Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

DOI chapter:
No. 26 - No. 50 (1. Februar - 29. Februar)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44124#0211

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext




Erſcheint täglich außer Montag.
Abonnemen t s pr e i 3
für Heidelberg: monatlich 45 Pfg.
mit Trägerloßn, durch die Poſt
bezogen viertelj. 1 Mk. 40 Pfg.

Expedition Brunuengaſſe 24.

Heidelberger |



Perantworilicther Redakleur Philipp Klausner,

( © Anzeigen: die I-ſpal
îh z § . | zeile oder deren Raum
Y ! == § für auswärts 10
p . . ® Bei mehrmaligem E

. Rabattbewilligu

! Pf, ;
fſ.. w i
ng.

Expedition Brunnengaſſe 24.



M 50.
! lbonnements-Einlavung. ,.,

Bestellungen auf das Heidelberger

blatt für den Monat März nehmen von
heute an alle Postanstalten und Landbrief-
träger zum Preiſe von 47 Pfg. frei in's
Haus geliefert, entgegen; in Heidelberg kostet
dasselbe 45 Pfg. wie seither und erhalten
neuhinzutretende Abonnenten das Blatt bis
zum 1. März gratis. Zu recht zahlreichem
Abonnement ladet ein

îê O rpvedition des „Heidelb. Tageblatt.“

Die Arbeiterbeweguug in Frantreich.
Vor einigen Wochen ſchien es, als. ob die Ar-
beiterbewegung in Frankreich und vor Allem in



Paris ſich zu einer acuten Krankheit zuſpiten wolle,

deren Heilung von den Meisten in einer revolutio-
nären Eruption geſucht wurde. Seit jener Zeit hat
fich ſcheinbar die dringende Gefahr etwas gelegt,
doch glimmt das Feuer noch immer stark unter der
Asche. Die von der Regierung und der Deputirten-
kammer als Beruhigungsmittel decretirte Commission

hat, wie ſich ſchon jett evident herausstellt, ihren

Beruf verfehlt.

Daß bei der parlamentariſchen Unterſuchung der
französischen Arbeiterverhältniſſe nichts Besonderes
herauskommen werde, das hat jeder Einsichtige von
vornherein gewußt. Der bisherige Verlauf der En-
puête iſt aber noch viel kläglicher, als ſelbſt die-
jenigen annahmen, deren Erwartungen die beſchei-
densſten waren. Die Vorſtände und Wortführer der
Arbeiterſyndikate, die an dem A4er Ausschuß vor-
beidefiliren, ſprechen fich ſammt und ſonders in einer
Weiſe aus, welche für die Urtheilsfähigkeit und die
wirthſchaftliche Bildung der Pariſer Arbeiter tief
beſchämend iſt und den Optimisten entmuthigen muß,
der vom Einfluſſe der demokratiſchen Arbeitermasſsen
auf die Entwickelung der politischen Einrichtungen
Frankreichs eine günstige zukünftige Wirkung er-
hoffte. Die Arbeiter sind nicht im Stande, den

Ein Kampf mit den Buſchrangern.

1 Selbſterlebtes von G. Le :
Es war ein triſter Winter- reſp. Junimorgen ;
denn in dem Antipodenlande Auſtralien, von dem ich
ſchreibe, kehren sich bekanntlich nicht nur die Men-

ſchen, ſondern auch die Jahreszeiten vollſtändig um. |

Wir ſprengten unserer Drei, gut beritten, aber nur
mäßig bewaffnet, von der „Mac Greth's Flat“ nach

der ſogenannten Achzig-Meilen-Wäüſte hinein, welche

ſich längs dem hier mündenden ſchmalen Meeres-
arm, der Coorang, der genau achtzig Meilen lang
iſt, ausbreite. Die Gegend, war ſo triſte, wie
das Wetter stellenweiſe noch triſte. Zur Rechten

hatten wir den Coorong, ein todtes Meer im Kleinen, |

und zur Linken den Scrub, den ich ſchon oft zu
beschreiben verſucht habe, ohne seine grauſige Oede
und Verlaſſenheit mit Worten auch nur annähernd

erreichen zu können.

An einer ſchilfumwachſenen Ausbuchtung des
Coorong lag das Cvorong-Jun, eine Taverne von
o zweifelhaftem Exterieur, wie der Charakter der
Giüäſſte, die daran verkehrten. Schon von Weitem
; vernahmen wir ein wüſtes Gebrüll und einen heid-

nischen Lärm von zuſammengesſchlagenen Gläſern
und Köpfen. Mitunter flog wohl auch einer von
den Sodvies da drinnen durch's Fenster statt durch
die Thùre, denn rohe Lattenvorſchläge deuteten auf

Stellen, wo zerbrochene Scheiben mit dem Winde

gcgcbuhli.. c..

