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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

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No. 1 - No. 25 (3. Januar - 31. Januar)
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Expedition Brunnengaſſe 24.

Heidelberger Tagebla

Heidelberger General-Anzeiger.

Verantwortlicher Redaktenr Philipp Klausuer.



“h.. tis
Anzeigen: die 1-ſpaltige Petite ;
zeile oder deren Raum 5 Pfge.
für auswärts 10 Pfg. ;
Bei mehrmaligem Erſcheen.
Rabattbewilligung.

Expedition Brunnengaſſe 24.



M 16.

Das sociale Gespenst in Frankreich.

Auch die dritte Republik iſt jetzt, wie es ſcheint,
an der Klippe angekommen, an welcher ſchon die
erſten französischen Republiken ſcheiterten reſp. sich
in wilden Communismus ſich verwandelten. Dieſe
Klippe heißt sociales Elend und Kampf der unterſten
Geſellſchaftsklaſſen gegen die höheren. Die Staats-
männer der jetzigen franzöſiſchen Republik haben
geglaubt, sich der socialen Frage durch kleine Con-
ceſſionen an die revolutionären Massen in Paris
erwehren und die grollenden Elemente dadurch be-
friedigen zu können, daß der Staat in Augenblicken
der Kriſe als Arbeitgeber Nachfrage und Angebot
zu reguliren verſuche. Das Meeting am 14. d. M.
in der Salle Levis hat bewiesen, daß die sociale
Bewegung in der franzöſiſchen Hauptstadt wieder

ine bösartige Geſtalt annimmt und den Grund
hiervon, welchen der stetige Rückgang der Staats-
einnahmen bereits ahnen ließ, ſtellen die gehaltenen
Reden ins klare Licht; die Induſtriekriſe, welche so
lange die producirende Bourgeoſie beunruhigte, iſt
endlich Arbeitskriſe geworden.

Es ist sicherlich übertrieben, wenn seitens der
intransigenten Agitatoren behauptet wurde, in Paris
allein seien mehr als hundertundfünfzigtauſend Ar-
beiter brodlos oder nicht genügend beschäftigt; allein
daß der Arbeitsmangel und die Noth täglich wachsen,
wird durch alle Berichte beſtätigt. Wenn aber ein-

î_ mal in Belleville und Montmarte der Hunger ein-
kehrt, ſo iſt das beſte französische Regime nicht vor
einem Verzweiflungsausbruch der Massen sicher, um
wie viel weniger das heutige, welches die Ehre, den
Wohlstand und das Blut der Nation in einer aben-
teuernden Colonial-Politik engagirt, anstatt einen
ernſtlichen Verſuch zu machen, die längſt bedrohlich
gewordene heimische Kriſe abzuwenden.

| Eine allgemeine Hetze gegen die fremden Ar-
beiter, vorab die deutſchen, hat in Frankreich be-
gonnen. Ein Theil der Presſe redet den Massen
ein, daß die Ausländer es seien, welche die Fran-

gzoſen aus den Werkstätten und den Comptoirs ver-
drängt und so die Arbeitsnoth erzeugt hätten, nach-

Ein Millionär.
Original-Novelle von F. Klinck.



Fortsetzung.

Eine lange Kette von traurigen Verhängniſſen
hinderte mich, meinem armen Weibe von mir Nach-
richt zu geben; sie hielt mich für todt, und als ich
zurückkehrte, ſagte mir mein Schwager, Sylvia ſei
heftorben, sie habe sich meinetwegen zu Tode ge-

V im “st
s „Entſetzlich !“ murmelte Elsbeth.

„Ja, es war entſetllich, und was ich damals
gelitten habe, Elsbeth, spottet jeder Beſchreibung.
Ich hatte kaum einen andern Wunſch mehr, als zu
ſterben und an der Seite meines treuen Weibes
in die kühle Erde gebettet zu werden. Mein Wunsch
fand keine Erhörung. Ich lebte, aber Kummer,

_ Gram und lange Gefangenſchaſt hatten meine Ge-
ſundheit angegriffen, ich war einige Jahre hindurch
ein Sterbender. Mein Schwager, der Kaufmann
Otto Hochheimer ~ ! '
„Fahren Sie fort ~ weiter + weiter “
j Es war Dr. Gutherz, welcher von den beiden
Liebenden unbemerkt, eingetreten war, und den letz-
_ ten Theil der Unterhaltung in athemloſer Spannung
mit angehört hatte. Erich blickte den aufgeregten
alten Mann verwundert an, er fand keine Erklärung
für deſſen Benehmen. t :
: § jeh „Fahren Sie fort, Herr Hansen, was auch ge-

ehen iſt, fahren Sie fort, ich muß es wissen.
ie sind der Schwager des Kaufmanns Otto









rst? Sie waren mit desſen Schwester ver-



. ] auf Elsbeth.

