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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

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No. 127 - No. 149 (1. Juni - 29. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44124#0547

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Expedition Brunnengaſſe 24.

Heidelberger




Heidelberger General-Anzeiger. tür

Yeranlworllicher Redakteur Philipp Klausner.



er Ta geblat



,. Anzeig die 1-ſpaltige Petits
eile oder deren Raum 6 Pfg.,

Rabattbewilligung.

Expedition Brunnengaſſe 24.



A 130. U

Rußland und England in Mittelasien.

Die Verwickelungen in Egypten haben bekannt-
lich das engliſche Kabinet davon abgehalten, sein
Augenmerk voll und ganz auf das Vordringen Ruß-

das Kabinet Gladſtone damit vielleicht einen folgen-
schwereren Fehler begangen hat, als durch seine
Zögerpolitik in Egypten.
In Mittelasien rücken sich England und Ruß-
land bekanntlich immer näher auf den Hals. Die
îHDase Herat + durch welche der zweckmäßigſte Weg
führt, den eventuell eine Armee von Norden her
î Durch Afghaniſtan nach Indien zu nehmen hätte -
_ lenkt heute die Aufmerksamkeit aller Politiker auf
fich, und es iſt der Zeitpunkt gekommen, welcher
von weitsichtigen Diplomaten ſchon vor Jahrzehnten
breis benüht man ch ruſſſscthits. ber Gl
dern fortwährend Verlegenheiten in Mittelasien zu
bereiten. Schon unter Katharina II. tauchten in
St. Petersburg Pläne zu einer Eroberung Indiens
H/uf, und es iſt bekannt, daß schon unter Kaiser
Paul, Yermölow und Paskiewitſch ihre Meinung
durch motivirte Gutachten dahin abgegeben haben,
daß eine Eroberung Indiens von ruſſiſcher Seite
aus nicht unmöglich wäre, man aber vorläufig von
einem Feldzuge absehen und andere Mittel an-
wenden müsse, um zum Ziele zu gelangen.
Die Einnahme und Besegung der Merw-ÖOase
von Seiten Rußlands in jtingster Zeit und die nun-
mehr durch kürzlich erfolgten Treueſchwur der Häupt-

linge und Auls - Äelteſten vollzogene Einverleibung | f |

derselben in das Zarenreich trägt wesentlich dazu
bei, die sonſt übermäßige Furcht vor der Macht der
_ Engländer bei den Perſern und Afghanen herabzu-
_ etzen und letttere zu veranlassen, sich den Ruſſen,
deſſen Herrſcher g wie fast allen aſiatiſchen
Volksſtämmen, so zu sagen, als der errettende Engel
vor der engliſchen Unterjochung erscheint, in die
_ Arme zu werfen. Es gehört nicht zu den Unmög-
_ lichkeiten, daß in kurzer Zeit an irgend einem Orte
in Afghanistan ein Aufstand ausbricht, der sich mit
R TE E T C

Freitag, den 6. Juni

TSS4.





Vindeseile, wie ein Steppenbrand, in die indischen

Besitzungen Englands fortwälzen und schließlich das
Zeichen eines allgemeinen Aufstandes der von Eng-
land in Asien unterjochten Völkerschaften zur Folge

haben wird. Allgemein nimmt man an, daß das
lands in Mittelasien zu richten, und es ſcheint, daß |

Glimmen des Feuers unter der Decke durch ruſſiſche
Agenten geschürt und daß kein Geldopfer hinter
den Couliſſen gescheut wird, um den Brand mög-
lichſt bald zur hellen Flamme anzufachen. Selbst-
verſtändlich wird Rußland, wenn zieser Fall einmal
eingetreten iſt, ebenfalls activ eingreifen und in
aller Ruhe vorläufig ungehindert von der Oase
Herat Beſit) nehmen. :

Ob es dann sofort noch weiter vordringen wird,
iſt mindeſtens fraglich und schon deßhalb höchst un-
wahrscheinlich, weil seine asiatische Politik immer
auf den Punkt ein großes Gewicht gelegt hat, nie-
mals zuviel mit einem Male zu annectiren, sondern
jedesmal erſt nach Eroberung einer Provinz oder
eines Landes ſich den Besitz deſſelben durch zweck-
mäßig errichtete strategiſche Werke zu sichern, und
durch äußeren Glanz der neuen Einrichtungen die
Anhänglichkeit und das Vertrauen der Einwohner
des eroberten Landes zu gewinnen. Obgleich man
die Macht Englands nicht unterschätzen darf, so ist
man doch wohl in Europa davon überzeugt, daß es,
ſelbſt bei Anstrengung aller ſeiner Kräfte, heute
nicht mehr in der Lage iſt, den indischen Honig vor
dem ruſſiſchen Bären zu ſchützen, da man heute
mit Geld allein keine Kriege mehr mit Erfolg zu
führen im Stande iſt. ;

