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Pfälzer Bote für Stadt und Land (26) — 1891

DOI Kapitel:
Nr. 121 - Nr. 130 (2. Juni - 12. Juni)
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Kiſten innerhalb des Zollhauſes der franzöſiſchen
Ausſtellung aufgefunden Im gewoͤhnlichen Lauf der
Dinge wären obige Kiſten an der Grenze angehalten
und unterſucht worden. Infolge einer Begünſtigung
wurden jedoch alle Ausſtellungoͤgegenſtände innerhalb
der Ausſtellung durch franzöſiſche und ruſſiſche Be-
amten unterſucht.
höhlte man ſofort den Boden um die für den Kaiſer
beſtimmte Tribüne aus, +um etwaige Dynamitminen
aufzuſpüren. Ein Gerücht will wiſſen, daß bei
Tiber eine Eiſenbahnmine entdeckt worden ſei,
ein anderes, daß nach Abgang des Fürſten Dolgoru-
kow, das leerſtehende Gonvernementsgebäude als
Ausgangspunkt zur Legung einer Mine unter der
Fahrſtraße, welche der Zar zur Ausſtellung be-
nutzen ſollte, gewonnen worden ſei. Die gemeldete
Abneigung des Zaren gegen die Ausſtellung wäre
daher begreiflich. Alle Straßen waren beim Einzug
des Zaren mit einer doppelten Reihe von Sol-
daten Poliziſten, Feuerwehrleuten und Moskauer
Stadtgarde eingefaßt Alle Fenſter waren g e-
ſchloſſen, das Betreten der Balkons ver-
boten, der Gaſthof, in welchem die Zeitungsbericht-
erſtatter den Einzug beſichtigten, war mit Wachen
angefüllt.



Deutſches Reich.

Berlin, 1. Juni. Im Abgeordnetenhauſe er-
klärte vor Eintritt in die Tagesordnung Miniſter-
präſident v. Caprivi, die Staatsregierung habe be-
ſchloſſen, beim Bundesrath weder eine Ermäßig-
nuug noch die Aufhebung der Getreidezölle zu
beautragen, da im Lande kein Nothſtand vor-

auden, auch nicht zu erwarten ſei. Nach den

rſicherungen der Rhedet ſeien erhebliche Getreide-
Transporte unterwegs, auch im Lande noch viele
kleine Poſten vorhanden. Vis zur Ernte, welche eine
Mittel⸗Ernte ſein werde, werde die Getreide⸗Verſorg-
ung hinreichend vom Auslande bewirkt, namentlich
von Nordamerika und Oſtindien, welche eine gute
Ernte haben würden. Auch ſeien große Roggen-
Vorräthe noch in Rußland vorhanden, aber in den
Händen einzelner Leute, welche den günſtigſten Augen-
blick abwarten möchten, ſchließlich aber doch verkaufen
müßten. Eine zeitweilige Ermäßigung der Zölle
würde übrigens nach Auſicht der Regierung das Brod
nicht billiger machen; dies ſei nur möglich durch eine
Herabſetzung auf lange Zeit, wie das in den Handels-
verträgen im Intereſſe der ärmern Klaſſen vorgeſehen


durch eine unbeſtändige, ſchwankende Politik in eine
ſchwierige Lage kommen, wodurch die Verhandlungen
uicht erleichtert würden. Auch für die Landwirthſchaft
ſei Stetigkeit der Verhältniſſe nothwendig. Cebhafter
Beifall rechts) Die Agitation gegen dieſen Beſchluß
werde die Regierung gern ertragen, wenn der Be-


Gebhafter Beifall rechts.)

Die Abgg. Richter und Rickert wünſchen eine
ſofortige Beſprechung der Erklärung Caprivi's, was
der Präſident —— — fuͤr unzuläſſig
erklärt. Graf Limburg-Stirum und Irhr. v. Heere-
mann weiſen die Auffaſſung Richters zurück, wonach
das Hans durch ſolche Selbſtbeſchräukung ſein An-
ſehen gefährde. Das Haus beräth dann die Land-
gemeinde Ordnung.