Vonntag, den 20. Januar

dem sie früher ſchon Frankreich den Weltmarkt
streitig machten. Während auf der einen Seite der
Haß der Arbeiter gegen die Fremden angefacht wird,
ſtelt man es andererſeits den großen Induſtrie-
Gesellschaften wie dem kleinen Meister geradezu als
eine Pflicht des Patriotismus vor, die deutſchen
Spione davonzujagen, und man muß ſagen, der
„Antiprussien“, das „Evenement“ und wie diese
Hetzjournale ſich sonst nennen, haben in dieſer Be-
ziehung einen bedauerlichen Erfolg erzielt. ;

Tauſende von Fremden find in den letten Wochen
auf die Straße gesſeßt worden; die französiſchen
Eiſenbahn-Gesellſchaften haben alle Deutschen ent-
laſſen, die Werke im Creuzot an einem Tage zwei-
tauſend Fremde, Deutſche, Italiener, Schweizer und
Belgier entfernt. In Paris iſt die den Ausländern
feindliche Bewegung ſelbstverſtändlich am ſtärkſten.
Die Chauviniſten-Organe schüren nach Kräften den
nationalen Haß. Das ,„Evsnement“ entgegnet auf
die Beſchwerden der. deutſchen Blätter, dieſelben seien
übertrieben, denn die Deutſchen wtirden in Frank-
reich noch lange nicht so ſchlecht behandelt, als sie
es verdienten, aber auch das werde ſchon noch
kommen. Es hat in der That den Anſchein, daß
die Agitatoren nicht ruhen werden, bis sie eine
deutsche Masſenausweiſung, wie vor dem großen
Kriege, zu Stande bringen.

Das Experiment iſt zunächst nicht, wie es scheinen
könnte, vom Standpunkte der auswärtigen Politik
gefährlich, obwohl ja sicher geeignet, dem Racenhaß
neue Nahrung zu geben. Aber für die innere Po-
litik und die ſociale Entwicklung in Frankreich ſcheinen
uns diese Gewaltthaten verhängnißvoll. Es wird
ſich, wenn alle Fremden entfernt ſind, herausſtellen,
daß die Nachfrage dem Arbeitsangebot noch immer
nicht entspricht, denn in Paris allein liegen ja nach
den Behauptungen der Chauviniſten mehr Arbeiter
auf dem Pflaſter, als es in ganz Frankreich fremde
Arbeiter giebt. Mit Sicherheit läßt sich deshalb
vorausſehen, daß der Haß der französiſchen Arbeiter-
maſsen sich wieder gegen das heimische Capital und
die Bourgeoisie kehren wird, wenn die gewaltthätige
Diversion fich ale erfolglos erweiſt. :

„Allerdings“, entgegnete zögernd, nicht wiſsſend,
was er von dem Benehmen des alten Mannes
halten ſollte. :

„Luft! Luſt! Ich erſti>ke + es wird. Tag, : es
wird Licht! Und warum erfahre ich das erſt jetzt,
nachdem wir so lange Freunde waren ?,,

z z rrtuhtG. weil wir nie darüber geſprochen
aben.“ ;

„Möglich, möglich + immerhin aber höchſt
sonderbar. Sie werden es ſpäter begreiflich finden,
Herr Hansen,“ fuhr er fort, wohl einsehend, daß
er wenigstens eine Erklärung seines auffallenden
Benehmens geben müſſe. „Erzählen Sie weiter,
Herr Hansen + ich muß Alles wissen, oder gesſtat-
ten Sie mir einige Fragen.“ i

„Mit dem größten Vergnügen, Doctor, aber gibt
es in diesem Augenblicke nichts Wichtigeres zu er-
örtern? Es hat ſich während ihrer Abwesenheit

| hier etwas ereignet

„Das habe ich erwartet,“ entgegnete Dr. Gut-
herz einfach. „Es bedurfte aber nicht so ſcharfer

Augen, um diesen Ausgang vorauszuſehen. Ich

hätte freilich,“ fügte er mit einem Ausflug von
Scherz hinzu, von Ihnen etwas Anderes erwartet,

Sie riethen mir einſt ſo freundſchaftlich, Elsbeth in

meine Obhut zu nehmen, und es wird für mich
nicht gerade leicht sein, ohne meinen Sonnenschein
weiter zu leben –~

. „Das Follſt Du auch nicht, Onkel,“ unterbrach
Elsbeth den alten Mann, mit Thränen in den
Augen. „Es wird sich einrichten laſſen, daß wir
auch fernerhin beiſammen bleiben könnenn.

