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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

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No. 51 - No. 76 (1. März - 30. März)
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Expedition Brunnengaßfſe 24.

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Heidelberger Tageblat

Yerantiworlliher Redaktenr Philipp Klausner.



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Expedition Brunnengaſfe 24.



No H.
Lécnclvsretme Ä rtersn iner L
Anarchiſtiſche Dynamithelden.

Der schon vor geraumer Zeit angekündigte feniſche
Dynamitkrieg gegen England iſt in vollem Gange
und ſcheint direct durch Emiſſäre aus Amerika ge-
führt zu werden. Die Angelegenheit nimmt ein
sehr ernsthaftes Gesicht an und das Verhältniß zwi-
schen England und den Vereinigten Staaten von
Nordamerika hat möglicherweiſe eine harte Probe
zu bestehen. Kaum war bekanntlich in der Montag-
Nacht London durch die Exploſion auf dem Victoria-
Bahnhofe erschreckt worden, so sind auf drei anderen
Bahnhöfen, und zwar immer in den Gepäckräumen,
in Koffern oder Felleiſen verborgen, weitere Höllen-
maſchinen entdeckt worden: auf den Stationen an
Charing-Croß, Paddington und in dem Gepäckraume
von Ludgaten Hill.

Selbstverſtändlich erregt dies in England und
nicht nur dort gewaltige Aufregung. Die engliſchen
Zeitungen wenden sich nunmehr mit ernsten Worten
an die Regierung der Vereinigten Staaten von
Nordamerika und an die beſſeren Elemente der dor-
tigen Bevölkerung, um ihre kräftige Unterſtützuung
gegen die heimtückiſchen Anschläge der Mordbande
in Anspruch zu nehmen. In der That kann über
die Herkunft der Höllenmaſchinen kein Zweifel mehr
obwalten; sie sind von Feniern in Ameruka ange-
fertigt und nach London gebracht worden. Die
Fenier haben den Dynamitkrieg offen angekündigt

und nur in dem Augenblick, als wirklich Etwas ge- |

ſchehen ſollte, geschwiegen. Man darf auf das fernere
Verhalten der Vereinigten Staaten gegen O'’Donovan
Roſſa und Genossen geſpannt seen.

Die feniſchen Attentate machen deshalb einen ſo
allgemeinen Eindruck, weil das unheimliche Gespenst
der Anarchie durch die Lande wandert. Es iſt ge-
waffnet mit jener zerſtörenden Erfindung der mo-
dernen Chemie, mit dem Dynamit, das der Fenier
in England mit gleicher Virtuosität handhabt wie
der Socialiſt auf dem Continente und der Nihilist
in Rußland, und in den mannichfachſten Formen,
an den verschiedensten Orten verbirgt sich der heim-
tückiſche Frevlermuth, der, zum Fanatismus gestei-

Donnerſtag, den 6. März

gert, die tiefsten Probleme der Menſchheit mit dem
Ungeſtüm verbrecheriſcher Gewaltſamkeit lösen will.

Es iſt darum nicht weniger traurig und be-
ſchämend, daß in unseren Tagen hochgerichteter In-
telligenz und Civiliſation der anarchiſtiſche Terroris-
mus im Stande iſt, an den Grundfeſten der Gesell-
ſchaft zu rütteln, daß er Werkzeuge findet, die, ohne
Wahl geſucht und benützt, jedweder Todesfurcht
ſpotten, indem sie seine Weiſungen ausführen. Ist
aber der Fanatismus niemals ein Gemeingut ge-
wesen, hat er insbesondere in unseren Tagen einer
w.itverbreiteten Volksbildung nicht die mindeſte
Aussicht, vielköpfige Massen zu ergreifen und mit
ſich fortzureißen, so kann man sich andererseits leider
nicht verhehlen, daß die Mittel, ihm zu begegnen,
ihn durch öffentliche Maßnahmen zu bewätltigen,
äußerſt problematiſch sind. Wo gäbe es ein Poli-
zeiheer von gleicher Stärke wie in Rußland, und

wie wenig vermag dasselbe zu hindern, daß die

Unthaten des fanatisirten Nihilismus ſich bald hier
und bald dort wiederholen! Der Fanatismus iſt
ein Feuer, das sich ſelbſt verzehren muß und gott-
lob sich auch immer noch ſelbſt verzehrt hat. Das
iſt der einzige Troſt in dieſen Tagen, da ſich die
Schreckensmänner diesseits und jenseits des Canals
erheben, um die Geſsellſchaft mit Furcht und schlimmen
Ahnungen zu erfüllen.

Deutſches Reich.

