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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

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No. 77 - No. 100 (1. April - 30. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44124#0399

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Expedition Brunnengaſſe 24.

Verantwortlicher Redakteur Philipp Klausner.



erger Tageblat



N 94.



Deutſches Reich.

Berlin, 21. April. Zum dritten Kongreß für
innere Medizin, der heute unter Vorsitz des Geheim-
rath Frerichs zuſammengetreten iſt, sind etwa 300
Theilnehmer aus allen Theilen Deutſchlands und
Desterreichs erschienen. Jn Vertretung der Re-

[ gierung sind Staatsminister Bötticher, Unterſtaats-

ſekretär Lucanus und Geheimrath Althoff zugegen.

Berlin, 21. April. Der Kaiser arbeitete heute
Vormittag mit dem Civilcabinet, ertheilte Nachmit-
tags dem von London eingetroffenen Botſchafter
Grafen Münster Audienz und empfing den Fürſten
Bismarck zum Vortrage. Die Kaiserin hatte eine
gute Nacht und fühlt sich heute wohler. Der Ver-
lauf der Krankheit iſt befriedigend.

Berlin, 21. April. Die „Nordd. Alg. Ztg.“ sagt,
der Zweck der Reise Nachtigal'’s sei, Informa-
tionen behufs Organisation einer konsularischen Ver-
tretung an der weſstafrikaniſchen Küſte einzuziehen
und die vorhandenen Interesſſen der deutſchen Staats-

angehörigen inzwischen zn vertreten. In den weſt-

afrikaniſchen Gewäſſsern sei eine dauernde Statio-
nirung von regst: beabsichtigt.

Aus der Schweiz, 19. Vpril. Der Allg. Schw.
Ztg. wird zur Anarchiſtenfrage geſchrieben: „Unſere
nationale Empfindlichkeit wirkt oft in einem Augen-
blicke, was dem liberalen Prinzip in Jahrzehnten
nicht gelingt. Die verfloſſene Anarchiſtenepisode

liefert den Beweis dafür. Seitdem einige Kraft-

ſtellen aus der Moſt'ſchen Freiheit in die Schweizer-
preſſe übergegangen sind und. man erfahren hat,
daß dieſe weltverbeſſernden Vagabunden vor dem

HJchweizeriſchen Bundesrath nicht größere Achtung
haben, als vor dem deutschen Kaiser, und daß ihnen

die schweizerische Nationalität nicht höher ſteht, als
die deutsche, da heißt es in der liberalen Schweizer-

yreſſe täglich: Halt, Bauer, das ist was Anderes!

Jetzt wird sogar die Frage aufgeworfen, ob man
nicht mit der ganzen Sippſchaft abfahren ſollte, ja
ein Blatt ruft nach dem Ausbau der Bundesgesetz--
gebung, um, auf ehrwürdige Paragraphen gestützt,
dieſem fremden Unkraut beikommen zu können.



Die Frankenburg.

Roman von Marie Romany.
(49. Fortſctung.)

Die Dame hätte ihre Worte sparen können, denn
Ales das war es ja nicht, was Madeleine zu rühren
im Stande war.

Sie werden die Kleine nicht bekommen, sagte sie
entschieden; ich werde das Kind nicht von mir geben
und koſte es mein Leben. Wollen Sie etwas für

die Dinger thun, so geben Sie mir das Geld.

Das iſt es eben nicht, was ich will, meine liebe
Frau, bemühte sich noch einmal die Fremde; seien
Sie daher vernünftig und nehmen Sie meinen Vor-
ſchlag an. Ich werde dann überlegen, ob ich in
der Lage bin, auch etwas für die Erziehung des

andern Kindes zu thun.

' So laß uns gehen, befahl die Alte, belästigen
wir die Dame "df Die Kleinen machten sich zum
îrcigther bereit.

< werde doch das Kind so mir nichts Dir
nichts aus der Hand geben, wandte ſich das Weib
noch einmal zu der Fremden; und erſt recht nicht
| "§rzz tg §4 3:84
| iett er, Duelen des Weib, verstehe ich Deine Abficht.

| Das Kind ist Dir nüglich, Du kannſt es prächtig

| verwehrten -- zu Deinem VBettlerhandwerk! ~ O,

| ffui der Schmach! — jetzt auf keinen Fall werde

< von meinem Vorſat laſſen ; Du ſollſt die Kleine
üt nicht behalten, ich will fie haben um jeden Preis !
s! Z - Dies eine Wort hielt Madelein's
ritte zurück. . .