î Erich Hansen sah mit einem liebevollen Blick

1884.
Um ſich eine kurze Friſt zu verſchasfen, wirr,
die herrſchende Klaſſe in der Republik den Erfog
erzielt haben, Frankreich auch wirthſchaftlich zu ifo.
liren, wie es politiſch bereits iſolirt iſt. Eine selle.
same und unheilbare Verblendung scheint sich de.
leitenden Kreiſe in Frankreich bemächtigt zu hal
welche die Nation immer tiefer in die Bahn ds
Verderbens führen. Von dieser Begriffsverwirun
iſt Alles erfaßt, die Regierung, das Parlament, de.
Preſſe, die Spitzen der Gesellschaft, wie die breiie.
Masse der Nation. Das Gefühl der Unbehaglieiae
keit, die Beſorgniß vor unbeſtimmten Gefahren it.
allgemein, aber die vernünftigen Leute legen d'en.

Hände in den Schooß und die Action fällt an die
Quackſalber und Profesſionswühler. Das Resultat
kann nicht im Zweifel ſtehen, es iſt der unaufhalen.
ſame Niedergang Frankreichs, vorausgesetzt, daß nicht
eine Katastrophe denselben unerwartet zu einer vollen.
deten Thatsache macht. . U. .

Deutſches- Reich.

Berlin, 16. Jan. ‘ An den Vorarbeiten zum
neuen Reichstagsgebäude wird während des Winteen.
mit unverminderter Kraft und Emſigkeit geſchafft...
Man ſchreibt darüber der „Nat. Ztg.“: „UÜUebenens.
zahlreich sind die Kontrakte, die bereits wegen Ueber
nahme von Lieferungen und Arbeiten mit Fabien.
kanten und Unternehmern geſchloſſen sin. Das.
gesammte rieſige Bauterrain wird demnächſt fate.
SEE
Racynski bis spätestens am 1. März d. J. abzee.
brochen sein müſſen. Ueber den Termin der Grun
ſteinlegung ist noch nichts Endgiltiges entſschiceroen.
nur ſo viel ſteht feſt, daß der Att keinenfals vr
Beginn des Frühlings stattfinden wird". . Jn
Berlin bereitet sich ein großer Tiſchlerſtreik von.
Das ,,Ditsſch. Tagbl.“ berichtet über eine am Sonn
tag ſtattgehabte von 1000 Personen besuchte Tifchn..
lerverſammlung, in welcher folgende Resolution en.
stimmig angenommen wurde: „In Erwägung, 'aeßhs
die hiesigen Arbeitsverhältniſse derartig reduzirt nn.

„Ich weiß, was Elsbeth Ihnen werth ist,“ be- H
ſtätigte er, „und ihr soll der Schmerz erſpart blee.
ben, zwischen uns wählen zu mäüſſſen.“ .

„Gut, gut,“ sagte Dr. Gutherz ungeduldizee.
„Aber in diesem Augenblick handelt es sich un
wichtigere Dinge, um etwas - ich kann es Ihen
nicht ſagen, mein Freund, ich will keine trügerichſen.
Hoffnungen in Ihrer Bruſt wachrufen. Erst Ge.
wißheit, dann sollen sie Alles erfahren. Sie wBeen.
alſo mit der Schwester des Kaufmanns Otto Hohe.
heimer verheirathet ? zs .

"Das genügt mir. Haben Sie Grund, von dere.
Liebe Ihres Schwagers überzeugt zu ſein ?“ .

„Nicht sonderlich, wir haben nie große Stükle..
auf einander gehaltenen. . ü 1

„Erklärlich, sehr erklärlinec - verschiedenen.
Eharakteure,“ brummte Dr. Gutherz. .

„Hm, hm, ich meine - war der Kaufman
Hochheimer ſehr reich?“ .

„Ich glaube es.“ z
tz viel Vermögen beſaß Ihre verſtorbene
_ „Davon habe ich nie Kenntniß erlangt + mein
Schwager war etwas langsam in der Auseinander-
ſeßung, und ich drängte ihn nicht gerade. Späten.
war's ja auch nicht mehr nöthgg — Sylvia s Vr.
mögen fiel an den Bruder zurück.“ .

„Wenn kein Kind vorhanden war,“ sagte Dr.
seine Auge

.
Ein Seufzer kam über Erich's Lippenn.












Gutherz langſam und bedächtig, indem

durchdringend auf Hansen ruhten.“



terlaſſen“, versetzte er traurig.



„Meine Frau starb, ohne mir ein Kind zu


 
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