Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

DOI issue:
Nummer 17
DOI article:
Imhof, Franz: Grosse Berliner Kunstausstellung 1900
DOI article:
Ein Wort vom Kritiker
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0302

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
262

>- Die Run st-Halle

Nr. f7

formal mehr akademisch-unpersönlich. Heinrich
Wilke allein versucht eine selbstständige Auffassung
und eigene koloristische Behandlung zu entfalten; seine
große Leinwand „Immortellen" — von der Nr. (6
eine leider wenig gelungene Abbildung brachte —
verbildlicht mit stark leuchtender poesievoller Farben-
gebung und auf dem Wege des Archaisirens eine
Rirchhofsszene des christlichen Mittelalters. Gesteigerter
Farbenreiz der Natur in Verbindung mit einer durch-
aus konventionellen formalen Gestaltung tritt uns in
den Arbeiten von Wilhelm Beckmann („Am Tempel
der Juno" und „Waldeinsamkeit") entgegen. Linen
Idealismus mit Ambergschen und Rnausschen
Reminiszenzen pflegt Herrn ann Leeg er in seinem
zartfarbigen hübschen Rokoko-Rinderbilde „Lin Mai-
fest." Endlich sollen die beiden reizvollen weiblichen
Akte von TurtAgthe „Dryade" und Vowe „perlen",
ebensowenig wie die elegant gemalten beschönigten
Modellfiguren von A. Sichel, Riesel, Nonnenbruch
und Rarl Ziegler unerwähnt bleiben.
Zur Vervollständigung dieser Gruppe ideal
gestimmter Werke sei schließlich auch der religiösen
Bilder gedacht. Ls ist wohl merkwürdig, daß die
innern Erlebnisse, die namentlich dem Rünstler in
dem aufregenden und aufreibenden Treiben der
Großstadt nicht fern bleiben können, die ernsten und
weicheren Naturen unter unseren Malern, soweit sie
wenigstens religiösen Empfindungen zugänglich sind,
nicht öfters zu den biblischen Stoffen und dazu
drängen, die frommen Legenden im Lichte ihres
eigenen zeitgemäßen Denkens, ihres persönlichen
religiösen Fühlens zu verbildlichen. Was dieses Mal
hier zu sehen ist, kann, abgesehen von der bescheidenen
Zahl der Werke, auch darum nicht voll befriedigen,
weil es sich mehr oder minder augenfällig in
traditionellen Bahneu bewegt. Vermisse ich doch
selbst bei der nach Uhdes Vorgang ins Modern-
Naturalistisch-Littenbildliche übertragenen Neue des
„Verlorenen Lohnes" von Max Fabian, einer
immerhin ansprechenden Talentprobe, die selbstständige
Auffassung. Für die Beurtheilung der Originalität
bleibt es im Grunde genommen gleich — und das
sollten sich gewisse „Moderne" merken — ob die
benutzten Muster zwanzig oder tausend Jahre zurück-
liegen. Nur die Willkür der heutigen Rritik kann in
einer deutschen Nachahmung von Millet oder Degas
mehr Verdienst erkennen, als in einer Nachahmung
etwa von plfidias oder Raphael. Am stärksten fesselt
in der vorliegenden Gruppe von Arbeiten unbedingt
Graf Harrachs „Lhristus klagend über Jerusalem",
nicht nur durch den intensiv beseelten Ausdruck der
bärtigen, quattrozentistisch hageren Thristusgestalt,
sondern auch durch eine ebenso intensiv von der
Vespersonne beleuchtete, steinige, dürre, überaus liebe-
voll durchgeführte Hügellandschaft. Bei Rud. Eich-
st aedts großer „Auferweckung des Jünglings zu
Nain" ist es mehr die Stimmung des Melodramas;
und Ernst Hildebrandts „Maria am Grabe
Thristi" bleibt vollständig in stumpfer Ronvention
stecken. O. Ling ners überlebensgroßer symmetrisch
dargestellter „Salvator Mundi" ist eine jener
schönen Männerfiguren, welche seit den Tagen der
Düsseldorfer Nazarener von Toneglianos „Segnendem
Thristus" in der Dresdener Gallerie für den deutschen
Frauengeschmack abgeleitet wurden.
Ein erfreulicheres Bild wirduns dieLandschafts-
malerei der Berliner im folgenden Artikel geben.
Franz Imhof.

