Journal der Goldschmiedekunst
Dr.29
13. Juli 1907.
Inhaltsverzeichnis u. Bezugsbedingungen
befinden sich am Schlüsse des redakt. Teiles.
28.
Jahrgang
Erscheint jeden Sonnabend :: ::
in zwei sich abwechselnden Ausgaben.
Juweliere, Gold- und Silberschmiede,
CHEMNITZ, GERA-ALTENBURG, GLEIWITZ, GLOGAU,
Innung pfälz.Gold- u. Silberarbeiter (Sitz: NEUSTADT a.H.),
der Freien Vereinigungen der Gold- und Silberschmiede zu
Silberschmiede von BADEN, WÜRTTEMBERG, RHEINLAND
WÜRZBURG und des Regierungsbezirks FRANKFURT a. O.
LEIPZIG, Reichssfrassß 18-20
Amtliches Organ des Verbandes Deutscher
der Goldschmiede-Innungen zu BERLIN, BRAUNSCHWEIG,
KOLBERG, LEIPZIG, LIEGNITZ und SCHWEIDNITZ, der
der Goldschmiede-Werkgenossenschaft BERLIN (E. G. m. b.H.),
GÖRLITZ u. STETTIN und derVereine der Juweliere, Gold-u.
und WESTFALEN, KÖLN, MÜNCHEN, WIESBADEN,
HERin. SCHLAG HACHF
Nachdruck aller Artikel ohne Genehmigung der Redaktion ist verboten.
Kannibalismus im Handel.
Mit dieser ^Bezeichnung wurde anlässlich der im
Monat März in Brighton abgehaltenen Versammlung
der „National Association of Goldsmiths“ der Detail-
handel belegt, wie er durch Fabrikanten und Grossisten
betrieben wird.
„Wir stehen, so führte der Redner aus, vor der so
wichtigen Frage des Detailhandels durch die Fabrikanten.
Es ist dies leider ein Übel, das in allen Erdteilen zu
finden ist. Es breitet sich rasch über unsern Kontinent
aus, man trifft es in Amerika und es verursacht in den
Kolonien denselben Schaden wie bei uns. Dies ist eine
von jenen Fragen, deren Lösung von einer gewissen-
haften und genau studierten Aktion abhängt — einem
gemeinschaftlichen Zusammengehen, welches die Rechte
des Detaillisten hochhalten und zu gleicher Zeit die-
jenigen des ehrlich handelnden Grossisten achten soll.
Der Fabrikant und der Zwischenhändler haben ihre
besondern Wirkungskreise und ich kann nicht begreifen,
warum jener die Kundschaft des Publikums sucht.
Der Fabrikant, welcher Detailhandel treibt, begeht eine
Art „Kannibalismus im Handel“. Ein altes Sprichwort
sagt: „Keine Krähe hackt der andern die Augen aus“.
Hier aber wird folgende Stelle einer Ballade in die
Tat umgesetzt: „Zur Mittagszeit frassen sie gewöhnlich
einander auf, der härteste überlebte die andern“.
Allein dies ist das Gesetz der Wüste und nicht der
Lebensgrundsatz der zivilisierten Welt. Zudem bekämpft
man sich nicht mehr, um sich zu fressen. Der Kampf
hat sich der Natur nach geändert. Es ist nicht immer
der Stärkere, der triumphiert, sondern sehr oft der
Gewandtere. Sagen wir der Schlechtere. Gewiss lässt
sich die Lehre Darwins auch auf das kommerzielle
Leben anwenden, aber der Kampf ist gewissen Regeln
unterworfen. In den Kulturländern schützt man ge-
wöhnlich die Schwachen gegenüber den Starken —
und Kaufleute und das Publikum gegenüber unehrlichem
Geschäftsgebaren und| IBetrug. Der Spezereihändler
darf nicht Margarine für Butter verkaufen, der Gold-
schmied nicht Double für Gold. Wenn die Darwin-
schen Lehren die zivilisierte Welt regierten, wie es viele
wünschten, so beständen weder Zivilisation noch Ge-
setze, die den Handel in richtige Bahnen leiteten. Heute
wickelt sich der Kampf nicht mehr zwischen Einzel-
wesen ab, sondern zwischen Gruppen von Individuen.
