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Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 28.1907

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Nr. 3
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Die Zielfrage im Lichte der Detaillisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.55853#0047

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JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST,


Die Zielfrage im Lichte der Detaillisten.

Von einem Goldschmied, der in einer deutschen Mittelstadt
ein Detailgeschäft unterhält, ist dem Verband der Grossisten des
Edelmetallgewerbes in der Zielfrage eine Zuschrift eingesandt
worden, die auch wir im Interesse der Allgemeinheit veröffentlichen,
nachdem wir hierzu seitens der Zentralstelle genannten Verbandes
ermächtigt worden sind. Der betreffende Goldschmied schreibt:
In letzter Zeit wurden seitens der Fabrikanten und Grossisten
verschiedentlich Vorschläge bekannt, die eine Zielreform in unserer
Branche behandeln. Da die etwaigen Entschlüsse von grösster
Wichtigkeit und für alle Beteiligten von ungeheurer Tragweite
sein können, dürfte es gerade für Sie von Interesse sein, einmal
mit den bezüglichen Ansichten eines Detaillisten vertraut zu werden.
Vorausschicken möchte ich, dass die in folgendem unterbreitete
Anschauung vor allen bisher bekannt gegebenen den Vorzug für
sich in Anspruch nehmen darf, keineswegs persönlichen Motiven
entsprungen zu sein, sondern lediglich durch eine unbegrenzt
objektive Beurteilung geleitet wurde. Auch liegt es mir fern, die
Ursachen und die Berechtigung der geplanten Reform zu kritisieren,
ich will mich vielmehr darauf beschränken, die Tatsache der be-
absichtigten Durchführung unter die Lupe zu nehmen. Zur
Charakterisierung des Ganzen will ich Ihnen aber gestehen, dass
auch ich die Überproduktion und die dadurch bedingte ungesunde
Aufstapelung der Warenbestände für die Hauptursache des ganzen
Übels halte.
Jedem Unbefangenen dürfte es ohne weiteres klar sein, dass
hier mit einem Parforcetempo nichts auszurichten ist, dieses würde
für die Arrangeure derartig hohe Verluste im Gefolge haben,
welche die Vorzüge der geplanten Erneuerung auf eine lange
Reihe von Jahren gänzlich illusorisch machen oder aber die Er-
zeuger leicht dazu zwingen könnte, die neue Geistesgeburt
schleunigst wieder umzubringen. Dass aber der dann eintretende
Rückschlag weit grössere Auswüchse zeitigt, wie alle bisherigen
Missstände, ist eine Tatsache, die man durch gleichartige Beispiele
unwiderlegbar beweisen kann.
Glaubt man deshalb, von der geplanten Zielreform nicht gänz-
lich absehen zu können, was unbestreitbar vorläufig infolge der
äusserst ungünstigen Begleitumstände sicherlich das Beste wäre,
so müsste die Durchführung zunächst in unmerklicher Weise ge-
schehen. Für die Reformbestrebungen möchte ich Ihnen deshalb
ein einheitliches Staffelziel mit SkontogeWährung in Vorschlag
bringen, das allerdings nicht auf eine zu kurze Frist begrenzt
sein dürfte.
Die Konditionen hätten etwa zu lauten: Innerhalb 3 Monaten
10°/0 Skonto, innerhalb 6 Monaten 5% Skonto und innerhalb 9
Monaten netto, bei besonderer Vereinbarung dann noch 3-Monats-
akzept. Ist aber nichts vereinbart und erklärt sich der Abnehmer
bereit, den Diskont zu vergüten, so hätte die Abnahme des Akzepts
auf jeden Fall zu erfolgen.
Bei diesen streng begrenzten Zielen müsste jedoch stillschwei-
gende Bedingung sein, dass jedem Abnehmer gestattet wäre,
innerhalb der Zieldauer einen gewissen Teil der Waren bis zu
20% gegen beliebige Stücke aus den Artikeln des betreffenden
Lieferanten umzutauschen. Dass Ihnen (den Grossisten. Die Red.)
diese Klausel eine Gänsehaut verursacht, kann ich mir leicht
denken, doch wenn man in einem Wespennest herumstöbert,
muss man von vornherein gewärtig sein, auch gestochen zu werden.
Denn dass sich die Detaillisten so ohne jede Gegenerkenntlichkeit
gewisse Privilegien entreissen lassen, dürfte doch nicht leicht an-
zunehmen sein. Auch sehe ich keinen Anlass, meine Ihnen hiermit
geäusserten Ansichten nicht der Öffentlichkeit zu unterbreiten, zumal
es bei allzuscharfem Vorgehen dann angebracht sein dürfte, be-
deutende Konsumenten für die Gründung einer Einkaufsgenossen-
schaft zu interessieren. Doch ich will Ihnen keine Schreckge-

