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Pfälzer Bote für Stadt und Land (26) — 1891

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Nr. 201 - Nr. 210 (5. Septmber - 17. September)
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Br eint sanlım arı Mugnahwe bder Sonn- und Feiertage.
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ME 1.20 ohne Trägerlohn n. ofanffdhlag. Beftellungen
Set hen Boflanftalten ı. Bei bar Erpebition Zwingerfiraße 7







Knzeige-Biatt für die Mıntsbezirke Heidelberg,
Ladenburg, WeinhHeim, Schwetziugen Philippabur.

Wiesloch, Bruchlal, Breiten, Nedargemünd, Mo3bac,
eherbach/ Buchen; Walldürn, T.-Bifchofsh. Wertheim 3,











Berantwortliher Nedakteur:
Hulins decer in Heidelberg.

Dınd, Berlag ı. Expedition von Gebr. Yuber
iu Beidelbera, Ziwingerüraße 7.





26. Jabtg.



z




— —


Windthorſt kaunte ſeine Leute und die Situation
Enau, menn er im Jaͤhre 1874 ſeinen politiſchen
Teunden abrieth, jebt fchon die ſoziale Frage in An-
9Uf zu nehHmen, da das Centrum dabei iſolirt ſein
ürde und nur auf die Mithilfe der wenig zahlreichen
etocn fonjervativen Proteſtanten rechnen konnte

da man ein Vorgehen des Centrums in dieſer

lage nur zu neuen Verdächtigungen ausnutzen
würde.

Vie richtig er geurtheilt. bewieſen die Debattten
Nber den Antrag Galen 1877. Triumphixend ver:
hf“bcte Qasfer am zweiten Tage der Debatte, daß
ür den Antrag SGalen, der den „Weg zur Rückehr”
dedente, auf dem nicht „die Befreiung von dem erreicht
Werden Fönne, was al3 wirkliche Beſchwerde im
andwerkerftande herrſchen mag“, nur der Abgeord-
Mete v. Kleift. Retzöw „einige leiſe Mitempfindung“
geäußert habe.
Den Jubel des mancheſterlichen Liberalismus, in
den auch, Max Hirfch lebhaft einftimmte, hatte der
Präfident des Reichstanzle ramtes, Miniſter Hofmanı,
urch ſeine Erklaͤtung hervorgerufen. Saͤmmtliche
Anträge, führte er aus, mit Ausnahme de 3
lenigen, den Herrn SGrafv. Galen hier
Dertreten hHat, ſind der Art, daß ſie von der
kegieruug in die reiflichſte Erwägung gezogen werden
Önnen und. müffen. Der Antrag, Galen und Ee:
Mofjen dagegen fönne in feiner gauzen Richtung, die
m namentlid durch durch die Motivirung aufge-
Yrägt ijt, nicht anders aufgefaßt werden, denn „als
ne Provokalion der Regierung, als ein ſehr ſchwerer
Ngriff gegen die Wirthſchaftspdlitil der verbündeten
Laͤierunßen und des Reichstages felbjt.“ Wenn je
e Regierung dieſen Antrag annehmen und ſich dar-
Uch richten wollte, dann allerdings würde in die ge-
Werblichen Berhältnifje eine „ganz derderbliche Schwan-
Ung“. hineinfommen. Es ſei bekannt, daß hervor-
Vende Mitglieder der „ultramontanen Partei”) ſich
on ſeil geraumer Zeit mit der ſozialen Frage be-
Yöäftigen.“ „E3 hal auch die ultramontane Preſſe
vielfach dieſe Fraͤge denutzt, um in der öffentlichen

Ua

Windthorſt erwiderte hierauf: „Die Ultramontanen,
Wie der Herr Staatsminijter Hofmann ung fortwährend
Senannt hat, — ıd weiß nicht, ob im Auftrage des Herın

eichsfanzierz (Angemeine Heiterkeit !) — ich will übrigens

ABegen gar nicht reflamiren. Wenn e& dem Herrn an-
Senchm..ijt, bin ich bereit, mich immer ſo nennen zu laſſen;
es ift für mich ein EShrentitel.“

|
|



Meinung Propaganda für ihre Partei zu machen.“
Jede Beſchränkung des Großbetriebs zu Gunſten des
KleinbetriebZ. „würde eine ſolche Schädigung unſeres
Nationalwohlſtandes ſein, daß man die Verarmung
der Nation und die Entvölkerung Deutſchlands (!)
als Reſultat erwarten müßte.“ Dazu kam noch offener
Spott: „Mit philoſophiſchen Ideen kann man eine
wundervolle Welt aufbauen, aber das Leben iſt
rauher, als die Philoſophie, und wenn wir uns mit
der Gewerbegeſetzgebung dem hohen Schwunge der
Ideen des Herrn Grafen Galen anſchließen wollten,
ſo würde ohne Zweifel die Wirklichkeit, die daraus
folgen müßte, ſehr unangenehmer und proſaiſcher
Nalur ſein!“

Während der Miniſter ſo den Centrumsantrag
ſchroff und ſpöttiſch abwies, hatte er ganz artige
Komplimente für den ſozialdemokratiſchen Antrag und
begrüßte ihn, wie Windthorſt hervorhob, mit beſonderer
Wärme.

