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Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 28.1907

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Nr. 15
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Ein Wort über Innungswesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55853#0131

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=|| | JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST.

Ein Wort über
Nach langer Zeit taucht in unserem Leserkreise wieder
einmal die Frage auf: Welche Innungsform ist für die
lokale Organisation der Goldschmiede die vorteilhafteste?
Die Beantwortung dieser Frage ist nicht so einfach und
von uns vor einigen Jahren wiederholt versucht worden.
Wir alle standen damals dem nunmehr genau 10 Jahre
alten sogenannten „Handwerkerschutzgesetze“ noch mit
geringen Erfahrungen und den viel umstrittenen Zwangs-
innungen allgemein mit dem Vorurteil gegen das veraltete
Zunftwesen gegenüber. Heute haben sich wohl die
Meinungen der Volkswirtschaftler über die in Frage
kommenden zwei Formen der neuzeitlichen Innungen
geklärt und die der Gewerbeangehörigen in feste Formen
geprägt, die teils aus guten und teils aus trüben Er-
fahrungen bestehen. Und sie waren grundverschieden, die
Erfahrungen, die man mit einzelnen Teilen des Reichs-
gesetzes vom 26. Juli 1897 gemacht hat, so verschieden, dass
man an dem ganzen Gesetze überhaupt irre werden könnte.
Der Kern des Gesetzes von 1897 bestand in den
Bestimmungen über die Errichtung von Zwangsinnungen,
womit der Gesetzgeber den Wünschen aus Handwerker-
kreisen, ihnen zum Schutze ihrer gefährdeten Interessen
ein Machtmittel zu verleihen, entgegen zu kommen trachtete.
Die Einrichtung von Zwangsinnungen sollte gleichzeitig
als ein Ersatz für den seit einigen Jahrzehnten geforderten
Befähigungsnachweis sein, sie war bestimmt, das Lehr-
lingswesen zu regeln und dem Meistertitel einen Schutz
zu gewähren. Das Gesetz war mit den besten Absichten
der Welt, mit Ernst und Fleiss entstanden und in seinem
Prinzip wohl dazu angetan, die damit gesteckten Ziele zu
erreichen. Aber es hatte nicht mit der Auffassung der
Handwerker und mit der begreiflichen und rein mensch-
lichen Stimmung gerechnet, welche erzeugt wird, wenn
man wahllos divergierende Kräfte und Charaktere in ein
gemeinsames Joch spannen will. Wo die Leitung eines
derartigen Unternehmens eine geschickte war, wo es dem
Führer eines solchen Zwangsinnungsgefährtes gelang, die
Gegensätze auszugleichen und die auseinandergehenden
Ansichten zum gemeinsamen Handeln zu vereinigen, da
ist ja auch zeitweilig die Absicht des Gesetzgebers erreicht
worden und das Experiment geglückt. In vielen Fällen
leider aber nicht, und — dies darf dabei jedoch nicht
verschwiegen werden — es ist häufig genug der Mangel
an Entgegenkommen, an Selbstherrschung, gutem Willen
und selbst Taktgefühl der Grund des Misslingens gewesen.
Die Absicht des Gesetzgebers war, die gesamten
Angehörigen eines Berufes bezirksweise zu gemeinsamen
Handeln zu vereinigen oder sie wenigstens zu den Lasten
der Innungsarbeit heranzuziehen. Man hatte sich die
Massregel des Zwanges als eine mildere gedacht und
erwartet, dass sie von Seiten der Berufsgenossen als das,
was sie sein sollte, als eine obligatorische Verpflichtung

Innungswesen.
im Interesse der Allgemeinheit, angesehen würde. Dagegen
haben die Handwerker sie als eine Bevormundung auf-
gefasst, die dem Zeitgeiste zuwider laufe und von einem
fortschrittlich gesinnten Geiste bekämpft werden müsse.
Die Verfechter dieser Meinung ziehen die Form der freien
Innung der der Zwangsinnung vor, ohne indes mit dieser
günstigere Erfolge, als mit jener erzielt zu haben.
Betrachten wir uns einmal die Formen beider ein
wenig näher. Bei der freien Innung ist es jedem Hand-
werker freigestellt, ihr beizutreten und auszutreten, wenn
es ihm genehm erscheint. Die freie Innung kann daher
auch einen Bewerber um die Aufnahme zurückweisen.
Sie hat ferner das Recht, unter sich gemeinsame Preise zu
vereinbaren, Einkaufsgenossenschaften zu gründen, Meister-
und Gehilfenprüfungen vorzunehmen. Im allgemeinen ist
sie aber nichts weiter als ein Verein, der die Rechte einer
juristischen Person besitzt und im übrigen ziemlich stark
der Kontrolle der Behörden unterstellt ist. Eine Macht
besitzt sie aber nur dann, wenn in dem betreffenden Be-
zirke das in Handwerkerkreisen seltener vorhandene Soli-
daritätsgefühl einmal ausnahmsweise stärker ausgeprägt ist,
als im allgemeinen.
Die Zwangsinnung dagegen umfasst alle Handwerker
des in Frage kommenden Verwaltungsbezirkes ohne Aus-
nahme und hat die Verpflichtung, Prüfungsausschüsse
namentlich für Lehrlinge zu bilden, während den freien
Innungen dies nur als Recht von der Handwerkskammer
zugebilligt werden kann. Aus naheliegenden Gründen ist
es den Zwangsinnungen untersagt, von Innungs wegen ge-
meinsame Preise zu vereinbaren und gemeinsame Geschäfts-
betriebe zu eröffnen. Sie bilden dagegen selbst quasi
eine Art Behörde, der weitgehender behördlicher Schutz
zur Seite steht. Sie haben das Recht und die Pflicht,
das Lehrlingswesen zu überwachen, was besonders im
Hinblick auf den einen Umstand wichtig ist, dass sich
einer Zwangsinnung kein Handwerker der Branche ent-
ziehen kann.
Es ist wahr, der Zwang, welcher mit dieser Art von
Innung verknüpft ist, hat etwas Barbarisches an sich und
wird Viele unsympathisch berühren. Wir dürfen aber nicht
vergessen, dass gerade dem Indifferentismus in Handwerker-
und Mittelstandskreisen gegenüber eben nur noch Zwangs-
mittel etwas zu helfen vermögen und bei einer Ablehnung
derselben in bisheriger Weise immer mehr die Gefahr
wächst, dass das Handwerk an den Begleiterscheinungen
der Gewerbefreiheit und der inneren Zersplitterung zu
Grunde geht.
Trotzdem sich vielfach die Zwangsinnungen nicht be-
währt haben, können wir nicht anders, als sie dennoch
als die idealste Form einer Innung zu erklären. Dies als
Antwort auf die an uns gerichtete und eingangs aufge-
stellte Frage.


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