Als wir nun mit einem gewissen noblejt:: är

[ von Squatters-Söhnen, die wenigstens Bill Brown | ch
und Bob Hollands, meine beiden Begleiter, auch waren,
vorüberitten, ergoß sich eine wahre Fluth von :



_ Es war gegen | :
näßt, bei einer verlaſſenen Hütte ankamen, in wel-



î Freitag, den 29. Februar

Thatsachen auf den Grund zu ſehen, ſie ſcheinen
nicht einmal den Drang zu haben, über allgemeine
Phrasen hinauszugehen und deutlich zu wissen, wie
es in Wahrheit um ſie und ihr Gewerbe beſtellt ist,
und wenn sie nun gar Heilmittel für denuncirte
Uebelſtände vorſchlagen sollen, ſo glaubt man un-
bewußte Kinder zu hören. Zahlenangaben ſchöpfen
ſie in der Regel aus der Tiefe ihres Gemüths, eine
Quelle, deren Unzuverläſssigkeit alle Statistiker mit
bemerkenswerther Einstimmigkeit feſtgeſtellt haben.
Wenn man ſie nach der Zahl der in einem gege-
benen Handwerke beschäftigten Arbeiter fragt, ſo
geben sie Antworten, welche an das berühmte Rechen-



exempel des tapferen Ritters John Fallſtaff erin-

nern, welcher bei ſeinem denkwürdigen Zuſammen-
stoß mit den „vier ſteifleinenen Kerlen“ sechs davon
tödtete und die übrigen achtzehn in die Flucht ſchlug.
Wiederholt sagten die vernommenen Redner aus,
ihr Gewerbe beſchäftigte 3000 Arbeiter, von denen
zur Zeit nur ein Drittel, nämlich zweitauſend, ge-
nügend zu thun haben, während der Reſt, nämlich

tiber 2500, feiern müſſe! Was soll man mit solchem

Material anfangen? Die Ausschußmitglieder ſehen
einander an und ſeufzen und die Stenographen
ſchämen sich, daß sie dergleichen von Amtswegen
nachſchreiben müssen.

Und nun die vorgeſchlagenen Maßregeln zur

Abhilfe! Alle fordern die Abschaffung des „Frank-
furter Vertrags“, sichtlich ohne die leiſeſte Ahnung
davon zu haben, was das eigentlich iſt, und nur
von der Vorstellung getrieben, daß es ſich um irgend
tz: geheimnißvolle se darum doppelt ſritedliche
§tz"Uu us. uuwet fta:
Arbeiter gefunden hat, die bisher vernommen wur-

den, iſt die nach hohem Schutzzoll. Einige gingen

so weit, ein vollſtändiges Verbot aller fremden Er-
zeugniſſe zu wünſchen. Die Erdarbeiter wollen, daß
kein Unternehmer einen ausländiſchen Tagelöhner
solle anstellen dürfen. Die Marmorglätter und
Steinmetzen verlangen die Austreibung belgiſcher
und italieniſcher Concurrenten. Die ZBimmerleute
ſind erbittert darüber, daß man Maſchinen verwende,

Schimpf und Schmähworten über unſere unſchuldi-
gen Häupter.

„Wohin reiten ſie die ſchielen Mähren ?“ ſchrie | ;

Einer.

„Zum Schindanger !“ ein Anderer.

Ein Dritter meinte gar „zum Teufel!“

Man schrie, lachte, rief Hurrah und machte endlich
Miene uns thätlich anzugreifen; doch waren unsere
schielen Mähren vortreffliche Renner und sie ver-

höhnten ihre Verunglimpfer nun ihrerſeits, in-

dem ſie ihnen im kurzem Galopp die Hinterhufe
zt*ch: Ausläufer eines Waldes, den wir jenseits
des Inn paſſiren mußten, entzog uns ihren Blicken.

Am Waldweg saß ein Mann auf einer hervor-

springenden Gumbaumwurnzel, scheinbar ein Tramp
. übel beleumdete Fußwanderer, welche den Buſch
in mehr als einer Beziehung unsicher machen. Ich
ritt voran. j

Er schien sich erst erheben und mir mit einem ge-
waltigen Knotensſtock entgegentreten zu wollen, als
aber die anderen Beiden in Sicht kamen , blieb
er ruhig sigen. Wir lachten und plauderten zu-

sammen und ließen ganz nebenbei, aber vernehm-

bar genug, ein Wort von unsern Revolvern fallen.
Als wir uns nach einem Weilchen nach dem
Tramp umblickten, war er verschwunden. Er mußte
die Richtung nach. dem Coorong-Inn genommen
haben. ; . Lauri Actig
Abend, als wir gründlich durch-

cher wir, da ein anderes Obdach ſich unsern weit

S





Ferne herübergeweht. Ich machte mich leiſe auf un

lockt hätten. Ich ging nun raſch auf die Hütte zu;
Plötlich blieb ich wie angewurzelt stehen.