Strafß;burg, 3. März. Die „Köln. Zeitung“
veröffentlicht unter der Ubberſihrift „Elſaß und
Lothringen“ einen intereſſanten Bericht über die
Stammeseigenthümlichkeiten der beiden Provinzen
unseres Reichslandes, der in der Ausführung gipfelt,
daß Elsaß und Lothringen von jeher bis auf unsere
Tage zwei grundversſchiedene Länder gewesen ſeien,
und zu dem Schluſſe kommt, ob sich die Zukunſt



der einzelnen Länder nicht vielleicht beſsſer und or-

ganiſcher gestalten dürfte, wenn das deutsche Elſaß
seinen Anschluß jenseits des Rheines und das roma-
niſche Lothringen seine Entwicklung zu einem deut-
ſchen Lande in der Anlehnung an das alte Gebiet



und die Hauptſtadt von Trevirer fände. + Also

mit andern Worten : Elſaß soll mit Baden, Lotho.
ringen mit Preußen vereinigt werden! Ein neues
Recept enthält der Artikel demnach nicht; diefe.
beiden „Annexionspläne“ sind bereits vor Jahren
hier lebhaft besprochen worden, und erſt vor wenn
gen Tagen, als die verlängerte Anwesenheit des
kaiſerlichen Statthalters in Berlin eine wahre
Springfluth von Gerüchten und Muthmaßungen über
hier bevorstehende Veränderung emporsſchießen lies,,
tauchte auch die Mär von der Vereinigung Loth
ringens mit Preußen wieder auf. Freilich nur aaf
ein paar Tage; länger ließ man sich hier über de
innere Haltloſigkeit des angeblich beabsichtigten
Planes nicht täuſchen. Aussicht auf Verwirklichung
dürften ſolche Verſchmelzungsprojekte jetßt kaum mehr
haben; was noch im Jahre 1874 verhältnißmäßzin
leicht und ſchmerzlos hätte bewirkt werden können,
das iſt im Jahre 1884 doch mit unberechenbaren
Schwierigkeiten verbunden. Die Bevölkerung ſselbſt.
würde übrigens lebhaften Einspruch gegen einm
ſolchen Plan erheben. Einige wenige ſelbsſtſtändige
Politiker ausgenommen, wie z. B. der Bürgermein.
ſter Reichard von Erstein, deren Ansichten aber im
Lande bei der eingeborenen Bevölkerung viel weniger
Beifall finden, als bei der eingewanderten, welch
letßtere allerdings einer „Annexion“ nicht abhol.
iſt, iſt die öffentliche Meinung darin faſt einſime.
mig, bei jeder Gelegenheit die stete Zuſammengee.
hörigkeit zwiſchen Elſaß und Lothringen lebhaft z
betonen und für die Unzertrennbarkeit der beinn
Länder einzutreten. Auch iſt der persönliche Gegen.
ſatß zwiſchen Elſäſſer und Lothringer, deſſen Vor
handenſein allerdings nicht weggeleugnet werden
soll, nicht ſo groß, als der Berichterſtatter dere
„Köln. Zeitung“ glaubt. Das Geſschichtchen, das
der Berichterſtatter des Artikels bei Schilderung des
Gegenſatzes zwischen den Elſäſſern und Lothringen
erzählt (Vous n'êtes pu'un Lorrain, sagte kürz
lich bei einem großen Wettrennen in Straßburg
ein elſäſſer Magnat zu einem sehr angesehenen
Lothringer mit dem er in Streit gerathen war“)
kommt uns bedenklich unglaublich vor. .





î Aus dem Stift.

Erzählung von E. Hartner.
2. Fortsetzung.



Krankheit oder nicht, jedenfalls spottete das
leiſe Fieber, das die Kräfte der rüſtigen Frau
langſam aufrieb, ſeiner Kunſt. Endlich erfand er
das Wort „allgemeine Körperſchwäche“ und ver-
ſuchte es nun statt mit Medikamenten mit kkräftiger
Koſt. Doch diese Methode war entweder nicht die
rechte, oder seine Erkenntniß kam zu spät. Die
Kalkulatorin wies die Kraftbrühen und schweren
Weine des Arztes mit dem größten Abscheu zurück
und versicherte, daß sie sich ſehr wohl befinde und
überhaupt schon viel kräftiger sei. Mit dieser Ver-
ficherung auf den Lippen, die noch von dem alten
freundlichen Lächeln umspielt wurden, ſchlief sie
an einem ſonnenhellen Herbſtabend ein, um nicht
wieder aufzuwachen. ;