Schenk und Schlosſſarek soll Morgen früh 7 U







Mittwoch den 23. April

/ Oesterreich-Ungarn.
Wien, 21. April. Das im Schenkſchen Prozesſe
gefällte Endurtheil iſt gestern dem Landesgerichte
zugegangen. Nach demſelben iſt Karl Schenk vom
Kaiser begnadigt und die Todesstrafe vom oberſten
Gerichtshofe in lebenslänglichen ſchweren Kerker
umgewandelt worden. Die Hinrichtung von “tg:
L

ſtattfinden.

Bukarest, 21. April. Der Circus Sidoli ſtürzte
während der gestrigen Abendvorſtellung ein. Meh-
téde. perſotcn wurden getödtet, viele andere ver-
wundet.

Frankreich.

Paris, 20. April. Der ehemalige Abgeordnete
Guyot-Montpayroux, der in den erſten Jahren der
dritten Republik durch geräuſchvolles Auftreten,
phantastische Einfälle, insbesondere aber durch eine
rückſichtsloſe Feindschaft gegen Gambetta viel von
sich reden machte, iſt geſtern nach sechsundeinhalb-
jährigem Aufenthalt in einer Privat-Jrrenansſtalt
bei Paris geſtorben. Während dieser Zeit verfolgte
ihn mehr und mehr der Größenwahn, welcher dem
Unglücklichen ein so trauriges Ende bereitet hatte.
Bald hielt er sich für Gottvatet, der über. das
Weltall unbeschränkt herrſcht und. liner Legion von
Geiſtern gebietet, bald auch nur für einen Sterb-
lichen, der mit allen Mächtigen der Erde und vor
allem mit dem Fürsten Bismarck auf dem Fuße der
Gleichheit verkehrt und sie durch ſeine hochfliegenden
Pläne, durch seinen "zuze!tten Reichthum blendet.

uſßland. ,

Von ,,einem Korrespondenten“, vermuthlich von
„Stepniak“, dem Verfasser des „unterirdiſchen Ruß-
land“, erhält die „Times“ höchſt merkwürdige Ent-
hüllungen über die Thätigkeit und die Pläne des
von den Nihiliſten ermordeten Chefs der geheimen
Petersburger Polizei, des Oberſtlieutenants Sſudei-
kin. Derſelbe soll nämlich die Abſicht gehabt haben,
seinen Vorgesetzten, den Minister des Innern, Grafen
Tolstoi, welcher sich dem Emporkommen Sſsudeikin’'s
widerſette und eine persönliche Begegnung desſelben
mit dem Zaren ſtets zu verhindern wußte, sowie



thun, wenn ich Jhnen die schwarze Bella da überließe ?

Ich werde für Euch jett gar nichts mehr thun;
ich will Dir eine bestimmte Summe für die Kleine
bezahlen und dann iſt die Sache zwischen uns ab-

emacht.
g {ft. tretis trat einen Schritt näher. Hahaha,
krächzte sie; und wie viel wäre das, Madame?

Bei solcher Handlungsweise des alten Weibes
überlief die Fremde ein Schauder, es drängte sie
mit Macht, die Sache erledigt zu ſehen. Sie nahm
alſo ihre Börse zur Hand und legte das Gold auf
den Tiſch. Hier, ließ ſie dabei fallen, sind zwei-
hundert Francs.

Zweihundert Francs! Die Alte wandte sich zum
Gehen. Madame, das iſt die nächſte Nummer zu
Nichts. So mache der Sache ein Ende, Weib,
rief entrüſtet die Dame, also vierhundert.

Das Portemonnaie der Fremden lag geöffnet auf
dem Tiſche und das blanke Gold ſchimmerte ver-
führeriſch die Alte an; gierig streckte sie die knö-
chernen Hände nach dem edlen Metalle aus, ihre
Augen funkelten und ihre Lippen bebten, als sie
die Worte sprach : ſagen Sie fünfhundert, Madame.

Madeleine berechnete in dieſem Augenblicke nicht,
daß das Kind, würde ſie es bei ſich behalten haben
mit der Zeit eine weit größere Summe für ſie
werth gewesen wäre; ſie dachte auch nicht daran,
daß die kleine Elſa, allein in ihrer Geſellſchaft ge-
laſſen, ein faſt ſcbcuätnſäthzts Wesen sei; sie ſah
jeßt nichts als das Gold, ſie betrachtete nichts als
die enorme Summe, deren Höhe sie niemals gesehen ;
ihr Athem war krampfhaft, während fie die Fremde
anſtarrte, bis dieſe verächtlich die Antwort hinwarf:











Was alſo würden Sie für mich und die Andere .





hielt große Stücke auf Sſudeikin und zeigte sich

sogar zur Zeit der Krönung für desſſen Sicherhetn.
beſorgt allein trotdem gelang es Sſudeikin nichts.
auch nur einmal eine Unterredung mit Alexander III.

zu erhalten. „Wenn ich den Kaiser nur ente.
sehen könnte,“ soll Sſudeikin ausgerufen haben, ,so w
würde ich ihm zeigen, was ich bin und würde ihn '

leicht für mich u U
| en.

