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Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 28.1907

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Nr. 3
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Bruschke, Max: Der Jonas
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https://doi.org/10.11588/diglit.55853#0048

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JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNSTL

Der Jonas.
Tragikomisches aus dem Leben eines Silberschmiedes.

(Fortsetzung und Schluss )

Einmal blieb die Frau nach seiner Ansicht zu lange beim Ein-
holen aus. Als er sie nun vom Fenster aus auf der Strasse
plaudern sah, hielt er ein improvisiertes Schneegestöber als das
geeignetste Mittel, seine Gattin zur schnellsten Heimkehr zu den
heimischen Penaten zu veranlassen. Er trug die Betten ans
Fenster, schnitt sie auf und liess die Federn lustig fliegen.
(Frau Holle mit dem Vollbart). Das arme Weib ahnte jetzt
natürlich Unheil und eilte heimwärts, ihr häusliches Glück zu ge-
niessen. Die Polizei aber bedachte den phantastischen Silber-
schmied mit einem Strafmandat wegen groben Unfugs. Dass die
Frau nicht auf den Gedanken gekommen, ihn entmündigen zu
lassen und als geisteskrank in eine Heilanstalt zu bringen, ist
mir noch heute ein Rätsel, denn er bot Anlass genug zu der
Annahme, dass es in seinem Hirn nicht ganz richtig sei.’
Einst sass er auch in der Kneipe, plötzlich fiel ihm ein, er
sei ein Bär und mit wildem Brummen stürzte er, auf allen Vieren
kriechend, unter die anwesenden Gäste, welche schnell auf Tische
und Stühle sprangen, um ihre Waden vor dem wild um sich
beissenden imitierten Bären in Sicherheit zu bringen.
Jonas setzte den Bärenunfug auch noch auf der Strasse fort
und biss einen harmlosen Passanten, der sich vor Erstaunen über
das seltsame Vieh nicht schnell genug in Sicherheit brachte, tat-
sächlich ganz empfindlich ins Bein. Natürlich Anklage wegen
Körperverletzung, groben Unfug usw. und hohe Geld- und Haft-
strafe. Wie gleichgültig ihm sein Geschäft gewesen ist, beweist
sein tage- und sogar wochenlanges Fernbleiben aus der Werkstatt.
Als einst während der Erntezeit die Kohlenbauern keine Holz-
kohlen brachten, machte er sich nach Deutsch-Hammer dem
Kohlenbauerndorfe auf, ohne seiner Frau oder seinen Leuten
etwas zu sagen. Dort fand er die Landleute eifrig mit den Ernte-
arbeiten beschäftigt, kurz entschlossen blieb Jonas dort und half
bei der Ernte. Währenddem hatte sich seine Familie wegen seines
spurlosen Verschwindens sehr geängstet und seinen Abgang der
Polizei gemeldet, nach ungefähr 10 Tagen erschien er jedoch von
selbst wieder wohlbehalten auf der Bildfläche.
Dass bei solcher Aufführung des Herrn Chefs das Geschäft
nicht vorwärts kam, ist erklärlich, und die anfangs reichlichen
Aufträge blieben bald aus, zumal auch die Gehilfen, da sich Jonas
nicht um sie kümmerte, mitunter eine nette Sorte Arbeit hinlegten.
Nun verlegte sich Jonas aufs Reisen, er ging mit einem Köfferchen
voll silberner Besteckware in die Provinzen Schlesien und Posen,
um sie umzusetzen. Und hier nun beginnt er den Ruf der B.’er
Silberschmiede zu schädigen, denn wenn ihm ein Juwelier oder
Uhrmacher nichts abkaufen wollte, steckte er seine kummervollste
Miene auf, fing weinend an zu betteln, man möge sich doch
seiner erbarmen und ihn nicht hungern lassen. Manche brave
Goldschmiedsfrau hatte Mitleid mit ihm: Mittagsbrot, Früh-
stück oder Kaffee, je nach Tageszeit reichend, was er gierig,
weinend vor Dankbarkeit verzehrte. Natürlich kaufte nun schon
mancher der Herren Juweliere aus purer Barmherzigkeit. Aber
das war nicht wohlgetan. Gar bald mussten die Herren erfahren,
dass das Mitleid gar nicht angebracht war, denn abgesehen von
nicht immer einwandsfreier Ausführung, war das Silber fast immer
bedeutend unter dem angegebenen Feingehalt, denn dem Jonas
kam es gar nicht darauf an, gelegentlich die kupferne Raumschale
in den Schmelztiegel fallen zu lassen, wog selbige auch 200 bis
300 g, so genau kam es ihm beim Legieren eben nicht darauf an.
So kam es, dass er seinen Ruf und sein Geschäft sowie das
Renommee der B.’er Silberschmiede fortgesetzt schädigte. Das
Ansehen der B.’er Silberschmiede insofern, dass es leider eine
bedauerliche Tatsache ist, dass man von dem Einen auf den
Anderen schliesst. Und so glaubten viele, den anderen B.’er Silber-
schmieden ebensolche Schmutzereien zutrauen zu dürfen, als

