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Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 28.1907

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Nr. 9
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Webel, Oskar: Unsere Industrie in Pforzheim
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Offener Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.55853#0085

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[Q]|- =|| ! JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST. ' 11—■ —|(Ö)

ca. 160 Millionen Mark eingelaufen und 258434 Stück
ebensolche im Werte von 94 Millionen Mark versandt
worden, wobei aber noch zu berücksichtigen ist, dass
auf allen diesen Wertsendungen nur ein Teil des Wertes
angegeben wird, da ja im allgemeinen die Wertsendungen
versichert sind und die weitere Wertangabe nur eine
doppelte Sicherheitsmassregel bedeutet.
Und noch ein Stimmungsbild des Verkehrs. Wenn
Mittags in den Fabriken die grosse Esspause beginnt,
dann füllen sich fast alle Strassen, namentlich aber die
Hauptstrassen und der Markt mit den vielen Tausenden
von Arbeitern und Arbeiterinnen, die in der näheren Um-
gebung von Pforzheim, zum Teil im Schwarzwald wohnen
und sich nach einem frugalen Mittagsbrot in frischer Luft
ergehen. Sie finden sich dabei meist in Gruppen zu-
sammen, die nach ihrer Ortsangehörigkeit zusammengesetzt
sind. Der Verkehr ist aber trotz der Menge von Menschen,
unter denen sich nicht wenige junge, übermütige Leute
befinden, stets ein ruhiger und anständiger, wie sich ja
überhaupt der Pforzheimer Goldarbeiter in seinem Wesen
vorteilhaft von anderen Fabrikarbeitern unterscheidet und
darum auch bislang mit seinem Arbeitgeber in einem mehr

patriarchalischen Verhältnisse stand. Freilich in letzterer
Zeit hat er leider sich doch ein wenig mehr der Politik
zugeneigt und dadurch hat seine Haltung in der Lohnbe-
wegung sich viel der früheren Sympathien verscherzt. Die
schwäbische Gemütlichkeit und der trockne Mutterwitz,
von dem man auf den belebten Strassen aus dem Munde
der Arbeiter manche Probe zu hören bekommen kann,
scheint aber dennoch zu einer Legierung mit der „revolu-
tionären“ Sozialdemokratie wenig geeignet zu sein. Hoffen
wir das Beste von der Zukunft, auch im Interesse der
Arbeiter selbst!
Tief im Schnee lag die rührige Industriestadt, als ich
ihr vor wenigen Tagen meine Aufwartung machte, aber
keineswegs im Winterschlafe. Sie war auch zu dieser Zeit
voll des pulsierenden Lebens, das kennen zu lernen, sich
namentlich für die Angehörigen unseres Gewerbes reich-
lich lohnt. Ein Besuch Pforzheims kann daher allen Gold-
schmieden nur empfohlen werden, um so mehr, als sich
damit zahlreiche Touren in den dicht daran sich anschlie-
ssenden unvergleichlichen Schwarzwald und weiter in das
liebliche Elsass hinein verbinden lassen. Darum, auf
Wiedersehen in Pforzheim! Oskar Webel.

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In dieser Rubrik räumen wir unseren geschätzten Abonnenten das Recht einer freien Meinungsäusserung ein, das wir so lange nicht einzuschränken
beabsichtigen, als die Auslassungen nicht gegen das Gesetz und die gute Sitte verstossen. Auf der andern Seite lehnen wir aber auch ein für allemal
jede Verantwortung für den Inhalt der Einsendung ab. Die Redaktion.
Zur Organisationsfrage.

Wer ohne jede Voreingenommenheit und Einseitigkeit
die sozialen Verhältnisse betrachtet, der kommt unbedingt
zu dem Schluss, dass zur Herbeiführung stabiler Verhältnisse
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern genügend starke
Organisationen auf beiden Seiten vorhanden sein müssen,
die miteinander durch ihre Leitungen auf dem Boden einer
beiderseits anerkannten Gleichberechtigung die Verhältnisse
der Arbeit gemeinsam festlegen. Es entspricht heut nicht
mehr den Zeitverhältnissen, dass der Arbeitgeber nur allein
bestimmt, welchen Lohn er zahlen will, wie lange die Ar-
beitszeit dauern soll und welche Bestimmungen in der
Fabrikordnung, bezw. in der Arbeitsordnung enthalten sein
sollen. Andrerseits aber wäre es ebenso falsch, wenn nur
die Arbeiter allein darüber zu bestimmen hätten, was im
Arbeitsverhältnis gelten soll. Beide Teile, Arbeitgeber
und Arbeitnehmer sind heut mehr denn je aufeinander
angewiesen und es ist unrichtig, wenn behauptet wird,
dass die Feindschaft gegen die Arbeitgeber Lebensbedingung
der Arbeiterorganisation sei.
Bei den sozialdemokratischen Gewerkschaften mag
das zum Teil zutreffen, weil diese mehr oder weniger den
Klassenkampfstandpunkt vertreten, trotzdem auch bei diesen
Organisationen der Gedanke einer Tarifgemeinschaft immer
mehr an Boden gewinnt. Tarifgemeinschaft und Klassen-
kampf sind aber — recht besehen — zwei ganz entgegen-
gesetzte Dinge, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen.

Neben den sozialdemokratischen, oder wie sie sich
selbst mit Vorliebe nennen, den „freien“ Gewerkschaften
gibt es jedoch in Deutschland noch andere Arbeiter-
organisationen, die praktische Gegenwartsarbeit treiben
und die den reinen Klassenkampfstandpunkt nicht vertreten,
sondern die von Anfang an den Gedanken vertreten haben,
dass zur Warenherstellung unter der bestehenden Wirt-
schaftsordnung zwei Faktoren nötig sind. Auf der einen
Seite der Arbeitgeber, der sein Geld in die Produktion
hineinsteckt und andererseits der Arbeiter, welcher dem
Arbeitgeber seine Arbeitskraft und seine Fertigkeiten zur
Verfügung stellt und der als Gegenleistung seinen Lohn
bekommt.
Derartige Organisationen sind in den deutschen Gewerk-
vereinen (Hirsch-Duncker) vorhanden, die bereits seit 1868
bestehen und zur Zeit rund 120000 Mitglieder zählen.
Diese Arbeiterorganisationen haben sich von keiner Seite
beeinflussen lassen, sie sind ihren einmal für richtig er-
kannten Weg weiter gegangen. Bei den deutschen Ge-
werkvereinen ist die Feindschaft gegen den Arbeitgeber
nicht Lebensbedingung. Sie sind vielmehr immer geneigt
gewesen, möglichst auf dem Boden der Vereinbarung und
Verständigung mit dem Arbeitgeber zu verhandeln. Natürlich
verlangen sie die Anerkennung ihrer Gleichberechtigung
im wirtschaftlichen Getriebe und das ist auch ganz selbst-
verständlich. Sie wissen ihre Rechte durchaus sachlich

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