
stilisirter Fries von vornehmer Schönheit. Der Fries
mit Päonien (?) macht sich besonders auf einem ab-
schattirten Grunde ausgezeichnet.
Ls würde nur lieb sein, den Vorwurf zu er-
fahren, daß ich der „handwerklichen Routine" eben
vor dem „künstlerischen Llan" des Genies den Vor-
zug gebe. Das thue ich beim Kunstgewerbe in der
That mit vollem Bewußtsein, wenn das „Genie"
vergißt, daß das Kunstgewerbe — eben Gewerbe
und dadurch gewissen Bindungen unterworfen ist, die
das Genie ja, als seiner unwürdig, verachten und
verschmähen mag. Dann muß es sich aber vom
Kunstgewerbe eben fern halten, wir wissen zu
genau, daß die allerunzweifelhaftesten Genies sich
in den naturnothwendigen Bedingtheiten des Kunst-
gewerbes mit souveräner künstlerischer Freiheit zu be-
wegen verstanden haben, um uns weis machen
zu lassen, daß das Kunstgewerbe auf diese
modernen „Befreier vom Joche der Konvention" ge-
wartet habe.
Speziell die hier auftretenden Bestrebungen auf
dem Gebiete der Tapeten- und Teppich-Lrfindung
lassen es an Klarheit ihrer Ziele fehlen, wohin
steuern sie? Line mit Möbeln, Bildern und anderen
Dingen zu dekorirende Grundfläche der wand zu
schaffen? Dazu sind sie viel zu vorlaut. Oder eine
wand, die an sich genügen kann, den Wohnraum
ohne irgend welchen — wenigstens die nothwendigsten,
mindestens doch Sitzmöbel überragenden — Schmuck
behaglich, wohnlich, selbst schön zu machen? Ab-
gesehen von dem überaus zweifelhaften werthe
dieses Zieles an sich bieten sie auch dafür zu wenig
und zu viel: zu wenig Sättigendes für den Geist, zu
viel Beunruhigung für das Gefühl. Grade die
prätentiösen unter den hier hervorgetretenen Leistungen
dürsten sich als ganz ephemere Schöpfungen er-
weisen.
Brunno Meyer.
 
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