dem Jonas. Mancher Juwelier oder Uhrmacher, welcher mit dem
Jonas’schen Metall betrogen worden war, entzog leider seine
ferneren Aufträge den B.’ern überhaupt. Und somit ist es wohl
berechtigt, wenn ich am Eingang sagte, Jonas sei das Almosen,
welches ihm in B. gereicht wurde, nicht wert.
Wie es nun nicht anders sein konnte, trennte sich schliesslich
seine Frau von ihm, wohl um den fortgesetzten Misshandlungen
zu entgehen. Da sie nun eine brave fleissige Frau war, ist es
ihr auch gelungen, eine neue gesicherte Existenz fern von B. zu
gründen, und ihre Kinder ohne weitere Beihilfe ihres versumpften
Gatten zu erziehen. Jonas verlor nun jeden moralischen Halt,
nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, welche er in seiner
Weise wohl doch geliebt haben muss, denn er gab nie seine Ein-
•willigung zur gerichtlichen Trennung und hat sich all die Jahre
mit der Bitte an sie gewandt, ihn wieder aufzunehmen. Jedoch
ohne Erfolg.
Die Werkstatt musste Jonas nun aufgeben, ich glaube es war
im Jahre 1886. Nun begann er Deutschlands Gauen als reisender
Löffelschuster zu durchziehen, und er hat wohl in den meisten
Silberschmiedewerkstätten des nordöstlichen Teiles Deutschlands
gearbeitet, denn lange hielt er nirgends aus. Kam er halb ver-
hungert und abgerissen in irgend eine Stellung, war er so demütig
und bescheiden, erbot sich für den halben Lohn zu arbeiten,
um nur eingestellt zu werden. Hatte er sich aber wieder erholt,
etwas Kleider auf dem Körper, so zog ihn die Wanderlust
urplötzlich wieder fort. Schreiber dieser Zeilen traf als Gehilfe
zweimal in Stellungen mit ihm zusammen, stets hörte er ganz
plötzlich ohne jeden Grund auf und zog weiter ins Ungewisse
hinein, ob er noch Schweine (bezahlte Arbeit) fertig zu machen
hatte, war ihm gleich.
Als ich vor Jahren in Leipzig in Stellung war beim Meister
W. R., unterhielten wir uns auch einst über den Jonas, welcher
gerade in Döbeln sein sollte, und ein Kollege meinte: „Na, wenn
der in Döbeln ist, dauert es wohl nicht lange, dann kommt er
wieder nach Leipzig“. Und richtig, es dauerte gar nicht lange,
so kam er an. Auf unsere Fürbitte beim Meister, welcher auch
schon mit ihm trübe Erfahrungen gemacht hatte, durfte er anfangen.
Aber schon nach ein paar Tagen stellte es sich heraus, dass er
auch in D. Schweine hinterlassen hatte. Als ihn Herr R. darüber
zur Rede stellte und wieder entlassen wollte, war er so zer-
knirscht, dass er nicht wagte, scharf aufzutreten und nur noch
auf den Fussspitzen durch die Werkstatt schlich. Bald lockte
ihn auch von hier die Landstrasse wieder fort. Länger als vier
höchstens fünf Wochen hielt er nirgends aus. So kam es, dass
ihn schliesslich kein Prinzipal mehr beschäftigen mochte oder
nur im Notfälle einstellte.
Nun walzte er so Jahr aus Jahr ein von einer Herberge zur
andern, lebte von den Ortsgeschenken und den Almosen der
Kollegen und wusste es stets so einzurichten, dass er nie zweimal
in einem Jahre an denselben Ort kam, damit er immer Anspruch
auf das Ortsgeschenk hatte. Dass sein alter ausgemergelter Körper
die Strapazen des Stromerlebens bis in so hohes Alter aushielt,
ist zu verwundern, denn nie wurde er von irgend welcher Krank-
heit geplagt, trotzdem er, als ich ihn vor drei Jahren das letzte
Mal sah, siebzig Jahre alt war. Arbeit als Silberarbeiter erhielt
er zuletzt gar nicht mehr, und so soll er in einer Arbeiterkolonie
gestorben sein. So seltsam es klingt und so schlecht es dem
Jonas während seines Stromerlebens oft genug gegangen sein
mag, gestohlen hat er nie.
Hiermit will ich diese Skizze schliessen. Eine Genugtuung
kann es für jeden Fachgenossen sein, dass solche Elemente in
unserer Branche zu den Seltenheiten gehören und schliesslich
ins Elend gelangen. Max Bruschke.

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