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Die Kunst-Halle — 5.1899/​1900

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Nummer 12
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Galland, Georg: Das Frauenkostüm in der Kunst der letzten Jahrhunderte: ein Vortrag von Georg Galland
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Thomas, Bertha: Londoner Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.63303#0212

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Die Aunst-Halle

Nr. s2

s82

und künstlerischer Geschmack als werthoolles Korrek-
tiv für die Zeittracht. Die alten Maler Hubert und
Jan von Eyck konnten, wenn es nicht anders ging,
auch in den Bildnissen — man betrachte nur das
junge Ehepaar Arnolfini in der londoner National-
gallerie — erschreckend aufrichtig sein. Aber wo sie
freie Hand hatten, da verwarfen sie z. B. die Hauben
und ließen das schöne blonde Frauenhaar wellig frei
herabfließen.
Ebenso damals in Italien. Oder vielmehr noch
sichtlicher und erfreulicher, weil dort ja die Berührung
mit den Fragmenten der antiken Kunst den Geschmack
veredelte. Man werfe nur einen Blick auf die
Frauengestalten der Meister Bellini und Lima da
Conegliano in Venedig, den Florentiner Filippo Lippi,
Ghirlandajo, Verrocchio u. a. und man zweifelt, so
einfach und edel auch Kleid, Frisur und Haarschmuck
erscheinen, doch keinen Augenblick daran, daß hier
lebensvolle Zeitbildnisse beabsichtigt und gegeben sind,
nicht etwa in den Wolken schwebende Idealgebilde.
Am lehrreichsten ist die klassische Zeit der italie-
nischen Hochrenaissance, das Cinquecento, wo die
großen Meister Lionardo, Sodoma, Raffael, Tizian,
Palma Vecchio u. v. A. herrliche Frauengestalten
auf die Leinwand zauberten. Die herrschende Rich-
tung war damals freilich die ideale. Der zurück-
gedrängte Realismus konnte sich daher vornehmlich
im Porträt schadlos halten. Und er that dies auch
mit einer Wonne an der irdischen Schönheit und
Pracht, die Jeden entzücken müssen.
Der erlesenste Geschmack der raffaelisch-tizianischen
Zeit tritt in diesen Werken in die Erscheinung. Die
gefeierten Porträtkünstler des Cinquecentos denken
gar nicht daran, die Eitelkeit ihrer schönen Modelle
zu verleugnen. Im Gegentheil, sie lassen Perlen-
ketten in der Frisur, auch Häubchen und Netze sehen
oder das Haar aufgelöst herabfluthen. Sie schmücken
den Hals mit kostbarem Geschmeide, weite bauschige
oder in Falten zusammengezogene und geschlitzte
Aermel in Seide geben der Büste ein prächtiges
Aussehen. Das Mieder sitzt durchaus bequem: ein
Beweis, daß selbst die eitlen venetianerinnen in Ti-
zians und Palmas Tagen auf die Einschnürung der
Taille nicht gekommen sind, so groß auch im Uebrigen
damals die Opfer waren, die der Modesucht gebracht
wurden. Die Kunst der berühmten Maler läßt diese
Opfer nur ahnen. Ihr gelingt vor Allem das
Wunder, manche kostümliche Unart zu reizendster
Wirkung zu bringen, also das Laster gleichsam zu
vergolden und den Zeitgenossen die Ehre des guten
Geschmacks zu retten.
Denn anders wie in den Schöpfungen der hohen
Kunst und der großen Meister nimmt sich dasselbe
Zeitkostüm oft in untergeordneten bildlichen Dar-
stellungen aus, als da sind: Buchillustrationen, also
Miniaturen, Trachtenbücher u. dgl. mehr. Auf diesen
sittenbildlichen und kostümlichen Kunstblättern ist das

Absonderliche des jeweiligen Modegeschmacks sehr
prägnant gegeben, aber dies wird, der Deutlichkeit
wegen, oft auf die Spitze getrieben, outrirt, in ge-
wissen Fällen sogar karikirt. Wie es heute ja auch
in der letzteren Richtung manche Witzblätter mit Vor-
liebe thun, in der ersteren Richtung unsere Mode-
journale. Hier erhalten die Figuren, um einen be-
stimmten Kleidertypus möglichst scharf zu bestimmen,
gewöhnlich so undenkbare Proportionen, daß dadurch
übertriebene, unwahre Gesammtbilder des tatsäch-
lichen Zeitkostüms geboten werden. Es erscheint da-
her mitunter geradezu nothwendig, um eine Zeittracht
in der geläuterten Ausführung der eigentlichen Mode-
künstler und nicht der Modenarren zu studiren, auch
die Erzeugnisse der Malerei als Korrektiv heranzu-
ziehen.
(Schluß folgt.)
X
jHoycloyer I^uyskbpiek.
Von Bertha Thomas, London.
ie zu Anfang des Jahres in der Royal
Academy eröffnete Dan Dyck-Aus-
stellung ist in ihrer Art ganz so vortreff-
lich gelungen, wie es die Rembrandt-Veranstaltung
im vorigen Winter war. Unter den durch das Konnte
erwählten s2s> Oelgemälden befinden sich die besten
von allen denen, die England zu der Antwerpener
Dreijahrhundert-Ausstellung geschickt hatte. Dem Um-
stand, daß dieses Lreigniß vorhergegangen, haben
wir auch unstreitig die Herübersendung des unver-
gleichlichen, im Besitz des Kaisers von Rußland be-
findlichen „Philipp Lord Wharton" aus der Eremitage
zu verdanken. Freilich hätte bei der so großen Zahl
erstklassiger Stücke von der Aufnahme einiger zwanzig,
theils geringwertiger, theils schlecht konservirter oder
nicht zweifellos echter, abgesehen werden können. Sie
stören in der sonst so prächtigen Sammlung und
geben Veranlassung, daß sich hier und da ein ab-
sprechendes Urtheil in die allgemeine Stimme der
Befriedigung mischt. Auch die Empfindung, daß
grade die Kunst van Dycks eine Massenvorführung
seiner Werke nicht gut verträgt, macht sich unabweis-
lich geltend. Nicht nur wird dadurch eine ab-
schwächende Wirkung hervorgebracht, die den ästhe-
tischen Genuß beeinträchtigt, sondern dem Beschauer
auch die Wahrnehmung der Grenzen im Schaffen
dieses Meisters allzusehr aufgedrängt. Seine indivi-
duellen Vorzüge gründlich zu studiren, sein Können
zu bewundern, ist dies eine vorzügliche Gelegenheit.
Indessen, den ihm eigenen Reiz, die vornehme Grazie
seines Pinsels, seine Feinfühligkeit für die flüchtigsten
Momente und Subtilität in deren Wiedergabe wird
man immer besser und vollkommener würdigen können,
wo seine Werke zwischen denen anderer Maler hängen,
selbst wenn diese größer wären, als er. In Bezug
auf jene Eigenschaften ihm ebenbürtige Rivalen
würden sich unter denen schwer finden lassen.
Ueberwiegt auch in der Sammlung die englische
Periode (zu der alle die minderwerthigen Erzeugnisse
gehören, von denen ich sprach), so ist doch kein einziges
Entwicklungsstadium des Künstlers unrepräsentirt ge-
blieben, und daher ist man sehr wohl im Stande,
 
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