Der helle Jubel im liberalen Lager war darnach
ſehr begreiflich. Die Tonart, welche der Miniſter dem
Centrum gegenüber anzuſchlagen für gut fand, kehrte in
noch kräfügeren Variationen in der Debatte wieder.
Allen vorau tummelte La s kermunter das Streitröß-
lein. Auch er ſprach von einer, außerparlamentariſchen
Agitation im Bolfe“ ſeitens des Centrums, die be-
rechnet ſei für eine „etwas niedrigere Intelligenz
während hier (im Parlamerte) die Wirthſchaftspolitik
„religiös philofophiſch behandelt wird nach den hohen,
einſchneidenden Grundſätzen, die der Herr Graf von
Galen uns vorgetragen hat“. Für den, der in der
Schule nichts von Geſchichte gelernt, habe Graf Galen
“eine ſehr bezaubernde Beredſamkeit? „Wber mit
dieſen ſeinen Schilderungen voͤlliger Gleichheit, mit
dieſer ſeiner frommen und demüthig klingenden Sprache,
mit dieſer göttlichen Weltordnung vereinbar war der
Zuſtand, der nächſt der Sklaverei ſteht, das Unter-
thanenverhältniß“. „Wie lange iſt es her. ſeitdem
wir den Zuſtand überwunden haben, daß die Reit-
peitſche die Herrſchaft geführt hat in der Hand der-
jelben Herru, die jetzt nicht genug von Gleichheit
ſprechen können und nicht ſtarke Worte genug finden,
um darzuthun, daß ſie beſonders beſtrebt ſind, den
Arbeiterſtaud zu einem menſchenwürdigen Daſein zu
erheben“. Wenn jetzt der Arbeiter ſich fühle,
wenn er die volle Gleichheit wolle, und „wenn
dieſe Bewegung auch ein wenig über-
ſchältumtein der Art, wie dieſelbe ſoziel-
dem okratiſch jetzt betrieben wird, ſoriſt
dieſes nichts anderes, als das Erwachen





des allgemein menſchlichen Gefühles,
welches wir durch unſere Geſetzgebung
hervorgerufenundbefeſtigt haben. Das-
rauf ſind wir ftol3!“*)

Die „abgeworfenen Feſſeln, die von den Gegnern
als göttliche Welterdnung gerühmt werden, „denn wozu
wird nicht der Name Gottes gebraucht“ ſind ihm
„Narrheiten“ und herausfordernd fragt Lasker:
„Wer von Ihnen wagt es heute, außer vielleicht der
Antrag Galen, deſſen unergründliche Tiefe ich nicht
ermeſſen kann GHeiterkeit), wer wagt es im Hauſe heute
anzuregen, daß wir dieſe Narrheiten wieder einführen?“

Dr. Wehrenpfennig ſuchte Lasker noch zu über-
bieten. Sein Gefühl, welches er bei der Rede des
Grafen Galen hatte, war etwa ſo, wie wenn wir eine
mittelalterliche Chronik in die Hand bekommen, bei-

‚*) Laslex fügte u A. noch bei; Auf dem Wege der
Freiheit müſſe weiter geſtrebt werden nach dem Maße und
der Ordnung, weil die Freiheit ſich nicht vollendet im.
bloben Ungebundenfein, fondern erſt in dem Bande, weiches
der befreite Menich fich ſelher auferlegt. Aebnliches hatte
Rickert ausgeführt. Darauf autwoxtete am nächften Tage
x. Helldorf mit einem zutreffenden Gleidhniffe; Sie wirth-
ſcaſten wie ein ſchlechter Waldwirth. Der verſtandige
Forſtwirth ſchlägt einen Beſtand alter abftändiger Bäume
nicht auf einmal nieder, entweder pflanzt er forort wieder, -
oder er lätzt Sonnenbäume ſtehen und dazwijchen Luft und
Licht, um das Heranwachſen de3 jungen Lebens zu befoͤr⸗
dexn; Sie haben den alten Beſtand auf einmal hHerunter»
geſchlagen und jetzt weht der Stuͤrm üher die Sandflächen
hinweg und Sie warten darauf, daß hier und da
ein zerſtreutes Samenkorn wieder Hoden fafle; Wald
wird wieder werden, aber wie piele Generationen darüiber
hinwegaehen. das wiſſen Sie nicht.”