— Der verehrte Centrumsführer und Senior des
Centrum Geh. Obertribunalrath a. D. Dr. Peter
Reichen sper iſt am 28, v. M. in das 82. Lebens-
jahr eingetreten. Am 28. Mai 1810 zu Coblenz ge-
voren, ſchon früh neben ſeiner juriſtiſchen amtlichen


Eifer und Erfolg zugewandt, wurde Peler Reichens-
perger ſeit Eröffnung des parlamentariſchen Lebens
in Deutſchland im Jahre 1848 ſofort auch ein hervor-
ragender Parlamentarier Er iſt das 43 Jahre ge-
blieben, er hat auch oft literariſch Das verfochten,
wofür er ſtritt, und immer hat ſein Wirken dem Ide-


Tadel, hat er nie gefehlt und nie gewankt im Vorder-
kampfe für Wahrheit, Freiheit und Recht! Möge
Gott, der ihm ein ſo rüſtiges hohes Alter verliehen,
ſein Wirken ihm weiter lohnen in einem Lebensabend
ungetrübten Glücks!

Ausland.

Rom, 31. Mai. Der hieſige Vertreter der
„Time8“ veroͤffentlicht in dem genannten Blatte einen
Artikel, betitelt, Die „Demoraliſation Italiens? Er
bedauert den vollſtändigen Verfall des Conſtitutiona-
lismus und der Vaterlandsliebe, welche dem Chrgeiz
und der Gleichgiltigkeit Platz gemacht haben. Die
Provinzen und Gemeinden trieben den Staat zum
Bankbruch; die Regierung habe jede Macht über die
Kammer verloren; der engliſche Journaliſt hofft, daß
ein zukünftiges conſervatives Cabinet, unterſtützt durch
die Katholiken, das nothwendige Anſehen wieder er-
lange. — In der Gemeinde Miſterbianco (Catanich
drang die Bevölkerung wegen Auflage einer Lokal-









Viele Verhaftungen wurden vorgenommen.

Aus Baden. \
Heidelberg, 2. Juni.
® Ueber den nationaltiberalen Partei-
tag in Berlin liegen heute nähere Nachrichten vor.
Die Bad. Landesztg. veröffentlicht über den Verlauf
der Verſammlung folgenden Bericht: „Unter ſehr
zahlreicher Betheiligung man zählt über 400 Theil-
nehmer, fand heute der nationalliberale Delegirtentag
ſtatt. Der Beſuch war auch aus Süddeutſchland
ſehr lebhaft, man bemerkte u A. die Reichstagsab-
geordneten Dr. Buhl, Prof. Dr. Meyer-Heidel-
berg, Dr Bürklin, Dr. Oſann, Siegle, Brünings,
Marquardſen, Wolff⸗Stuttgart, Aub-München.

Die Verſammlung tagte, unter dem Vorſitz des
Herrn Hobrecht. In über einſtündiger glänzender
Rede entwickelte Herr v. Bennigfen die Ziele und
Aufgaben der Partei. Nach längerer Berathung,
worin die politiſchen und namentlich die zollpolitiſchen
Verhältniſſe und Stimmuugen in den verſchiedenſten
Gegenden des Reiches beleuchtet und dem Fürſten
Bis marck die wärmſten Worte der Dankbarkeit
und Verehrung von vielen Seiten geſpendet worden
waren, wurde eine von Württemberg aus beantragte
Reſolution angenommen, worin die Partei ihre
ſelbſtändige, unabhängige Haltung und
ihre tiberalen Grundfähe zu bewahren er-
kärt, auf ſozialpolitiſchem Gebiet einen Ruhepunkt
für gekommen erachtet und ausſpricht, daß wirth-
ſchaftliche Fragen nicht zur Grundlage politiſcher
Parteien dienen ſollen. In der Zoll⸗ und Handels-
politik, namentlich gegenüber den Getreidezöllen
und dem deutſch-bſterreichiſchen Handelsvertrag müſſe
jedem Einzelnen die Entſcheidung überlaſſen bleiben.
Beim Feſtmahle wurde nach einem Trinkſpruch Dr.
Buhls ein Begrüßungstelegramm an Bismarck
geſandt. — — Mehr der Deffentlichkeit anzuver-
frauen, ſcheinen die Herren keinen Muth zu haben.
Auffallend iſt, daß in vorſtehenden Mittheiiungen der
Bad. Ldsztg. die Rede von einem Begrüßungstele-
gramm ‚an den Fürſten Bismarck iſt, waͤhrend
das offiziöſe Wolff'ſche Bureau den Fürſten Bismarck
Gei Schluß des Feſtmahles er-
ſchien auch Major v. Wißmann.) — Aſſo ihre ſelbſt-
ſtändige, unabhängige Haltung und ihre liberalen
Grundlätze erklärt die nationaͤlliberale Partei wahren
zu wollen. Um etwas „wahren? zu können, muß
man es zuerſt haben. Aber ebenſowenig wie die
nat lib. Partei jemals eine unab hängige Haltung
eingenommen hat, ebenſowenig hat ſie jemals Grund-
Jäße, am allerwenigſten liberale Grundſätze ge-
habt. Auf ſozialpolitiſchem Gebiet bleibt die Partei
alſo bei der alten Unthätigkeit. Bei den Ge-
treidezöllen will ſie ſichs mit Niemand ver-
derben — und Fürſt Bismarck? Man ſcheint auch hier
nicht den Muth zu haben unabhängig zu ſein
und ſich offen für Bismarcks Oppoſition gegen die
heutige Regieruugspolitik zu erklären oder ſich von
ihm abzuwenden. — Neuern Nachrichten zufolge hat
der nat. lib. Parteitag ſich von Bismarck abge-



