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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

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No. 26 - No. 50 (1. Februar - 29. Februar)
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Expedition Brunnengaſſe 24.



Heidelberger General-Anzeiger.

PYerantworilicher Redakteur Philipp Klausner.

Heidelberger Tageblat



die 1-spaltige Petin.
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e 5 Pfg., ;
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scheinen
attbewilligung.

Expedition Brunnengaſsſe 24.



M W.
Die Arbeiterkriſis in Paris.

. Frankreich, das noch vor Kurzem von ſeinen
gefüllten Geldsäcken herab triumphirend und unge-



rührt auf den wirthſchaftlichen Niedergang anderer

Länder sah, hat jett die Kriſis durchzumachen, die
anderwärts zum großen Theile bereits überwunden
iſt; nur fällt sie dort nicht in eine Zeit politischen
Aufschwungs, auch ist das Naturell der Franzoſen
_ nicht ein derartiges, daß, wie in anderen Ländern,
auf eine langsame, friedliche und naturgemäße Löſung
der Krisis gerechnet werden kann. Besonders der
Pariser Arbeiter und Proletarier iſt gewöhnt, daß
ihm ebenso Hilfe von der Staatsgewalt wird, wie
er auch andererseits sich gern von der jeweiligen
Staatsgewalt am Gängelbande führen läßt. Wenn
Noth und Entbehrung ihm drohen, ſucht er deshalb
nicht die Abhilfe bei sich und seinen Leiſtungen,
ſondern erwartet sie von oben, und ändert höchstens
gewaltsam die Regierung so lange, bis seine An-
ſprüiche Befriedigung finden.

Trotz dieſer durch die Geschichte Frankreichs so
oft bewiesenen Thatsache verſchließen die jetzigen
Gesetzgeber, wie faſt alle ihre Vorgänger, ihr Auge
vor der drohenden Gefahr und behandeln die Sache

Jdilatoriſch. Die Verhandlungen über den diesbe-
züglichen Antrag Langlois ziehen sich unter nichts-
ſagenden Reden endlos in die Länge, ohne daß

irgend ein greifbares Reſultat daraus sich ergeben
dürfte. Trotzdem bleibt es die wichtigſte Frage,

î wie. der Noth der Arbeitslosen ſo zeitig abzuhelfen
sei, daß dieſelben vor verzweifelten Entschließungen
zurückgehalten werden.

Dem Maßenelend gegenüber iſt auch nichts ge-
holfen mit dem Rath der „Republique frangaise“,
beſcheiden und sparſam zu sein. Auch der Sturm-
lauf gegen die ausländischen, in erſter Linie gegen
die deutſchen Arbeiter, der mindestens ebenso viel
dem Verzweiflungskampf ums Dasein als dem nati-
nalen Haß zugeſchrieben werden muß, ist nur ein

_ Alustkunftsmittel von verſchwindender Bedeutung. Die
Kammer sieht das auch ein und an Recepten gegen

die wirthschaftliche Krankheit fehlt es wahrlich nicht.







Nachdruck verboten.

Das weiße Schiff.

Ein See-Roman von Adolph Norfk.



I. Die Meuterei.

An einem Auguſttage des Jahres 1865 steuerte
die Hamburger Bark „Martha“ bei günstigem Winde
den Buſen von Siam hinauf. Sie hatte Ballaſt ge-

laden und kam von Soerabaya, um zum neunten-
male Reis für vorgenannten Platz zu holen. Seit
neun Jahren hatte sie Europa verlaſſen und sich
in den chinesſiſchen und hinterindiſchen Gewäſſern
aufgehalten, bei diesen ewigen Kreuz- und Quer-
_ fahrten war aber ihr ehemalige Mannſchaft auf
einen geringen Rest zuſammengeſchmolzen und hatte
_ ich dafür aus ziemlich anrüchtigen, neuen Beſtand-
theilen ersetzt, von denen die beſten die eingeborenen
. Matrofen waren. :
. Diese bildeten aber leider die verſchwindende
_ Anzahl; der Kern waren jene Geschöpfe, die ſelten
länger als einige Monate auf einem Schiffe aus-
halten, dann das wenige verdiente Geld am Lande
verjubeln, nothgedrungen wieder auf ein anderes
Schiff muſtern, um nach kurzer Friſt auch dieſes
mit einem neuen zu vertauschen. Unzufrieden ſind
sie immer, ſelbſt mit dem beſten Kapitän; loben stets
das letzte Schiff und dessen Proviant, sprechen aber









Genlüiſſen am Lande.