Lin Aott vom Wtiker*).
/ as der Zweck der Runst ist, danach fragen Müssige.
Wie die Runst auf die Menschen wirken soll,
ob sie sie wegtragen soll aus der Hast des Lebens, sie
täuschen und betrügen durch das Zauberbild einer edler
gestalteten Welt, oder ob sie die wahre, ewige Form des
menschlichen Lebens herzeigen soll den staunenden Menschen,
denen sie bisher verschleiert bleiben mußte, unter all' dem
Wust unklarer beirrender, alltäglicher Vorfälle — diese
Frage nach dem Wesen, dem letzten Sinne wahrster Runst
haben die großen und kleinen Geister aller Zeiten in Sehn-
sucht zu lösen gesucht, und ihre Gehirne haben diese oder
jene Theorie geboren. Die eine war geistreich, die andere
nur eine Konstruktion, alle so nutzlos wie jede Philosophie
der Runst.
Lin Rünstler sei da, der dichte. Oder er male uns
Bilder, er weise uns die Pracht der Töne — wir wollen
ihm folgen, uns führen lassen von der Rraft seiner Rünstler-
seele. And der Beschauer sei selig, mitgenommen zu werden.
Kritiker sei aber nur Jener, der im Tiefsten ergriffen von
der Offenbarung des Schaffenden, eine so starke Empfindung
der Schönheit, die da ist, hat, daß er die Arme ausbreiten
möchte, ganz, ganz weit, und seine Stimme erheben, daß
sie übermächtig sei und alle unreinen Laute übertöne, damit
er es Allen sagen könne: Seht doch, wie schönI
So wird er aus dem Empfangenden selbst wieder der
Gebende werden dürfen, da er Anderen mittheilen wird,
was ihm geschenkt war.
Zwischen dem Rünstler wird ein solcher Beobachter
stehen und den Anderen allen. Die Sprache Beider wird
er weise verstehen müssen. Denn es mag geschehen, daß
die Worte der Rünstler nicht zu den Ohren der vielen
dringen, daß man das Nämliche dann oft wird sagen
müssen, bis das Ungewohnte, Erschreckliche auch den Scheuen
und Zögernden vertraut und lieb geworden ist. Oder man
wird den vielen den Serpentinenweg weisen müssen, der
zu dem Gipfel führt, den der Schaffende aus geradem
Höhenweg erklommen hat.
So denke ich mir die Sendung des Kritikers. Ein
Lehrer der Liebe wird er sein müssen. Sein Herz wird
weit sein, sein Ohr sein, sein Blick weit. Er wird tausend-
mal „Ja" sagen, wenn er reine Absichten vermuthet, und
einmal „Nein". Und sein „Ja" wird jauchzen, daß dem
Rünstler neuer Muth erstehe, und den Genießenden Hoffnung
künftiger Freuden.
Auch ein Diplomat wird er sein müssen. Aber er wird
nur dann Politik der Runst betreiben dürfen, wenn in
seiner Seele eine heilige und reine Sehnsucht nach Schön-
heit wohnt. Er wird nur dann den Mund austhun dürfen,
um Anderen die Wege zu weisen, die ihr Fuß gehen soll,
wenn er das Bewußtsein haben kann, selbst einem edlen
Ziele ehrlich und treu nachzugehen. Er wird kein Spieler
sein dürfen, mit Worten oder Stimmungen. Er wird auch
kein Eigensinniger sein dürfen, der sich scheut, anderer
Meinung geworden zu sein.
Er wird bescheiden sein müssen und in sich einen
Mittler des Künstlers sehen. Und wenn er Das war, so
H Aus dem Buche: Die Praeraphaeliten von w. Fred
(Einleitung). Straßburg, I. H. Ed. Heitz, sZoo (vgl.
Bücherschau).
 
Annotationen