wendet. Die ſchärfſte Erklärung gab in dieſer
Richtung Stoͤckmecher⸗Stuttgart mit folgenden
Worten: Die württemberger Nationalliberalen hätten
eingeſehen, daß ihre perſönliche Gefühls-

ſtim mung nicht maßgebend ſein fünne für die
politiſche Haltung der Partei. — Meher-Heidelb.
ſprach über die Reichsbegründer Wilhelm I., Moltke
und Bismarck. Daß er Bismarck in letzter Linie
nannte „entrüftete“ derart, daß aus der Mitte der
Verſammlung die Rufe: „Bismaͤrck“ ertönten.

® In Mannheim haben am Sonntag die
Fretdenker getagt. Folgendes ſei aus den Ver-
handlungen hervorgehoben! Herr Wilh. Fulda-
Mannheim feierte den engliſchen Freidenker Brad-
laugh. Dr. Rüdt-Heidelberg ſprach über „den
Widerſpruch zwiſchen Wiſſenſchaft und Keligion“ ein
Themg, welches der Herr Doktor augenſcheinlich nicht
verſteht, ſonſt hätte nicht er folgendes 8*
können: Unter pofitiver Religion verſtehe
man eine Summe von Ceremonien und Gebräu-
chen, welche von Menſchen erfunden und von Prie-
ſtern gelehrt werden und welche durch die Kirchenge-
meinſchaften ihren gläubigen Anhang gefunden, die
ihr Enſtehen auf übernatuͤrliche Weife zurücführen.
In neuerer Zeit ſei durch die Entwickelung der Wiſſen-
ſchaſt immer mehr Bildung in die Schichten des
Volkes gekommen. Die Macht und der Einfluß der
poſitiven Religion auf Staat und Geſellſchaft ſowie
auf das Menſchenleben im Allgemeinen ſei aber immer
noch ein ungeheuerer. In dem Kampf nun zwiſchen
Religion und Wiſſenſchaft handle es ſich darum, ob
die poſitive Religion noch das Recht der Fortexiſtenz
in unſerer modernen Welt habe. Dieſer Kampf habe
begonnen mit der Aufklarungsperiode des vorigen!
Jahrhunderts, der größte Schlag aber wurde der
Religion verſetzt durch die Naturwiſſenſchaft und
namentlich durch die Abſtammungslehre Darwins,



auf welche Redner des Näheren eingeht. Entgegen

immer höherem Culturzuſtand emporgehoben; es Hafte


und rechte Menſchen zu werden Feder Menſch ſei
ein Produkt der Natur und als ſolches gleichberechtigt


ſchritt in der Geſchichte der Menſchheit, ewijer Fort-
ſchritt in der Geſeilſchaft.
gegenüber diejenigen daſtehen, welche dieſe Fortſchritt-
perkennen und ihr Heil in einer unbekannten Welt
ſuchen. Der Freidenker werde geſtärkt in ſeinem


ung einften die herrliche Sonne der Wiſſenſchaft
über die Menſchheii aufgehen werde.“ — — Aus
dieſen Ausführungen geht Har und deutlich hervor
daß Dr. Rüdt ſich in einem ſchroffen Gegenſab
zur Riſſenſchaft hefindet, namentlich zur Natut-
wiſſenſchaft, welche nach ſeiner Anſicht der Religion
den größten Schlag verſetzt hat. Gerade die größten
Forſcher haben dieſe Naturwiſſenſchaft die Dr. Rüdt
predigt (alſo die Abftammung3theorie) für voll
ſtändig unhaltbar etklärt Dariber viele Worle
zu verlieren iſt unuütz. Spaßig iſt die Behauptung
unter poſitiver Religion verſtehe man eine Summe
von Ceremonien und Gebräuchen. Und ſolchen Un
ſinn erzählen ſich „wiſſenſchaftlich gebildete Männer“
— Dritter Redner war Dr. V Hker-Magdehurg. &!
feiert den „Pfarrer“ Maslier (Franzofe) der ein Su
herausgegeben habe, welches „einen glühenden Ha
gegen das Chriftenthum athme.“ Dann ſprach
Dr. Ruger Elberfeld über die Stellung des Fret
denkerthums zu den Confejfionen.“ Der gelehrte HA*
54 aber vergeſſen zu haben über wa er ſprechen