spenster vorführen, sondern erklären, warum ich die angeführte
Klausel für notwendig halte.
Die eingangs erwähnte Überproduktion zwingt die Produzenten
dazu, den Abnehmern weit mehr Ware aufzudrängen, wie diese
in einer kurzen Zieldauer umsetzen und auch bezahlen können;
denn bei längerer Zieldauer ist es immerhin möglich, den dann
noch liegengebliebenen Warenüberschuss mit dem inzwischen
erzielten Gewinn zu bezahlen. Woraus doch hervorgeht, dass
der Abnehmer zum Vorteil des Lieferanten seinen Hauptnutzen
wieder ins Geschäft hereinsteckt, wenn auch in den meisten Fällen
unbewusst. Also eine der ersten Begleiterscheinungen der Ziel-
reform dürfte zunächst in einem bedeutenden Rückgänge des
Umsatzes der Produzenten bestehen, wenn man die unweigerlich
sonst entstehenden Zahlungsschwierigkeiten und danach ein-
tretenden Weiterungen, Konkurse usw. vermeiden wollte.
Aber glauben Sie etwa, dass ein Chef vor Antritt der Reise
nach durchgeführten Zahlungsreformen seinem Vertreter recht
eindringlich vorstellen wird, nur ja den Kunden nicht mehr zu
verkaufen, wie diese auch nach Ablauf der Fristen bezahlen
können? — Möglich wäre dieses ja, aber ich gestatte mir, solches
sehr stark zu bezweifeln.
Sie könnten nun versucht sein, mir zu entgegnen, jeder müsse
doch selbst wissen, wieviel er verkaufen darf. Diesem muss
ich jedoch mit dem Hinweise vorbeugen, dass den kaufmännisch
gebildeten und auch meistens ziemlich gerissenen Reisenden doch
vorwiegend Goldschmiede, also einfache Fachleute, gegenüber-
stehen, denen eben die richtige Beurteilung und die notwendige
Übersicht fehlt. Wenn Sie sich allerdings für fähig halten, diese
Goldschmiede zu Kaufleuten heranzubilden, dann dürfen Sie
immerhin ganz ruhig einschneidende Reformen einführen, andern-
falls würden Sie sich aber bei dem angefachten Feuer selbst
ganz elend die Finger verbrennen.
Im übrigen würde bei der von mir vorgeschlagenen Methode
den Lieferanten durch Ausnutzung des ganzen Zieles seitens der
Abnehmer absolut kein Schaden erwachsen, wie aus folgendem
Exempel ersichtlich ist:
Der Fakturabetrag ist z. B. 100 Mk., also netto nach Abzug
der 10% 90 Mk. Für diese Mk 90.— muss nach 3 Monaten
Mk. 95.— gezahlt werden, macht eine Kapitalverzinsung der
90 Mk. von über 22%. (Exempel: 90 Mk. x22%= 19,80 Mk.
Zinsen auf ein Jahr macht auf 3 Monate 4,95 Mk.) Da nach
weiteren 3 Monaten der volle Betrag, also 100 Mk., gezahlt
werden muss, macht solches wieder 22% Kapitalverzinsung.
Wenn man aber bedenkt, dass es augenblicklich Lieferanten
gibt und allein voran die grössten Firmen, die noch innerhalb
6 Monaten 10% gewähren, so lässt sich daraus eine Kapitalver-
zinsung von durchschnittlich 33%°/0 errechnen.
Wie dieser Ausfall bei kurzem Ziel und Nettopreisen wieder
eingebracht werden soll, ist mir nicht recht verständlich. Es
dürfte sich deshalb empfehlen, diesen Punkt bei allen Reform-
bestrebungen nicht gänzlich unbeachtet zu lassen.
In allen früheren Erörterungen fand man die Angabe, dass
das gute Ansehen der Lieferanten sowie das der ganzen Branche
durch die eingerissenen Übelstände bedenklich gelitten habe.
Halten Sie es vielleicht für vorteilhafter, wenn es nachher heisst,
unsere offiziellen Konditionen sind 3 Monate; wir sind jedoch
eventuell gerne bereit, Ihnen 12 Monate zu bewilligen, falls Sie
es wünschen, werden dann noch die Daten der Fakturen um
einige Monate später ausgestellt!?! —
Dass es aber so kommen dürfte, dafür möchte ich schon heute
jede Garantie übernehmen. E.
(Siehe auch den Artikel „Zur Ziel-Reform“ auf Seite 36
dieser Nummer.)

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