Wohin aber die Gejeggebung, welche Lasker als das
Verk des Liberalismus ſo laut pries und auf welche er
ſo ſtols war/ geführt, davon entwarf die Deutſche volfse
wirthſchaftliche Korreſpondenz von %. Rock (7. Febr.
1877) folgendes noch dem Leben gezeichnete Bild: „Kaume
10 E}at)re„ ſind e$ her, ſeit man dem Manchefterthume die
pollen Zügel ſchließen ließ, und der wilde Renner liegt
jammt der Staatskutfche im Abgrunde. Un allen Enden
kricht der bkonemiſche und moraliſche Bankerott aus. Die
Induſtrie ein Zrümmerhaufe, der Handel am Bettelftabe
und ſeine Rettung in Schleuderverkäufen ſuchend! der Yra

beiter beſchäftiaungstes, vagabundirend, eine Beute
der Verzweiflung, der Branntweinpeſt des Vers
brecherthums ; die Frauen aus Voth in bhellen

Haufen der Proſtitution verfallend; der Handwerfer fozzal»
demokratijche Berjammlungen befuchend, über fozialdemo«
kratiſchen Broſchüten brütend; die Regierung in ihren
bkonomiſchen Anſchauungen gefpalten, huͤlflos das Barle-
ment noch zerfahrener, von der impotenten Doktrin ent-
nervt; die Staatshilfe diskreditirt, gelähmt ; die Selbſthiife
unzureichend. mangelhaft organifirt, theilwetie verbiutend
— ba8 ift die Bilanz des als höchite volkswirthſchaͤftliche
Weisheit angefündigten Laissez-faire Syf{tems.“





— —

an abonnire!




(ohne Trägerlohn.)



Das Geheinririß der Cxeolin.
Von Bernhard Derosne. achdruck verb.)
Autoriſirte freie Ueberfetzung von Philipp Freidant)

Q Ich möchte nur wiſſen, ob ſie dies Alles aushält, dachte
welchẽ fich immer noch auf dem Treppenabſatze be-

ND, mit einem Gefuͤhl wilder Freude und befriedigter
Made. Sie verbrachte den Reſt der langen Nacht zwiſchen
Bimmer und dem etwas tiefer gelegenen Treppenab-
üße, fortgejebt jpähend, mas.unter ihr. zuging. Sie ver-
nahm, daß der Arzt alle Verfuche, Eveline inZ Bewuͤßztfein
SUrKAzuführen, ebenfalz vergeblich gemacht hatte und daß
© an feiner Kunit beinahe verzweifelnd ſich zum Gehen
üniicte. „SIch karnnn augenblicklich nichis mehr; thun,“ ver-
Nahın Qucy. Es iſt ein ganz außerordentlicher Fall,. wie
1 einen jolchen niemals in meiner Praxis haͤtte; ich werde

%, meinte der Arzt, diefen Nachmittag wiederkommen,

Mn Sie dies wünſchen und die Doctoren Reachton und
S AD mitbringen, um gemeinſchaftlich Weiteres zu bexathen.
dn Sie dafr, daß Fräulein Rogan - ganz ungeſtört

Lbt und Nöoßen- Sie ihr die Nahrung ein, welche ich ver-
Ptdnet habe. S3 wird gut fein, Frau Sutherland, wenn
über z ®roßuater der jungen Dame fofort eine Depeſche
er den Vorfall jenden.“ — „Wags halten Sie, Herr Doctor,
D0N der Arankheit ?“ frug Arthur Sutherland mit ſo ver-
Anderter Stimme, daß fie der laufchenden Jucy vollftändig
remd Hang. Iſt gar feine Hoffnung mehr vorhanden ?”
N „Sieber junger Herr,“ erwiederte der Urzt, „Io lange
590 Seben. im menjchlichen Nörper vorhanden tit, darf man
gu Doffnung nicht aufgeben!” Die Saufcherin auf der

reppe überjekßte dieſe Worte des Arztes höhniſch mit dem

2)

Satze: das Schickſal Evelinens iſt beſiegelt.