ollte.
ſondern von der „Aufklärung des Freidenkerthums
und von der „Verdummung des Chrifienthums.“
letzter Redner trat Dr Büchner auf. Der Hett
ſagte, er ſei lieber ein veredelter Affe, alg eit
heruntergelomwener Adam.“ Wir kennen Leute Leut
die ſich für Beides bedanken! — Für unſer-
Leſer mag Vorſtehendes ein Pröbchen von der 199
wiſſenſchaftlichen Bildung jein. —


der feitherige Abg. Rlein für die Landtagswahl
aufgeftellt. — Der Wahlkampf wird in Ddiefem (46-
Wahlbezirk ein Heftiger werden. E ift die Möglid“
feit vorhanden, daß der nat lib. Kandidat gefchlage!
wird. Man glaubt im ganzen Bezirk nicht an kine
Wiederwahl Kleins.

— Betreffs der ho hen Lebensmittelpreiſt
wird von conſervativer Seite nicht mit Untecht eit
weſentliche Mitſchuld dem freiſinnig · ſozialdemokratiſche
Preßlärm zugeſchrieben, welchet bei den vorig”
Keichstagswahlen mit der angeblich unvermeidlidhe®
Preisvertheuerung infolge der nationalen Wirthfchaff
politik in Scene gejeßt wurde. Nachdem in dieſ
Weiſe das Volk auf eine unbermeibliche Yrodvel‘
vertheuerung vorbereitet war, ſo waͤren in der TI
die Großhändler ja geradezu thoͤricht geweſen ren
ſie den ihnen auf dem Präjentirbrett gebotenen Meh“
verdienſt nicht hätten einheinſen wollen. Und ähnlid
wie heim Brode liegt die Sache heim Fleifche Z04-
dem die Schweineeinfuhr nach OVberfchleften im wen-
ſtem Umfange freigegeben ift, troßdem der BiehEI
ſich auf noch nicht 4 Pfg. für das Bfund beläufb ,
will — Dank deni die Preije zu Guͤnflen der eigen®!
Taſche „regulirenden“ Zwijhenhandel. — in den *
ſchleſiſchen Grenzorten das Fleiſch durchaus i
billiger werden. Das Bublikum fieht fich daher mel
und mehr gezwungen, Selbſthülfe anzuwenden. ein
Werdurchſtich Bukau. EMlgoth-Niebotfchan werden I
Zeit gegen 200 Arbeiter beſchäftigt. Dieſelben haben
eine Cantinenwirthſchaft eingerichtet und verſorg
ſich ſelbſt mit Fleiſch. Sie laſſen Vieh Faufen W
jchlachten, und obiwohl fie ficherlich micht fo bilig,
wie die Fleiſcher zu kaufen verftehen, rechnen ſie ſ
das Pfund Schwaͤnefleiſch doch nur einen SelbIt
foftenpreis von 29 Pfennig! Und das troß *
Biehzölle. In Berlin, Aachen, und andern. Otoß
ſtädten erreichen die Preiſe etwa den dreifachen *
trag! Da begreift ſich's, wenn der 8wifchenha 122
* und jede neue Bolkszählung ein gan

altuizmaͤßiges Anwachfen der unproduktiven Beodliet“
ungselemente erlennen läßt, die weiter nichts thi-
als mit geſchäftlicher Findigkeit hier den vroduten-
drücken, dort den Confumenten ſchraͤuben {0 DA
Laudbewohner und ſtädtiſche Arbeiter zieichn
leiden, und die Urſache ihrez Mißbehagns 74
fuchen, nur nicht dort, wo {fie in erfter Linie zu ſuche
und zu finden wäre. ; /

Aus Stadt und Land.

Gachrichten für diefe Rubrik ſiud unz jedevzeit wilkommen. Etwala
Koſten werden ftet3 fofort erfebt.) $
S.C.B. Heidelberg, 2. Suni. WMuthmaßli@e5
Wetter am Mittvoch, den 3. Juni. (Nachdruck nerbßchte„

__/




neuer Suftwirbel ift durdh den Hochdruck, der IN
dinavien immer kraͤftiger entwicelt/ in [Kdweltlicher gt}icb‘
ung abgedrängt worden, i alfjo ür die Wetterlage DW,
lands nur noch von günftiger Bebeutung, al3 nur






 
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