Der Kalkulator machte nicht viel Worte um den
Tod seiner munteren, freundlichen, kleinen Frau,
ihm war mit der Lebensgefährtin ganz einfach
Licht und Luft des Lebens vergangen. ' Am Tage
nach dem Begräbniß nahm er ſeine Arbeit auf dem
Gericht wieder auf und rechnete eben so sicher und
pünktlich wie immer. Die theilnehmenden Worte
der Freunde, die ihn nicht sobald zu sehen erwartet
hatten, erwiedert er mit herzlichem Händedruck und
ſtillem Neigen des Kopfes, und sie wunderten ſich,
wie gelaſſen er seinen Kummer trug. Nur der
Richter, der den alten Kalkulator seit manchem
„Er




Jahre kannte, schüttelte den Kopf und ſagte:
macht's nicht mehr lange !“

| Der Richter hatte recht gesehen. Vierzehn Tage

lang erschien der gewiſſenhafte Beamte pünttlich
an seinem Pult, aber ſein Schritt wurde täglich

ſchwerer und ſchleppender, sein Athem kürzer und

ſeine Haltung gebeugter. Am fünfzehnten Tage
geſchah ihm, was ihm noch nie geſchehen war: er
verechnete sich. Der Richter bemerkte es, aber
er wollte den alten Mann nicht kränken und legte
das Altenstück still zurück, um den Fehler nachher
gut zu machen. Am nächsten Morgen blieb sein
Pult leer, und das erschreckte Dienstmädchen kam
geſtürzt, den Herrn Kalkulator zu entſchuldigen :
er klage über Kopfschmerz und Schwindel und
könne nicht aufstehen. Die Kollegen sahen sich be-
deutungsvoll an. „Was soll nun aus der Tochter
werden?,, sagte der Richter.

„Sie wird nun wohl etwas herabſteigen müssen !“
meinte ein zweiter.

„Ja, ja, der verwünſchte Hochmuth wird ihr gut
eingetränkt!“ murmelte ein junger Referendar.
Er war des Kaufmanns Schwarz genauer Freund.

Unterdeſſen rang Viktorine in ſtummer Herzens-
angst die Hände am Bette des Vaters. Des Arztes
Mienen hatten ihr nichts Gutes verkündet, und die
Löwenwirthin, die auf die Kunde von der Erkran-
lung des alten Freundes herbeigeeilt war, konnte
ihr auch keinen beſſeren Troſt geben, als daß fie
ihr rieth, ihre Sorge in Gottes Hand zu legen und
hinzunehmen, was er ihr ſchicke. Viktorine sah
die gutherzige Frau mit ſtarren Augen an, dieselbe
wußte nicht, ob ſie ſie gac nicht oder nur zu wohl



verſtand. „Und wenn das Schlimmste kommen
ſollte,“ fuhr sie fort, „ſo weiſt du, daß im Löwen





immer ein Plat für dich iſt! du brauchſt nicht zu
erſchrecken, der Wilhelm ist fort, weit über die
Schneeberge weg, vorm Frühling kehrt er niht
heim vielleicht dann noch nicht. Er hat selbe
geſchrieben, wir ſsollen's dir nicht entgelten laſſene,.
deine Schuld sei es nicht, daß er an dich gedacht.
hätte, und du ſollſt sehen, der Löwe iſt ein behag-
liches Haus !“ us
Viktorine ſah die mäütterliche Freundin noch
immer ohne Verſtändniß an, „Ich danke Euch!“.
hauchte sie endlich leiſe. „Aber + aber + Vater
wird ja wieder geſund werden! Nicht wahr, e
wird doch wieder geſund werden ?“ ..
Es lag eine ſolche Angst, eine solche rührende.
Hilfloſigkeit in den großen Augen des Mädchens.
daß die Wirthin ſich abwendete, um ihre Thränen
zu verbergen. Sie entfernte ſich bald, da es ihr .
nutzlos und grauſam ſchien, noch mehr zu sagen. [!
In der That hatte Viktorine die gute Frau nur
zur Hälfte verſtanden, und ſelbſt als der Arzt in..
minder schonend mittheilte, daß es mit ihrem Vater
zu Ende gehe, lag ihr nichts ferner, als über ihre.
eigne Lage nachzudenken, w
Noch wenige Tage, und das unsicher hin une.
her flackende Leben war verloſchen. Vor dem ver-
klärten Todten verſiegten Viktorinens Thränen.
î »Er konnte nicht leben ohne die Mutter!“ ſagte
ſie zu dem Prediger, der herbei kam, um die nun
ganz Verwaiſte zu tröſten und ihr sein Haus als
Zufluchtsstätte anzubieten. „Gott iſt gütig gewesen
und hat ihn ſo bald wieder mit ihr verein. Da
sollte man wohl nicht murren !“ ; .
Und sie murrte auch nicht, als sie völlig rathl
der Frage gegenüberſtand, was nun werden ſoll






 
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