Dergestalt ist heutigen Tages der Kampf ums Dasein
geworden. Das sollte jedermann begreifen und deshalb
muss man sich zusammentun, sich organisieren. Die
Organisation ist das einzige Mittel des Kleinhandels,
um sich gegen illoyale Übergriffe zu schützen, welche
ihre gesetzlichen Schranken durchbrechen und den Klein-
händler schädigen.
Die Detaillisten haben einen andern, nicht weniger
gefährlichen Feind. Ich meine die Konkurrenz, die sie
sich gegenseitig machen. Das Heilmittel ist wieder die
Organisation. Es gibt Uhrmacher-Reparateure, welche
Uhren für einige Pfennige reinigen, und andere, die
Uhren zu lächerlich billigen Preisen verkaufen. Die-
selben Erfahrungen macht man mit Artikeln des Juwelen-
und Goldwarenhandels. Die Uhrmacher-Goldschmiede
sind Konkurrenten, aber sie sind auch gut unterrichtete und
gut erzogene Männer und es ist kein Grund vorhanden,
dass sie nicht in gutem Einvernehmen leben sollen und
können. Wenn die um ihr Dasein kämpfenden Arbeiter
sich zu Verbänden vereinigen, warum sollten dann gut
geschulte Männer, wie Uhrmacher und Goldschmiede
nicht ähnlich vorgehen. Viele sagen zwar, dass das
Heilmittel in der Unterstützung durch Gesetze liege,
aber gerade das Parlament und seine Mitglieder nehmen
keine Notiz von Individualitäten, sie achten und anerken-
nen nur die organisierten und mächtigen Körperschaften“.
Diese Worte eines Engländers, dessen Landsleute
sonst im allgemeinen und auch besonders im Handel
209
Dr.29
13. Juli 1907.
Inhaltsverzeichnis u. Bezugsbedingungen
befinden sich am Schlüsse des redakt. Teiles.
28.
Jahrgang
Erscheint jeden Sonnabend :: ::
in zwei sich abwechselnden Ausgaben.
Juweliere, Gold- und Silberschmiede,
CHEMNITZ, GERA-ALTENBURG, GLEIWITZ, GLOGAU,
Innung pfälz.Gold- u. Silberarbeiter (Sitz: NEUSTADT a.H.),
der Freien Vereinigungen der Gold- und Silberschmiede zu
Silberschmiede von BADEN, WÜRTTEMBERG, RHEINLAND
WÜRZBURG und des Regierungsbezirks FRANKFURT a. O.
LEIPZIG, Reichssfrassß 18-20
Amtliches Organ des Verbandes Deutscher
der Goldschmiede-Innungen zu BERLIN, BRAUNSCHWEIG,
KOLBERG, LEIPZIG, LIEGNITZ und SCHWEIDNITZ, der
der Goldschmiede-Werkgenossenschaft BERLIN (E. G. m. b.H.),
GÖRLITZ u. STETTIN und derVereine der Juweliere, Gold-u.
und WESTFALEN, KÖLN, MÜNCHEN, WIESBADEN,
HERin. SCHLAG HACHF
Nachdruck aller Artikel ohne Genehmigung der Redaktion ist verboten.
Kannibalismus im Handel.
Mit dieser ^Bezeichnung wurde anlässlich der im
Monat März in Brighton abgehaltenen Versammlung
der „National Association of Goldsmiths“ der Detail-
handel belegt, wie er durch Fabrikanten und Grossisten
betrieben wird.
„Wir stehen, so führte der Redner aus, vor der so
wichtigen Frage des Detailhandels durch die Fabrikanten.
