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Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 28.1907

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Nr. 43
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Tarifverträge
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https://doi.org/10.11588/diglit.55853#0360

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JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST.


Tarifverträge.

Ueber den Unwert der Tarifverträge entnehmen wir der Süd-.^Gesetz über die Berufsvereine den Gewerkschaften die Rechts-
westd. Wirtschaftszeitung folgende Aeusserung des Rheinischen* fähigkeit zusprechen sollte. Eine Durchführung der Ansprüche
Fabrikantenvereins zu Elberfeld in seinem Jahresbericht: „Der des Arbeitgeber aus dem Tarifverträge wäre nur dann gegeben,

wenn die Organisation eine ausreichende Sicherheit hinterlegte,
die dafür haftet, dass auch der einzelne Arbeiter seinen Ver-

Tarifvertrag ist in seiner Durchführung weiter nichts als die Kon-
sequenz des sozialistischen Prinzips mit seiner auf allen Gebieten
gewollten Gleichmacherei; er ist ein Hemmnis sowohl für die Unter-
nehmungslust des Arbeitgebers wie für den auf die Ausnutzung
seiner Arbeitskraft bedachten Arbeitnehmer, er vermindert die
Produktion und verlangsamt die technischen Fortschritte in den
Produktionsmethoden. Für die auf den Export angewiesenen
Industrieen bringt er die direkte Gefahr der Konkurrenzunfähigkeit.
Wenn England trotz der schweren Schädigungen, welche seine
Industrie durch den Terrorismus der Gewerkvereine erlitten hat,
seine Konkurrenzfähigkeit in einzelnen Artikeln noch behauptet,
so ist das kein Beweis für die Unschädlichkeit des Tarifvertrages,
sondern für die ungeheure Machtfülle in politischer und finanzieller
Beziehung, durch die England den anderen Nationen um Menschen-
alter voraus ist. Für Deutschland aber, das den Mangel an Roh-
materialien und natürlichen Hilfsquellen durch vermehrte Arbeits-
leistung auszugleichen gezwungen ist, wenn es den Wettbewerb
mit dem Ausland sich sichern will, bildet der Tarifvertrag eine
nicht zu unterschätzende Gefahr. Gleichwohl wird von manchen
Seiten in dem Abschluss von Tarifverträgen das Allheilmittel
erblickt, um die wirtschaftlichen Kämpfe der Gegenwart zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn nicht aus der Welt zu
schaffen, so doch zu vermindern und in ihren nachteiligen Folgen
abzuschwächen. Es mag in einzelnen Industriezweigen, namentlich
solchen, bei denen der Absatz nach dem Auslande nicht in Frage
kommt, der Tarifvertrag bisher nicht ungünstig eingewirkt haben.
Aber auch hier lässt sich feststellen, dass der Abschluss solcher
Verträge nicht freiwillig, sondern unter dem Zwange der Notlage
erfolgt ist, weil die Gewerkschaft bereits zu übermächtig geworden
war. Es mag auch sein, dass sie eine periodische Ruhe in die
Bewegung bringen. Aber, wenn wir den Gang der Ereignisse
verfolgen, sehen wir, dass hier eine Lösung des Streites nicht
liegt. Der Tarifvertrag schafft nur einen Waffenstillstand, der
dazu dient, auf beiden Seiten die Rüstungen zu verstärken, um
nach Ablauf desselben um so heftiger und langwieriger den Kampf
zu wiederholen. Und was ist das Ergebnis? Ein fortgesetztes
Höherschrauben der gegnerischen Ansprüche, ein fortgesetztes
Zurückweichen der Arbeitgeber. Wenn Fürst Bismarck einmal
gesagt hat, „nichts sei verfehlter als eine Auffassung, die sich
schmeichle, durch Paktieren mit der Begehrlichkeit der Arbeiter
zur Sicherung des allgemeinen Friedens zu gelangen“, so bildet
die bisherige Geschichte der Tarifverträge eine nur zu wahre
Bestätigung dieser Worte. Was die Arbeiter in Zeiten der Hoch-
konjunktur durch den Tarifvertrag erlangt haben, das wird unter
allen Umständen festgehalten und bildet die Grundlage zu neuen
Forderungen. Bisher haben wir es aber noch nicht erlebt, dass
bei heruntergehender Marktlage die Arbeiter ihre bisherige Stellung
aufgegeben und den veränderten Verhältnissen angepasst hätten.
So stellt der Tarifvertrag ein Vertragsverhältnis dar, das nur
einseitig die Vorteile des einen Teiles berücksichtigt. Dazu kommt
die völlige Unerzwingbarkeit des Vertrages gegen die Arbeitnehmer.
Der Arbeitgeber ist selbstverständlich an die getroffenen Ab-
machungen gebunden, und wehe ihm, wenn er dagegen verstossen
sollte, die Erfüllung wird mit allen Mitteln gegen ihn durchgesetzt;
für die Erzwingbarkeit der Gegenleistung fehlt es aber an jeder
Möglichkeit. Der einzelne Arbeiter verlässt trotz des Tarifvertrages
seine Stellung, wo und wann es ihm passt, und sobald sich ihm
eine günstigere Gelegenheit bietet. Die Organisation kann, selbst
wenn sie sich vertraglich verpflichten wollte, dem Arbeitgeber
die erforderliche Zahl von Arbeitskräften nicht gewährleisten, und
ein Schadenanspruch gegen die Organisation selbst ist vollkommen
ausgeschlossen. Das wird auch kaum anders werden, wenn das