Der Doctor fuhr an dieſem regneriſchen, trüben Morgen
nach Hauſe. Ein trauriger und trüber Tag folgte der
dunklen gewitterlichen Nacht; er konnte ſelbſt alückliche
Menſchen betrübt ſtimmen; doppelt traurig mußte er auf
die Bewohner des weiten Hexrſchaftshauſes einwirken,
welche ſo entſetzliches in dieſer Nacht exleht hHatten. Dide,
drohende Regenwolken verdunkelten den bleigrauen Himmel;
der Regen fiel in unendlicher Langweiligkeit bindfadenartig
zur Erde; der Wind wehte in ungeminderter Kraft und
ſchüttelte die regengeſchwängerten Bäume des Parks; das
eintöniage Geräuſch der an das Ufex ſchlagenden Wellen
des Meeres vermenate ſich mit dem Rauſchen der Bäume.
Im Herrenhauſe aher hHerrichte die Ruhe des Todes; den
Aufregungen der Nacht folate düſtere Ruhe. Wenn das
hübſche Zimmer des erſten Stodes einen Leichnam geborgen
hätte, ſo würde in dem alten Hauſe kaum eine tiefere
Stille geherrſcht haben. Eine Uhr ſchlus in tiefem Tone
neun Uhr und jeder Schlag erklang wie das Läuten der
Todtenklocke Luch ftieg in einer forgfältig aewählten
Toilette, die Haare mit einem Sammetband zurücgehalten,
mit ruhiger Miene in das Frühſtückszimmer hinab. Die
Thür, welche zum Zimmer Evelinens führte, war weit
offen und ſie ſah ıhre Tante an dem Bette des jungen
Mädchens figen, Sie ſah auch Axthur, als ſie an ſeinem
Bimmer vorüherkam, wię er abaeſpannt und verſtört auf-
und abging. Auguſta folgte ihr in den Speiſeſaal und ſie
das Frühſtück ein.

Als dies beendigt war, begab



und in aller Ruhe den Gang der Ereigniſſe abwartete.




Es vegnete unaufhörlich. während des ganzen Tages

und der durch den Wind bewegte Regen klaiſchte gegen die

Heniter. Die drei Aerzte aus St Maria trafen während

des Nachmittaas ein. Sie unterſuchten die Aranke und ”
rathſchlagten ſehe lange in der Bibliothek Luch verftand -
zwar nicht, was ſie {prachen, aber das Eine fand fie her-
au3, daß dieſelben durch die Krankheit Eveliuens gänzlich

aus der Zafjung gebracht waren. Die drei Yerzte blieben
beim Mahl und ſprachen leiſe über die Sonderbarkeiten
Dde8 elettriſchen Strames, über Menſchen welche durch den-
jelben blind, taud, ſtumm oder gar todt geſchlagen worden
waren, Aber alle Fälle, welche ſie anführten {hienen fein
vicht über den gegenwärtigen Fall zu bringen; ohne daͤß
ſich der Zuſtand Evelinen im Geringften geändert hHätte,
juhren die Aerzte in dex Wbenddämmerung: nach Haufe,
Drei Tage gingen ſo bin, ohne dak Befferung, eintrat.
Eveline Iag in ihrem veihen Bette wie eine Leiche, welch®

auf den Sarg wartet Die Seele welche diefes leichenblaffe
Seſicht belebte, ſchien für immer entflohen zu jein; denn
kein Seichen von Leben entdeckte man in ihren großen, weit

offenen Augen. VBon Zeit zu Zeit Öffnete man gewaltjanı

den Mund der Scheintodten und floßte ihr einige Trobfen
ſchweren Weines oder kräftiger Bonuilon ein. Daz Zimmer
blieb den ganzen Tag in einem Halbdunkel. Tag und Nacht
war ſtet; Jemand aus der Familie bei der Kranken. Ars

thur hatte jeit dem Anfalle Cyvelinen’3 weder Rahrung noch

Schlaf genoffen. Er wax blaß, aufgeregt, und feine Be-
jorgniß um Cveline wax ſo groß, daß Zedermann im Haufe
das Heheimniß ſeiner Liebe offenbar war.

YUm vierten Tage endlih nahm die Krankheit eine
andere Wendung; in dem Angenblich als ſich Arthur 3zu
ihr herunter neiate, ſprach fie deutlich ſeinen Namen aus,
In demſelben Augenblick aber fiel ſie in die alte Shumacht
zurüd und alle Anßrengungen ſie daraus zu erweden,
blieben erfolglos. „ES iſt doch recht fonderbar agte
Frau Sutherland, alg ſie mit ihrem Sohne fich zum Mahle
begab, „daß Herr Kogan nicht zuruck Lommt.“ Er
fann New· Norl verlaſſen haben bevor er unjer Telegramm
erhalten haͤt. Er wird aber ohne Zweifel bald ankommen.”

Fortſetzung folgt.)




 
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