Es ist dies leider ein Übel, das in allen Erdteilen zu
finden ist. Es breitet sich rasch über unsern Kontinent
aus, man trifft es in Amerika und es verursacht in den
Kolonien denselben Schaden wie bei uns. Dies ist eine
von jenen Fragen, deren Lösung von einer gewissen-
haften und genau studierten Aktion abhängt — einem
gemeinschaftlichen Zusammengehen, welches die Rechte
des Detaillisten hochhalten und zu gleicher Zeit die-
jenigen des ehrlich handelnden Grossisten achten soll.
Der Fabrikant und der Zwischenhändler haben ihre
besondern Wirkungskreise und ich kann nicht begreifen,
warum jener die Kundschaft des Publikums sucht.
Der Fabrikant, welcher Detailhandel treibt, begeht eine
Art „Kannibalismus im Handel“. Ein altes Sprichwort
sagt: „Keine Krähe hackt der andern die Augen aus“.
Hier aber wird folgende Stelle einer Ballade in die
Tat umgesetzt: „Zur Mittagszeit frassen sie gewöhnlich
einander auf, der härteste überlebte die andern“.
Allein dies ist das Gesetz der Wüste und nicht der
Lebensgrundsatz der zivilisierten Welt. Zudem bekämpft
man sich nicht mehr, um sich zu fressen. Der Kampf
hat sich der Natur nach geändert. Es ist nicht immer
der Stärkere, der triumphiert, sondern sehr oft der
Gewandtere. Sagen wir der Schlechtere. Gewiss lässt
sich die Lehre Darwins auch auf das kommerzielle
Leben anwenden, aber der Kampf ist gewissen Regeln
unterworfen. In den Kulturländern schützt man ge-
wöhnlich die Schwachen gegenüber den Starken —
und Kaufleute und das Publikum gegenüber unehrlichem
Geschäftsgebaren und| IBetrug. Der Spezereihändler
darf nicht Margarine für Butter verkaufen, der Gold-
schmied nicht Double für Gold. Wenn die Darwin-
schen Lehren die zivilisierte Welt regierten, wie es viele
wünschten, so beständen weder Zivilisation noch Ge-
setze, die den Handel in richtige Bahnen leiteten. Heute
wickelt sich der Kampf nicht mehr zwischen Einzel-
wesen ab, sondern zwischen Gruppen von Individuen.
Dergestalt ist heutigen Tages der Kampf ums Dasein
geworden. Das sollte jedermann begreifen und deshalb
muss man sich zusammentun, sich organisieren. Die
Organisation ist das einzige Mittel des Kleinhandels,
um sich gegen illoyale Übergriffe zu schützen, welche
ihre gesetzlichen Schranken durchbrechen und den Klein-
händler schädigen.
Die Detaillisten haben einen andern, nicht weniger
gefährlichen Feind. Ich meine die Konkurrenz, die sie
sich gegenseitig machen. Das Heilmittel ist wieder die
Organisation. Es gibt Uhrmacher-Reparateure, welche
Uhren für einige Pfennige reinigen, und andere, die
Uhren zu lächerlich billigen Preisen verkaufen. Die-
selben Erfahrungen macht man mit Artikeln des Juwelen-
und Goldwarenhandels. Die Uhrmacher-Goldschmiede
sind Konkurrenten, aber sie sind auch gut unterrichtete und
gut erzogene Männer und es ist kein Grund vorhanden,
dass sie nicht in gutem Einvernehmen leben sollen und
können. Wenn die um ihr Dasein kämpfenden Arbeiter
sich zu Verbänden vereinigen, warum sollten dann gut
geschulte Männer, wie Uhrmacher und Goldschmiede
nicht ähnlich vorgehen. Viele sagen zwar, dass das
Heilmittel in der Unterstützung durch Gesetze liege,
aber gerade das Parlament und seine Mitglieder nehmen
keine Notiz von Individualitäten, sie achten und anerken-
nen nur die organisierten und mächtigen Körperschaften“.
Diese Worte eines Engländers, dessen Landsleute
sonst im allgemeinen und auch besonders im Handel
209