im Duntkel versteckt geſtanden.



hin ſpähenden Blicken nicht bot, zu übernachten be |
ſchloöſſen, zumal wir in einer nicht minder delapi- Eû (



welche Balken raſcher, beſſer und billiger sägen, als
ſie mit ihrer Armkraft und ihrem alterthümlichn
Handwerkszeuge und sie verlangen eine ſo hohe Bee
steuerung dieſer Maschinen, daß es für den Untere
nehmer vortheilhafter werde, Menſchenkraft zu bee
nutzen. Die Vergolder klagen, daß die Hausbeſikee
t: Metssvhuurgen sn hrſchewen recen
welche jene ruhiclte, ihre Häuſer bis zu den Dach: w
kammern hinauf reich vergolden zu laſſee. De.
Zimmermaler sind über das Eindringen der Papiee.
tapeten-Kleber in ihr Gebiet ungehalten, die Lhoner
Seidenweber beſchweren sich darüber, daß m
Frauen, die billiger und beſſer arbeiten, in den
Webereien besſchäſstigt, und die Militärſattler ver
langen, daß ihr gegenwärtiger Tagelohn ihnen vm
Staate als dauerndes Minimum garantirt were.
Alle dieſe thörichten Aeußerungen beseelt der enn.
herzigſte kurzſichtigsſte Egoismus. Den Arbeitern.
scheint der Gedanke der Solidarität, von der alienenn.
ſie eine Beſſerung ihrer Lage erhoffen können, villen.
unverständlich und sie erſtreben nur eine Fördern
ihrer eigenen Intereſſen auf Koſten der Intereſen.
aller übrigen. Nicht einmal in seiner populäaeen.
Form, als „leben und leben lassen“, iſt ihnen dee.
Solidaritätsgrundsat, zum Bewußtsein gelangte. Se.
stehen auf dem Standpunkte jener ſüddeutschen Bauern.
die bei ihrer Proceſſion singen: „O heiliger Lu
rentius, ~- Du kreuzbraver Mann + Beſchüß'’ ure
Häufer + Und zünd’ die andren at.!" Ze eer.
der A4er-Aussſchuß unter solchen Verhältniſſen ſinen.
Zh;tiqttt. beschließt, um ſo beſſer wird es für ale.
elt sein: .O
Lehen hat sich die Arbeiterbewegung mhr
in die Provinzen gezogen, wenn es auch in Pais.



keineswegs ruhig geworden iſt. Wir haben schon .

des Defteren von dem Strike der Kohlengrubeearen.
beiter gesprochen. Die Kohlengrubengeſellſchaft vun.
Anzin hat jetzt 600 Arbeiter entlassen, in Foelen.
deſſen wurde auf der gestrigen Verſammlung de
Strikenden in Denain beſchloſſen, den Strike fonmÊtSm
zusetzen. Die dortigen Arbeiter sind sehr aufgeree.
Schon nachdem die Gruben-Geſsellſchaft in Anzin
TCR

dirten Scheune unsere Pferde in's Trockene zi
konnten.

Das große ſchwarze Kamin der verla
Hütte hatte lange kein Feuer gesehen und dieſe wur!
auch nicht heimischer als nun die tanzenden, flacker!
den Flammen ihr Licht über die uns umgeben
Oede ausgoſſen. .de. ut

Mitternacht war längst vorüber, das Feuer a
gebrannt, unſere Gefellſchaft in Schlaf geſunke
Ich richtete mich auf. Mir war es als hätte d
Wind ein Getöne von Menſchenſtimmen aus weiter






jenen Stimmen nachzugehen. Das Buſchrangennn..

wesen stand damals in der vollſten Blüthe. Vor- t .

sicht war hier jedenfalls geboten. . t
Ich ging ein Sttick Weges und stand wieder.
ſtill.. Ich kam so eine ganze Strecke weit fort vm
der Hütte, ohne noch etwas Verdächtiges zu hören.
Ich hatte mich eben nur getäuſcht und wandte mien

: zurtch Nacht war ſo finſter und ich wäre faſt an

der Hütte vorbeigegangen, wenn nicht wieder Stm.
men an mein Ohr geſchlagen und mich dorthm ge.






meine Schritte verhallten in dem weichen Sanne.

Ein breitſchultriger Kerl mit Vollbart und wei-
tem Schlapphut — ich hätte darauf schwören kön.
nen, der Tramp von heute Morgen + trat vn
außen an eins der matt erleuchteten Fenſter un
lugte hinein. Er sprach mit einem Zweiten, der

(Fortsetzung folgt.)

s
 
Annotationen