Kairo, 21. April. Es bestätigt sich, daß ein Hu
mit 300 Flüchtlingen von Shendy abgegangenre .
Dampfer auf dem Nil scheiterte. Reiſenſe une.
Mannſchaften wurden von den Aufständiſchen ange.

griffen und niedergemacht.
Kairo, 21. April. Eine Depesche Gordons an

Baker 8. April besagt: „Ich erhielt eine dürftige.

Depeſche Baring's welche mittheilte, daß keine ein. .
liſchen Truppen nach Berber gehen sollen, um den .
Weg zwischen Berber und Suakin frei zu mache.

daß aber zu diesem Zweck Verhandlungen mit den
Arabern fortdauern. Sie kennen den Werth der-
artiger Verhandlungen und wissen, wie viel Zeit die

bezüglichen Arrangements nach dem Rückzug der V
engiſchen Truppen aus Suatin beanspruchen. Wir

ſind auf fünf Monate verproviantirt und von einem
halben Tauſend unternehmenden Arabern mit einem
Trotz von etwa 2000 Mann umgeben. Unsere Lage
wird sich beſſern, sobald der Ril ſteigt. Kaſſala,
Dongola und Berber ſind noch für einige Zeit außer

Gefahr. Glauben Sie, daß man durch einen Apen.
an engliſche und amerikanische Kapitaliſten etwoa

200,000 Pfund erlangen könnte? Man könnte da-
mit vielleicht den Sultan bestimmen, 2000 bis 3000
Nizamtruppen Berber zu ſchicken! Damit könnten
wir nicht allein die Dinge hier in Ordnung bringen,

den Großfürſten Wladimir ermorden zu laſenn.
S;udeikin, ſo erzählt der „Korresſpondent‘,, streben.
nach nichts Geringerem, als ſelbſt Miniſter ds.
Innern zu werden, um auf diese Weise den „ſchwaehen.
und untauglichen“ Zaren in seiner Hand ‘zu hallen.
und ganz Rußland zu beherrſchen. Der Zar ſelbſt u.

sondern auch 'die Macht des Mahdi brechen, was y

im JIntereſſe des Sultans nothwendig ist. Ich

Nun, meinetwegen, es kommt mir nicht darauf





an. Ich zahle Dir das Geld aus und dann ge-

hört das Kind mir; jetzt gleich zur Stunde.

Aber ich könnte ja die Kleine zu Eurer Gnaden
führen, entgegnete die Alte; in ſo ſchmutzigen Zu-
ſtande . . . . Sorge nur nicht, Weib.

Aber ich werde fie doch wiedersehen dürfen ?

Nein, sagte die Dame bestimmt. In dem lm.
genblick, da Du das Geld nimmſt, gehört das Knn. .
mir. Hätteſt Du eingewilligt, ſie mir zur Erzieeaanne..
zu geben, so hätte ich Deine verwandtsſchaftlieen.

Rechte gewahrt; aber ein Weib, das ein Kknd' um

schnöden Mammon verhandelt, iſt nicht der gering-
sten Berücksichtigung werth.

Mit diesen Worten zog fie die kleine Schwarze
zt Ir u mir, Bella, ſprach sie, sanft des Kin-
des Lockenhaar ſtreichelnd, jett biſt Du mein kleines
Mädchen; also bleibe bei mir.

Das Kind ſchaute mit seinen großen, lebhaften
mit uns fragte fie jchniq. 1.19 | gehi fie nicht

Nein, Elsa bleibt hier ; alſo gehe und sage ihr
Lebewohl - für immer!. fügte. fie strogu mb
dachtſam hinzu.

Bis dahin hatte die kleine Blonde, einer Statue
gleich, der ganzen Verhandlung zugehört; jetzt füll-
ten sich ihre Augen mit Thränen und ſie flog in
fieberhafter Eile zu der Fremden, deren Kniee ſie
mit beiden Händen umklammert hielt.

Nimm mich auch mit, flehte sie mit der ganzen

Weichheit ihrer Stimme, laß mich nicht alle ier,

laß mich mit Bella gehen!

t




 
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