pflichtungen nachkommt. Wäre aber auch alles dies zu erreichen,
der Tarifvertrag bleibt theoretisch wie praktisch ein Unding. Was
die Arbeitskraft wert ist, darüber entscheidet das natürliche Gesetz
von Angebot und Nachfrage, und der Versuch, diese natürliche
Entwicklung zu unterbinden, wird sicher auf die Dauer zum
Nachteile des einen oder anderen Teils, wahrscheinlich aber für
beide Teile, ausschlagen. Wir verstehen es deshalb vollkommen,
wenn unsere Unterverbände dem Ansinnen der Gewerkschafts-
leitungen, durch Tarifverträge bestimmte Teile des Arbeitsver-
hältnisses allgemein festzulegen, geschlossenen Widerstand ent-
gegengesetzt haben. Eine besonders unannehmbare Forderung war
hierbei diejenige, für etwa entstandene Streitigkeiten das Gewerbe-
gericht als Einigungsamt einzusetzen. Wir haben schon bei
früheren Gelegenheiten uns entschieden dahin ausgesprochen, dass
das Gewerbegericht weder berufen noch geeignet ist, in den Lohn-
kämpfen die Rolle eines Schiedsrichters zu übernehmen, weswegen
es an dieser Stelle genügen wird, noch einmal darauf hinzuweisen“.
Bekanntlich ist die Frage des Tarifvertrages auch in der Edel-
metallindustrie in den vorjährigen Pforzheimer Lohnkämpfen
angeschnitten worden. Die Arbeitgeberschaft hat sich indessen
lediglich darauf beschränkt, davon Notiz zu nehmen, dass derartige
Bestrebungen bestehen. Und zwar aus im wesentlichen denselben
Gründen, die in den vorstehenden Ausführungen des Elberfelder
Fabrikantenvereins wiedergegeben sind, und mit besonderer
Berücksichtigung des Umstandes, dass die Pforzheimer Industrie
überwiegend Exportindustrie ist, die 2/3 bis 3/4 ihrer Produktion auf
den Weltmarkt liefert. Daneben ist freilich noch zu berücksichtigen,
dass die Edelmetallindustrie zu recht bedeutendem Teil hoch-
qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt, bei denen nicht nur die
einfache Hergabe ihrer Körper- und Arbeitskraft bezahlt wird,
sondern das persönliche individuelle Können, das in letzter Linie
auf natürlicher Veranlagung und Begabung beruht und durch lang-
jährige Schulung uud Vorbereitung einer zweckmässigen Pflege
und Ausbildung bedarf. Diese Arbeitskräfte müssen sich natürlicher-
weise gegen die Tarifirung durchaus persönlicher und individueller
Leistungen wehren und haben dies auch bereits getan. Die
Handelskammer Pforzheim schreibt in dieser Beziehung über den
Versuch eines Tarifvertragsabschlusses mit den Emaillemalern in
ihrem Jahresbericht für 1906, S. 32: „Unterm 3. Mai d. J. liess
der Verband der Emaillemaler durch seinen Vertreter behufs
Abschlusses eines allgemeinen Lohntarifs mit festen Akkordsätzen
das Einigungsamt (das Gewerbegericht) anrufen. Die durch den
Vorsitzenden mit den in Betracht kommenden Arbeitgebern ein-
geleiteten Verhandlungen ergaben jedoch ein negatives Resultat,
da viele Emaillearbeiter nur gegen Stundenlohn und nicht im
Akkord arbeiten, und der Abschluss eines allgemeinen Lohntarifes
für sämtliche Geschäfte wegen der Verschiedenheit der in den
einzelnen Fabriken hergestellten Artikel undwegen der Verschieden-
heit in der Ausführung selbst sich nicht wohl erzielen lässt“.
Aehnlich wie dieser dürften alle Versuche, Tarifverträge abzu-
schliessen, bei allen hochqualifizierten Arbeitern auslaufen. Denn
individuelles auf angeborener Begabung beruhendes und durch
langjährige Schul- und Ausbildung gewonnenes Können wird sich
eben nie und nirgends in das Schema eines auch noch so spe-
zialisierten Tarifvertrages bringen lassen. Und mit Recht, denn
individuelles Streben wird sich stets und immer gegen die Fesseln
einer Tarifirung wehren müssen, die notwendigerweise doch nur
ein gewisses (niedriges) Durchschnittsniveau berücksichtigen kann
und deshalb stets dem Streben nach möglichst vorteilhafter Ver-
wertung individuellen Könnens abhold und feind sein muss.
K-r.

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