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Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 28.1907

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Nr. 1
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Der Jonas: Tragikomisches aus dem Leben eines Silberschmiedes
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https://doi.org/10.11588/diglit.55853#0029

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PREIS-MEDAILLEN von WILH. MAYER <S ERZ. WILHELM-STUTTGART.

Der Jonas.
Tragikomisches aus dem Leben eines Silberschmiedes.

Der Wallfisch hatte ihn nicht ausgespuckt, aber wenn er ihn
verschluckt gehabt hätte, er hätte ihn auch nicht bei sich behalten.
Wohl mancher Kollege Schlesiens wird sich seiner und seines
Geschäftsbetriebes noch erinnern, und diese Erinnerungen werden
fast nie angenehmer Natur sein, denn dieser würdige Herr Kollege
hat sich die erdenklichste Mühe gegeben, das Ansehen unserer
Branche zu schädigen. Aber der gerechte Lohn blieb nicht aus.
Wie der ewige Jude Ahasverus irrt er von Stadt zu Stadt, hungernd
und frierend. Die Landstrasse ist seine Heimat und wird wohl
auch sein Sterbebett sein, wenn er überhaupt noch unter den
Lebenden weilt; denn seit einigen Jahren ist er nicht mehr hier
in B. gewesen. Er kam regelmässig wieder wie ein Zugvogel,
angeblich aus Heimweh, aber die Heimat hatte für ihn nichts
mehr übrig als ein Almosen, welches eben für diesen „Kollegen“
noch nicht einmal angebracht war. Da, wie gesagt, sich noch
mancher der Herren Kollegen, Prinzipale sowohl als Gehilfen,
seiner erinnern wird und seine Charakterveranlagung eine so
seltsame, sonderbare war, ist es vielleicht interessant, einige
Episoden aus dem Leben dieses sonderbaren Heiligen zu erzählen,
der ein wunderliches Gemisch von grausamster Gehässigkeit
seiner Familie gegenüber, von selbstlosester Gutmütigkeit gegen
Fremde, aber in geschäftlicher Beziehung immer schäbig war.
Als er sich in den 70 er Jahren in B. etablierte, hatte er
bereits zwei kurze Meisterperioden durchgemacht, und zwar stets
in Gemeinschaft eines anderen strebsamen Kollgen; jedoch wurde
stets nach kurzer Zeit infolge seines unberechenbaren Charakters
auf seine werte Mitwirkung verzichtet, obwohl er technisch ein
fleissiger und nicht ungeschickter Arbeiter gewesen sein und über
nicht unbedeutendes ererbtes Vermögen verfügt haben soll. Es
war eben für einen vernünftigen normalen Menschen eine Un-
möglichkeit, seine Bosheiten auf die Dauer zu ertragen.
Er etablierte sich also im Jahre 1875 in B. zum dritten Male,
und zwar allein, und wirklich schien es nun, als ob er im Stande
wäre, ein Geschäft zweckmässig zu leiten.
Zu dieser Zeit hatten die kleinen Besteckwerkstätten noch
keine Überproduktion durch die Maschinenarbeit zu fürchten.
Aufträge waren genügend vorhanden und auch Jonas hatte voll-
auf zu tun, so dass er regelmässig drei bis vier Gehilfen und ab
und zu sogar sechs Gehilfen beschäftigen konnte. Jedoch bald
wurde es ihm zu wohl, er liess Geschäft Geschäft sein und ging
lieber in die Kneipe und nicht zum wenigsten in solche, wo die
holde-Weiblichkeit den vollen Becher kredenzte, und es war
seine ganze Glückseligkeit, wenn er von derartigen Schmarotzer-
pflanzen gelobhudelt wurde und er sich wichtig machen konnte
als Silberschmiedemeister. Wenn ihm seine Zechgenossen so

'recht nach dem Munde redeten, konnten sie verlangen von ihm,
was sie wollten. Er zahlte dann jede Zeche und war sie noch
so gross, ja einmal zeigte er seinen Kumpanen silberne Zaine
und schenkte einen solchen einem, der ihn darum ersuchte.
Wenn er nun durchfeuchtet und begeistert in die Werkstatt kam
und den Meister herauskehren wollte, erregte er in seiner schwan-
kenden Würde, seinem fuseldunstigen Quatsch nur den Hohn der
allzeit spottlustigen Silberschmiedegesellen. Wenn sich aber der
Meister den Respekt vergibt und sich seinen Gehilfen gegenüber
lächerlich macht, so ist das noch nie dem Geschäfte förderlich
gewesen. So kam es, dass Jonas, um dem Spott zu entgehen, in
die Kneipe zurückkehrte, die Gesellen aber mitnahm und sie fest
mit dem bei den B.’er Silberschmiedegesellen von jeher so be-
liebten und berühmten B.’er Korn traktierte. Wenn nun alle so
voll des Geistes waren, fing der Herr Meister an zu krakehlen:
„Ich bin ebend der Meester, ich kann mich ebend besaufen, wenn
ich will, das geht euch gar nischt an“. Wer ihm widersprach,
zu dem sagte er: „Sie können eben gleich sofort aufhören“, um
im nächsten Augenblick zu sagen: „Sie sind eben mein Bester.
Sie können eben ewig bei mir bleiben. Ihnen koofe ich ’ne Palme
und ’nen Sarg“.
Auch sonst gab es im Verkehr mit seinen Leuten manche
heitere Episode, dass er einem seiner Lehrlinge Zigarren anbot,
damit er ihn (den Meister) nicht verhauen solle, und dass er sich
nicht traute, seinen Stift zu duzen, sondern „Sie“ zu ihm sagte,
mag nur nebenher erwähnt sein.
Eines Sonnabends war Meister Jonas beim Schmelzen, als er
bemerkte, dass seine Gehilfen besonders eifrig arbeiteten, um
noch „Schweine“, d. i. angefangene Arbeit, welche aber schon voll
bezahlt wird, zu bekommen. Nun regte sich in Jonas die Bosheit
und mit den Worten: „Was, Schweine wollt ihr haben, ich werde
euch eben was malen“, riss den Schmelztiegel mit dem grade
flüssigen Silber aus dem Schmelzofen, rannte auf den Hof und
goss das glühende Silber in den — — Kanal. Als er zur Be-
sinnung kam und er sich bewusst wurde, dass er unglaublich
blödsinnig gehandelt und er sich grossen Schaden zugefügt habe,
gings an ein eifriges Ausräumen, Schlämmen und Waschen, um
das Silber wieder herauszuholen. Nun mussten auch die Gehilfen
hilfreiche Hand reichen, ob sie aber noch Schweine gekriegt haben,
weiss ich leider nicht zu sagen.
Es ist in Schlesien und auch wohl anderswo eine alte Sitte
bei den Silberschmieden, den Beginn der Lichtarbeit (Lichtegans)
zu feiern. Gewöhnlich geschah dies in Form eines Kränzchens oder
eines gemeinschaftlichen Ausfluges, welchen die Gehilfen ver-
anstalteten. Jetzt ist aber diese Sitte fast ganz ins Vergessen

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