Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

DOI Heft:
Nummer 23
DOI Artikel:
Galland, Georg: Die Architektur und die Moderne
DOI Artikel:
Plehn, A.: Neues von der Bildweberei
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0409

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 23

Die Kunst-Halle -b——>

357

scheinungen des Anarchismus in der Baukunst faszinirt
wird und in diesen äußeren Formen das Heil der
Zukunft zu erkennen glaubt. wir Fachgenosseu
können es allenfalls verstehen und begreifen, wie
talentvolle und phantasiebegabte Baumeister am Lude
des sft. Jahrhunderts auf die Abwege einer schranken-
losen Willkür gerathen können. Der Laie kann das
nicht; er sieht und hält sich allein an den sichtbaren
Formalismus und verwechselt Armuth mit Geistes-
stärke, Unwissenheit mit Größe, Frechheit mit Ueber-
menschenthum, und staunt die Ergebnisse trauriger,
wenn auch entschuldbarer Verirrung als ungeheuere
schöpferische Thaten an. . ."
Die von warmer Empfindung durchströmten Aus-
führungen des Geheimraths Professor Otzen fanden,
wie bemerkt, den lebhaften Beifall der Versamm-
lung. Der darauf angesagte Vortrag des weiblichen
Delegirten der Vereinigten Staaten von Nordamerika,
welcher das aktuellste Thema: „Die Frau und die
Baukunst" behandelte, mußte, da Frau Frauk
Füller leider nicht anwesend war, vom Sekretär
des Kongresses verlesen werden.
G. G.

Neues von cler MMeberei.
Von A. L. plehu.
^Apowohl die bekannten, deutschen Uunst-
Webereien aus Scherrebeck wie auch die
jüngsten Erzeugnisse der französischen
Gobelin - Manufaktur beschränken ihre
Neuerungen auf die bildliche Komposition. Sie sind
von dem weitgehenden Nealismus der Wandteppiche
des achtzehnten Jahrhunderts znrückgekommen, welche
ihren Stolz darin sahen, jedes beliebige Gemälde in
ihrem Woll - Material nachahmen zu können. Heute
will man das Bild nur im Plakatflachstich als Vor-
lage für die Weberei anerkennen, und besonders die
Deutschen haben innerhalb der selbst auferlegten Be-
schränkung der alten Gobelin - Technik ganz herrliche
Leistungen abgewonnen. Neben Wandteppichen des-
selben Stils bringt die „Nordische Bildweberei" in
Thristiania nun auch einmal eine technische Neuerung,
welche alle Beachtung verdient, da sie in eine der
konservativsten technischen Prozeduren eine gewisse
Bewegung bringt. Zch sand aus der pariser Welt-
Ausstelluug Gelegenheit, mich mit dieser Technik ver>
traut zu machen. Ebenso wie der heute benutzte
Handwebestuhl sich im Prinzip gar nicht gegen den
in alten Zeiten bekannten verändert hat, eine Kon-
struktion, deren sich auch der arabische und persische
Teppichweber noch heute bedient, so ist auch die Art
der Fadenverschlingung stets dieselbe geblieben. Sie
entsteht dadurch, daß vertikal über den. Webestuhl
gespannte Fäden, die sogenannte Kette, durch die
horizontal geführten weichen Wollfäden (den Schuß)
vollständig gedeckt werden; in dem fertigen Gewebe
macht sich die Kette durch nichts bemerkbar als durch
die rippige Unebenheit der Oberstäche, indem das
feine Wollmaterial sich völlig den darunter liegenden
harten Fäden anschmiegt und ihre Gestalt dadurch
deutlich abprägt.