Deutſches Reiche.
Berlin, 3. Juni. Nach dem Programm der
Grundsteinlegung des Reichstagsgebäudes verliest
der Reichskanzler die für den Grundſtein bestimmte
Urkunde. In den Grundstein kommen: Der Erlaß
an das deutsche Volk aus Versailles vom 17. Januar
1871 betreffend die Erneuerung der deutschen Kaiser-
würde, die deutsche Reichsverfaſſung, das deutsche
Reichshandbuch von 1883, die Baugeschichte des
Reichstagsgebäudes, die Pläne von Berlin und Weich-
bild, ein vollſtändiger Sat aller deutſchen Münzen





Die Frankeuburg.
Roman von Marie Romany.

(46. Fortsezung.)

Nach allem, was auf ihr gelaſtet und was ſie
von sich geschoben, blieb ihr ja nichts, als die Wol-



. luſt zu glänzen; und dieser Ausschweifung gab sie

ſich, mit dem ganzen Uebermuth ihres Reichthums
hin. Noch war man mit der Instandsetzung der
glänzenden Räume beschäftigt, als der Gräfin durch
einen Diener ein Brief überbracht wurde. Sie nahm
rt feu: "üs cu ur Ns tie takt:

ihres Negligekleides glitt; das Kouvert zeigte ja die

f

! Uk i hkatit: H ttkchif t. Ctafet. :

] e ei Fut ua.. s U tt Fe uk
Als nun allmählich die Vorkehrungen fertig ge-






ivan und gab fich tändelnd dem ſüßen Nachem-

kam ihr der vorhin empfangene Brief in den Sinn.
; Gleichzeitig zog fie das Schreiben aus der Taſche,
betrachtete, die Lippen wie zum Spott in die Höhe

_ „Hochgeschätztte Frau!
Elsa zurückgeführt; ein noch verhängnißvollerer
Z Zufall hat mich des Mädchens verkannte Geburt
entdecken lasen; mit unglaublicher Freude habe
< vernommen, was ja auch für Sie kein Ge-
Heimniß, daß meine Elſa, die ich liebe und ver-

[ orden, ſtreckte fich Clothilde ermüdet auf einen
Pfinden der glückſelig verbrachten Woche hin; da

aetfenv, bie Aufschrift und erbrach dann das Siegel. |
langweilt entfaltete ſie das Papier und lass

„.,. Ein unerwartetes Ereigniß hat mich zu meiner



ehre, die Tochter meines weiland ſeligen Freun-
des, alſo Elſa von Sternenberg ist.

So leid es mir thut, Ihnen durch dieſe Ent-
deckung vielleicht Qual zu bereiten, so fühle ich
mich dennoch verpflichtet, Ihnen zu sagen, daß
ich nur durch gegenſeitiges Verſtändniß die An-
gelegenheit auf glimpflichem Wege oxdnen kann.
Ich erſuche daher, sobald es möglich ist, um eine
Unterredung, die Sie gefaitth §ty

rgebenſt
Victor e chaos

Das war zu viel! Mit einem wilden Stöhnen
ließ Clothilde die Hand, welche das Schreiben hielt,
in den Schooß niedergleiten; ſtier und hohl hefteten
sich ihre Augen auf das unſelige Papier, welches
ihr mit der Maske ſchimpflicher Entlarvung entge-
enſchien. Hatte sie richtig geleſen? – FJettt ~
.;! ~ nach ſo langen Wochen des Triumphs,
~ jett noch, da sie die Verhältniſſe für immer ge-
borgen wähnte, - jetzt, da sie fich jubelnd und
frohlockend in die Kreiſe der Geſellſchaft geführt, –
jest ~ o, der Schlag raubte ihr die Beſinnung!
~ jett ſollte sie sich dem Elend preisgeben zum
Hohnſpotte der ganzen Geſellſchaft ihrer Stellung,
Namen, Reichthum entſagen, sollte, eine Geſchändete
Ruinirte, + : 0, das war zu viel..
Vit einem jähen Ruck flog sie empor. Nein!
rief ſie, Clothilde von Barnim, die ehrlich und
chriſtlich angetraute Gemahlin des Grafen Sternen-
berg wird nimmer in Armuth und Schande

so wahr mir Gott ſeinen Beiſtand gibt! frfy,

In weniger als einer Viertelſlunde stand ie
angekleidet da. Sie ertheilte noch verſchiedene Be-

fehle, beſtieg dann ihre Karrosſe und fuhr davon.

| marſchalle, und dazu befohlenen kommandirend



ihre Tochter Iſabella, welche beiden Damen erst der

| gangen war. Da ward plötzlich die Portisre ge.



























