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Expedition Brunnengaſſe 24.
Heidelberger Tageblatt
Heidelberger General-Anzeiger.
Peranlworlüicher Redakienr Philipp Klausner.
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Expedition Brunnengafſe 24.
„N 53.
Deutſches Reich.
Karlsruhe, 1. März. Trot des Rückgangs der
indirekten Steuern ſagt die Regierung die wohl-
wollende Erwägung der Petitionen um anderweitige
Regelung der Schmalviehacciſe zu.
Berlin, 1. März. Die Eröffnung des Reichs-
tags findet kommenden Donnerſtag Mittag um 12
Uhr im Weißen Saale des königlichen Schloſſes
nach vorherigem Gottesdienſt im Dom resp. in der
Hedwigskirche ſtatt.
Berlin, 2. März. Das Abgeordnetenhaus wird
ſich wahrscheinlich kurze Zeit vertagen, bis der Reichs-
tag die erſten Lesungen beendet hat.
München, 1. März. Die Kammer genehmigte
Mark 214,000 fakultative Staatszuſchüſſe für
Waſssſerbauten, welche in Folge der Ueberſchwemm-
ungen nothwendig geworden sind und den Gemein-
den obliegen, darunter 100,000 Mk. für Erhöhung
der Pfalzrheindämme als erſte Rate.
; Frankreich.
Paris, 2. März. Eine Miniſterkriſis iſt über
die Frage der Aufbeſſerung der Lehrergehalte in
Sicht. Die Bezahlung der Volksschullehrer iſt eine
sehr ſchlechte; von 89,000 Lehrern haben 21,402
zwischen 720 und 800 Mk., 21,949 zwischen 480
und 720 Mk. und 8690 gar nur 480 Mk. und
darunter Gehalt. Die Regierung iſt zwar mit der
Kammer darüber einig, daß die Gehälter der Lehrer
aufgebeſſert werden ſollten; nur weigert sich das
_ HNMinitterium, in Anbetracht der ſchlechten Finanz-
verhältniſsſe die Erhöhung ſogleich vorzunehmen,
während der Ausschuß der Kammer, geführt von
Paul Bert, ein solches Bedenken nicht gelten laſſen
will. Nun iſt es klar, daß die französſiſchen Finanzen
hauptſächlich durch die Expeditionen nach Tunis,
Tonking, Madagaskar erschöpft werden, und es ist
die Frage aufgeworfen, ob man nicht zu Gunsten
der Lehrer eine Aenderung in der französiſchen
Kolonialpolitik eintreten lassen solle. Davon will
aber Ferry abſolut nichts wiſſen. Solle und müsse
augenblicklich gespart werden + erklärt die „France“
..- so könne dies nicht in der Kolonialpolitik ge-
ſchehen, sondern in der Volksſchule, und deshalb
Dienſtag, den 4. März
werde Ferry die Vertagung der Kammerverhand-
lung über die Gehälter der Volksschullehrer ver-
langen und die Vertrauensfrage ſtellen.
Ausweiſung von Deutſchen aus Frankreich.
Französſiſche Blätter bringen folgende freundnach-
barliche Notiz: „Eine Säuberung iſt am 16. d. M.
durch die Gensdarmerie von Longwy vorgenommen
worden. Man hat hier vier deutſche Unterthanen
ausgewiesen, nämlich Achilles Colin, Emil Schlatter,
Karl Kellerer, Joſeph Fetzer. Glück auf die Reise!
Bei derſelben Gelegenheit ſind zwei belgische Unter-
thanen, A. Alfred Guſtave Pottyn und Frangois
Dieudonné, aus Frankreich herausexpedirt worden.
Der Belgier Louis Gerard, der Luxemburger Adam
Thil und die Luxemburgerin Anna Fort sind gleich-
falls ersucht worden, gefälligst jenſeits der Grenze
ihre Betrügereien fortzuſeßen. Dieſe Säuberung, die
uns von Deutſchen befreit, müßte alle Tage ſtatt-
finden bis zur völligen Ausmerzung dieſer Race,
die uns beſtichlt und uns ausspionirt immer und
überall, wann und wo ihr dies nur möglich ist."
Öesterreich-Ungarn.