Die Neuerung der nordischen Gewebe besteht
nun gerade darin, daß die Kette nicht an allen
Stellen gedeckt ist, sondern daß die bindsaden-
farbenen, starken Fäden in regelmäßigen, durch
das Muster bestimmten Zwischenräumen offen zu
Tage treten und sich also als feines dicbtes Gitter
zwischen den durch deu Schuß „gebundenen" Kett-
fäden ausbreiten: Natürlich verlangt die neue Technik
andere, besonders dafür berechnete Muster. Es ver-
steht sich von selbst, daß inan einen Wandbehang,
welcher etwas Aehnliches wie ein Bild darstellt, nicht
absichtlich durchlöchern wird, abgesehen davon, daß
die losen Fadenunterbrechungen in einem festen Stoff
nur danu zur dekorativen Wirkung des Ganzen bei-
tragen können, wenn sie sich in regelmäßigen Ab-
ständen wiederholen, was bei einer figürlichen Kom-
position ganz ausgeschlossen ist. Ebenso wird die
neue Technik anderen Zwecken zu dieneu haben als
die bisher bekannte Art. Oder vielmehr die ver-
änderte Technik ist aus einem neuen Bedürf n iß
hervorgegangen. Es wäre kindlich, wenn man an-
nehmen wollte, daß es nur das Streben nach Arbeits-
ersparniß gewesen sei, welches diese Lücken im festen
Zusammenhang des Gewebes entstehen ließ. Viel-
mehr war hier der Wunsch Führer, das Gewebe,
das bisher in der Regel fest an die Wand gespannt
war, sollte auch in Falten zusammengefaßt, z. B. als
Thürvorhang benutzt werdeu können, um so den
wesentlichsten Vorzug dieser Gewebeart, ihre Gleich-
seitigkeit, auch jederzeit zur Anschauung zu bringen.
Man hat wohl auch Teppiche als Thürverschluß be-
nutzt. Aber für diese Aufgabe machte ihn seine
Festigkeit, seine unnachgiebige Starrheit nicht recht
geeignet. Die neuen Stoffe sind naturgemäß schmieg-
samer. Sie können wirkliche Falten werfen und
machen sich dadurch doppelt geeignet, eine leichte
Scheidewand zwischen zwei Räumen, welche mit
einem Handgriff bequem bei Seite geschoben werden
kann, abzugeben. Die moderne Geselligkeit liebt es,
scheinbar getrennte Gemächer durch breite Thür-
öffnungen verbinden zu lassen und sie dann wieder,
sobald man sich in intimere Kreise zurückzieht, mehr
scheinbar als thatsächlich abzuschließen. Früher be-
diente inan sich zu solchem Behuf gern der japanischen
Perlenvorhänge, welche durch ihre Beweglichkeit und
dadurch, daß sie noch ein wenig vom Nachbarraum
sehen ließen, dem Gefühl der Behaglichkeit förderlich
waren, ohne doch die Vorstellung des Eingeschlossen-
seins auskommen zu lassen. Das Geräusch beim Zu-
sammenschiebeu und eine gewisse Unsolidität empfahlen
sie aber für Anspruchsvolle nicht auf die Dauer. Die
gleichen Vorzüge bei vollem soliden Werth lassen
sich nun den neuen Geweben nachsagen. Auch sie ge-
währen einen genügenden Abschluß, inan kann nicht
deutlich aus einem in das andere Zimmer hinein-
sehen und glaubt doch, zwischen den Mustern des
Vorhanges lisch dies und das dahinter Liegende
zu errathen.
Die Anknüpfung für die Dekoration dieser Stoffe
bildeten ganz naturgemäß die alterthümlichen Streifeu-
muster, die aus regelmäßig neben einander gesetzten
Einzelfiguren gebildet sind. Dieses Schmuckmotiv
spielt lisch heute in der nordischen Bauernweberei
eine große Nolle, deren Erzeugnisse man gerade jetzt
wieder mir besonderer Vorliebe verlangt. Dort
stehen meist in steifen Reihen geometrische Figuren
neben einander, welche auffallend an die altpersischen
Teppichmuster erinnern. Wenn man recht darüber
nachdenkt, ist das auch gar nicht so sonderbar. Demi
 
Annotationen