HHH B
aus allen deutschen Münzſtätten. Der stimmführen
bayeriſche Bundesrathsbevollmächtigte überreicht dem
Kaiser unter einer Ansprache die Kelle. Der Kaiſer
wirft damit den Mörtel auf den Grundstein, der
Reichstagspräsident überreicht dem Kaiser unter einer
Ansprache den Hammer. Der Kaiſer vollzieht dri’
Hammerſchläge, nach ihm die Kaiserin, der Kro

lichen Hauſes, der Reichskanzler, die Generalfeld

Generale, Ritter des Schwarzadlerordens, die Bu
desbevollmächtigten, der Präsident, die Vicepräsiden-
ten, die Schriftführer und Quästoren des Reichs-
tags, die preußischen Minister, die Chefs von Reichs-
ämtern, die Mitglieder der Baukommission und d
beiden Architekten. Nach dem Gesang des Do
folgt der Weiheſpruch des Oberhofpredigers Kög
und nach dem Segenspruch zwei Verfe des Liede
Mit einem Hoch au



„Nun danket alle Gott.“
Kaiser welches der Reichstagspräſident ausb
und wobei die Musik und die NRersammlung He
dir im Siegerkranz anstimmt, schließt die Feier.
Berlin, 4. Juni. Die Kaiserin von Rußlan
iſt heute Mittag um 12 Uhr hier eingetroffen unn
wurde auf dem Bahnhofe vom Kaiser, dem Kron.
prinzen, der Kronprinzeſſin und den übrigen Prinzen.
der Prinzesſin Victoria, der Erbprinzeſſin von Mei-
ningen empfangen. Die Begrüßung der Herrschaften
war ſehr herzlich. Die Kaiſerin fuhr mit der Kro
prinzeſſin und der Großfürſtin Xenia im Galawage
t TL ER R C Ra
von der Großherzogin oon Baden im Namen der
Kaiſerin und von den übrigen Prinzeſſinnen eme.
pfangen wurde. Auf dem ganzen Wege nach dort
wurden die Kaiserin und der Kaiser von der zahle
reich zuſammengeſtrömten Bevölkerung mit ent.
huſiaſtiſchen Hochrufen empfangen. !
Berlin, 4. Juni. Die „Nordd. Allg. Ztg.“
klärt, daß die in Kapstadt verbreiteten Gerüchte, die.
deutſche Regierung beabsichtige überseeiſche Straf
kolonien anzulegen, aus der Luft gegriffen seien.

Die Dienerſchaft war an ſolche Excentricitätn.
ihrer Herrin längſt gewöhnt; daher befremdete es
auch nicht, daß Clothilde, ſpät am Nachmittage erſt
zurückgek.hrt, sich in ihren Gemächern einſchloß un
keine Vorbereitungen zur Arrangirung ihrer To

gebot. Die Gräfin habe, ſo sagte man, ihre Laune
man müſſe sie in Ruhe laſſen, bis die ſchlecht
Stimmung vorüber sei. :

er...

>
1

Auch heute war es wieder der Baron von Lib.
tau, der, in ſeiner Eigenschaft als Arrangeur dre
Kotillons und Quadrillen, zuerſt erschienen war. E
befremdete ihn, Clothilde, die sonst so taktvole S
londame, nicht am Platze zu finden; er mußte sich
alſo bequemen, das Arrangement allein auf sich zu
nehmen und ließ demzufolge die nöthigen Befehle
f'tht: zweite Wagen brachte den Fürsten von
Preſten, der dritte die Baronin von Hagern und

INJ}Àſutu . .
nicht in ihren Räumen zu finden, doch "nahm man,
wie der Baron es gethan, im Empfangssaale Plat;
man plauderte tiber dies und jenes, bewunderte die
Eleganz der Toiletten, pries die Gediegenheit der
Einrichtung und Möbel, und die Baroneſſe tändelte
mit ihrem Verlobten, indeß sie neugierig forschen.

das Glasauge des alten Gecken betrachtete, desen.

Unnatürlichkeit ihrem prüfenden Blicke nicht ent
öffnet. und Clothilde trat ein.



denn, all’ und jeder Vorschrift des Anstandes zu-

Aengstliches Staunen bemächtigte sich der Gäſte,


 
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