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Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 28.1907

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Nr. 31
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Ein Reskript von vor 100 Jahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.55853#0265

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|[Ö||- -II | JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST. | ||— - -|[Ö]j

Ein Reskript von vor 100 Jahren.

—1. Die Entwickelung der Pforzheimer Goldwaren-
Industrie hat keineswegs eine allzu lebhafte Unterstützung
von Seiten der Regierung gefunden, wie überhaupt die
Goldstadt des Badischen Landes häufig genug eine in
keinem Verhältnisse zu seiner industriellen Bedeutung stehende
Zurücksetzung namentlich Karlsruhe gegenüber erfahren
musste. Die Industrie war anfänglich zum Zwecke einer
lohnenden Beschäftigung der Waisenkinder eingeführt

sich vom Militärdienst loszumachen, und deshalb soll den
sämtlichen Fabrikanten auferlegt werden, dass sie keinen
Landmannssohn mehr in die Lehre nehmen dürfen, der
nicht vorher die Erlaubnis zur Erlernung der Kunst in
Karlsruhe ausgewirkt hat, wo alsdann nach den eintretenden
Umständen das Gesuch bewilligt oder abgeschlagen werden
kann. „Aber“, sagt Stolz in seiner Geschichte von Pforz-
heim, „die Umstände waren doch mächtiger als alle Mass-


Hochbrücke bei Levensau

worden, die sonst nicht imstande gewesen wären, das
Lehrgeld für ein Handwerk aufzubringen. Aus diesem
Grunde wollte die Stadt auch an diesem Vorteil, der ihr
ein gut Teil ihrer Armenlast abnahm, möglichst wenig
Auswärtige teilnehmen lassen und erliess auch die Regierung
an die Behörden Pforzheims im Jahre 1807 ein Reskript,
dessen Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit man sich heute
nach 100 Jahren wohl einmal erinnern kann. Dieses
Reskript gipfelte in nachstehender Verfügung: Allerdings
sind die Söhne der Landleute zunächst wiederum zum
Bauernstände bestimmt und ihre Konkurrenz im Gewerbe
ist dem Bürgerstande sehr hinderlich. Auch vermutet
man, dass der Übergang von Bauernsöhnen der Gegend
um Pforzheim zur Bijouteriearbeit nur den Zweck hat,

regeln und Reskripte. Bei den Bauern war es übrigens
keineswegs die Furcht vor dem Militärdienst, was sie be-
wog, ihre Kinder in die Fabrik zu schicken. Vielmehr
war und ist es heute noch die Tatsache, dass dieselben
hier mühe- und kostenlos unterzubringen sind, und jeden
Samstag Geld mit nach Hause bringen, ausserdem die
Aussicht für den Arbeiter, sich durch Fleiss und Geschick-
lichkeit einmal selbständig machen zu können. Das ist
der eigentliche Lebensnerv, die eigentliche Triebkraft der
Industrie, die ihr im Volke rasch den Boden gewonnen
haben: Lehrlingslohn, Stücklohn und Wegfall der Zunft-
schranke“. Diese Tatsache dürfte im Zeitalter der Gewerbe-
freiheit vielleicht für manchen ein wenig lehrreich sein,
der immer der „guten, alten Zeit“ ein Loblied singt!

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