Wien, 1. März. Die Peolizeidirektion erhielt
in lettter Zeit Kenntniß, daß der 1882 aus Floris-
dorf in Folge eingeleiteter Untersuchung flüchtig ge-
wordene Anarchiſt Anton Kammerer, ein 22jähriger
Buchbindergehtilfe aus Oeſterreichiſch-Schleſien, der ich
in der Schweiz aufgehalten, in Wien und Umgegend
gesehen wurde. Es gelang, denselben am 28. Febr.
im achten Bezirke zu verhaften, wobei Kammerer,
ſich hestig wehrend, auf zwei Sicherheitswachmänner
und einen Polizeiagenten mit einem Revolver schoß
und einen Wachmann ſchwer verwundete. Im Be-
site des Verhafteten wurde außer Revolver auch
eine zugeſpittte Feile, und in seiner Wohnung eine
über zwei Kilo ſchwere Dynamitsprengbüchſe mit
einer Zündſchnur vorgefunden. Die verwundeten
Wachleute ſind Familienväter. Die weiteren Re-
cherchen über die verbrecheriſche Thätigkeit des Ver-
hafteten ſind im Zuge.
England.
London, 1. März. Im Unterhaus verlas
Dilke ein Telegramn aus Suakim von heute
TSS.
Nacht 1 Uhr, wonach die Stadt ruhig und kein ;
Feind jenseits der Vorpoſten zu sehen sei. Es ist
keine Nachricht über das Resultat von einem Ge- .
fechte eingelaufen, aber eine solche dürfte bei Tages-
anbruch erwartet werden. Dilke fügt hinzu, es
tds überhaupt noch kein Gefecht stattgefunden zu
London, 1. März. Eine Depesche von Hewett
bestätigt den Sieg Graham's und meldet, daß enn,
liſche Truppen vier Krupp'ſche Kanonen und zwei
Haubitzen nahmen. Der Verluſt des Feindes iſt
erheblich, die engliſchen Truppen verloren 24 Todte
und 142 Vrrwundete. Lieutenant Royds de Carys-
fort iſt ſchwer verwundet. – Beim Eisenbahnunfall
von Aberdeen keine Todte und Verwundete.
Loudon, 1. März. Eine ausführliche Depesche j
Graham's in Suakim Nachmittags aufgegeben, mel-
det: Da auf die durch den Parlamentär an deen
Anführer der Rebellen gesandte Aufforderung keine
Antwort eingegangen war, rückte die englicſhen.
Streitmacht, beſtehend aus 3000 Mann Infanterie,
750 Mann Cavallerie mit sieben Mitrailleuſen und
acht Kanonen kleinen Kalibers vor. Heute Morgen
fand man die Rebellen beim Brunnen Eltels mit
Krupp'ſchen Kanonen verſchanzt. Wir machten eine
Bewegung nach rechts, griffen den Feind von hin
ten an und nahmen die Versſchanzungen mit Sturm.
Vier Krupp’ſche Kanonen, drei andere Kanonen und
eine Quantität Munition wurde erbeutet. Die
Schlacht dauerte 3 Stunden, da der Feind hart-
näckigen verzweifelten Widerſtand leiſtee Seine
Streitmacht wurde auf 10,000 Mann geſschätt.
Seine Verluſte waren sehr bedeutend, 900 Tote.
wurden in den Verschanzungen gefunden. Unser
Verluſt betrug 28 Todte, 2 Vermißte und 142
Verwundete, Graham fügt hinzu, er habe durch
Vermittelung eines Gefangenen an den Befehlshaber
von Tokar eine ‘Sommation geſandt, worin Unter-
werfung für morgen unter den geſtern geſtellten
Bedingungen verlangt wurde. Von Offizieren sind
fer Paſcha,
zu Fs. andere leicht verwundet.
London, 1. März. Nach aus Madeira einge-
_ Alus dem Stift.
Erzählung von E. Hartner.
D as Stift.
Es ist nun schon lange her, da bewohnten wir
die zweite Etage eines stattlichen Hauſes in der
sogenannten nördlichen Vorstadt der Residenz.
Einſt mochte dieser Theil mit Recht den Namen der
Vorstadt geführt haben, jett aber war die Häuſer-
front zu beiden Seiten geſchloſſen, die Straße wohl
gepflaſtert und gaserleuchtet und vom frühen Morgen
bis in die ſpäte Nacht hinein von einem nie raſten-
den Menſchenſtrom erfüllt. Anders geſtaltete ſich
das Bild, wenn ich zu den Fenstern meines Hinter-
ſtübchens hinaus sah, von dort aus überblickte ich
einen weiten Hof, in deſſen Mitte sich eine hoch-
ragende, ſtolze Linde erhob, ein wohlgehaltener,
ſelbſt im Winter leidlich grüner Garten stieß an
dieſen Hof, und dieses grüne Eiland im ſtaubigen
Steinmeer der Straße war rings von Gebäuden
umgeben, von denen ein jedes einem beſondern
Zwecke diente, alle aber die eiue schöne Aufgabe
hatten, der erbarmenden Menſchenliebe zu dienen.
Der ganze Häuſerkomplex wurde in der Gegend
kurzweg „das Stift“ genannt und alles, was dazu
gehörte, erfreute sich einer besonderen Hochachtung.
Da war zuerſt an der rechten Seite des Hofes
ein langgeſstrecktes, einſtöckiges, ſchmucklos gebautes
und ein ebenso ſchmucklos getünchtes Gebäude, das
eigentliche Stift, die Wohnung der Damen, die ſich
hier einen Ruhehafen nach den Stürmen des Lebens
geſucht hatten, nnd ihrer Oberin, hier Domina ge-
nannt. Es war kein stolzes adliges „Fräulein-
Nachdruck verboten.
stift“ mit hochklingenden Namen und Stamm-
bäumen, die bis über die Hohenzollernzeit hinauf-
reichten, ſondern eine Zufluchtsſtätte für solche, die
ſich müde gearbeitet hatten im Kampf ums Dasein
und nun ausruhen wollten von des Tages Laſt
und Hitze. Doch ſo einförmig, gleichmäßig es auch
aussah in dem langen, kloſterähnlichen Gang, der
in regelmäßigen Entfernungen immer dieſelbe
kleine weiße Thüre mit derſelben Klingel zeigte,
auch hier gab es Rang- und Standesunterſchiede
und eine eifrig gehütete Etikette.
Da waren zuerſt solche, die ſich ohne besondere
Ansprüche mit baarem Geld eingekauſt hatten und
die Bedürfniſſe ihrer Wirthschaft ſelbſt bestritten,
dieſelben bildeten sozuſagen die Aristokratie des
Hauſes, die von allen, ſelbſt von dem mürriſchen
Hoffeger mit besonderem Reſpekt behandelt wurden,
dann kamen ſolche, die eine Freiſtelle genoſſen,
aber sonst keine Unterſtisnng empfingen, und
endlich die ganz Armen, die Wohnung, Koſt und
einen kleinen Zuſchuß an Geld erhielten + eine
bescheidene Minorität, die sich nur ſelten an all-
grteuer Qrrets tethttiste uur zufs ktifcr tr
nierte, um tt einige Groſchen zu verdienen.
Dieses Haus, die kleine, daran ſtoßende Ka-
pelle und ein Theil des Hofes hatte in frühern
Zeiten das ganze Stift ausgemacht, bis kluge Ver-
waltung und die Vermächtniſſe reicher Gönner und
bemittelter Damen das Kuratorium in den Stand
gesetzt hatte, das große angrenzende Grundstück zu
kaufen, auf dem der Garten angelegt und die übrigen
Gebäude aufgeführt werden konnten. Da gab es
ein Krankenhaus, ein Männer-Sicechenhaus, für
erwerbsunfähig gewordene Mitglieder der Ge-
meinde, eine Handarbeitſchule, die von den Kindern
des Viertels beſucht wurde und die Wohnungen
der zahlreichen Beamten. Es war ein kleines,
gegliedertes Staatswesen in sich, nicht frei von
Intriguen, Kabalen, kleinen Gehäſſsigkeiten, aber
noch unendlich reicher an erbarmender, aufopferner
Liebe, an geheimen Wohlthaten, an reiner Herzens-
güte.
trocknet und fo geräuſchlos iſt sein Wirken, daß es
oft ganz unbemerkt bleibt. n
Nach und nach stieg ich von meinem Beobache
tungspoſten am Fenster herab und gelangte mit
den Inſaſſen des Hauſes in nähere Berührununm.
ein Dutzend wollene Socken, das die Mutter dem
Vater ftricken laſſen wollte, bot den willkommenen
Anlaß, das Haus, das ich ſo lange von außen
besehen nun auch zu. betreten. Eine der Koſt-
gängerinnen wollte die Arbeit übernehmen. Ich
geſtehe, daß mich ein Schauder befiel, als mein
Schritt zum erſtenmal das Echo des langen Korie.
dors weckte und ich unter den vielen nummeriren.
schwarzen Täfelchen endlich die richtige "tut ;
. §
und den Namen meiner Strickerin fand.
entſeßliches Schicksal,“ dachte ich, „hier sein Leben
zuzubringen, eine alte Jungfer zu werden, die ihre.
Blumentöpfe begießt, ihre Katze füttert und für
dreißig Pfennige das Paar Socken ſtri>kt, um fh
nach monatelanger Arbeit ein dürftiges schwarzes
Kleid kaufen zu können! Gott bewahre rinen in
Gnaden vor ſolchem Schickſal!“ .
Aber dieser Eindruck verschwand allmählich im
Oberſt Burnaby, Oberſt Barrow
Denn das Böse macht überall viel Lä am in
der Welt, während das Gute leiſen Schrittes seine
Straße zieht, hier den Hunger stillt, dort Thränen