Was Wunder, wenn ihnen ihr jetziger Aufent-
halt an Bord der „Martha““ durchaus nicht zuſagte.
In Hong-Kong, ihrem Eldorado, waren alle



meistens von den gewesenen und noch zu hoffenden



Vonntag, den 3. Februar

Unter den 19 Anträgen, welche der Deputirten-
kammer vorliegen, figuriren: Hilfsvereine und Al-
terskaſſen, Geſellſchaftsverträge, Unfallgesſet, Schieds-
gerichte, Beförderung der Arbeiter zu und von den
Arbeitsstätten, Ermäßigung der Arbeitszeit, Arbeiter-
wohnungen, sofortige unentgeltliche Rückgabe aller
in den Leihhäuſern um 3 bis 10 Fr. versetten
Pfandobjecte, insbesondere der Bettſtücke und der
Arbeitswerkzeuge, Gewinnbetheiligung der Arbeiter,
obligatorische Lebensverſicherung, Schuß und Er-
ziehung für verlassene Kinder, Untersuchungen über
die Lage der Arbeiter u. f. w.

Aber alle dieſe Dinge brauchen Zeit und die
feiernden und hungernden Arbeiter haben keine.
Deshalb hielten die „Brodloſen“ eine große Ver-
sammlung ab, um ihre Forderungen zu formuliren,
und da wurden denn freilich kräftigere Mittel als
die obigen vorgeſchlagen. Ein Redner wies auf die
Nothwendigkeit hin, in allen Mairien ſtatisſtiſche Er-
hebungen über die arbeitsloſen Arbeiter zu veran-
stalten und ihnen Geldbeiträge zuzuerkennen. Ein
Anderer stellte folgende Forderungenrauf : der Staat
bewilligt sogleich zwanzig und die Stadt Paris fünf
Millionen, ferner wird alles in den Leihhäuſern
verpfändete Bett- und Arbeitszeug ſreigegeben und
laſſen der Staat und die Stadt alle projectirten
Arbeiten ausführen. Jm Laufe des Winters eröffnet
die Regierung dann Staatswerksſtätten, es wird die
Herabsetzung der Arbeitszeit auf acht Stunden ohne
Herabſeßüng des Lohnes angeordnet und läßt der
Staat Brod, Fleiſch u. ſ. w. zu dem Koſtenpreise
verkaufen. Noch ungleich revolutionärer lauteten
die Vorschläge des Anarchiſten Ponchet. ‘Da die
Regierung dem Auslande, Spanien, England, Deutsch-
land, Waffen gegen die franzöſiſchen Arbeiter liefere,
indem sie die Einfuhr fremder Producte geſtatte,
müſſe man sich gegen sie rüſten und auf alle Weiſe
Waffen aufzutreiben trachten. Der Bürger Brun,
welcher Ponchet ablöſte, hatte es noch eiliger und
rieth zum Sturm gegen das Palais Bourbon. So
ging es weiter und immer weiter, bis die „Car-
magnole“ heulend auseinander ging. j

In der That, wenn die Kammer und die Re-



gemustert, und dorhin wollten sie wieder; aber ſeit
nun beinahe vierzehn Monaten waren ihnen keine
anderen Stationen zu Gesicht gekommen, wie der
Hafen von Bangkok und die Reede von Sverabaya.
Mehrmals schon hatten ſie ihrem Grimme unver-
hohlen Luft gemacht, aber immer war ihr Vorhaben
an der eiſernen Willenskraft ihres sonst seelenguten
Kapitäns, Hans Carlsen, gescheiten.

Als sie aber bei ihrem letten Aufenthalte in

Bangkok selbſt die Erlaubniß verſagt bekamen, an
Land zu gehen, wegen der augenblicklich dort
graſſierenden Cholera, die sie leicht an Bord ver-
ſchleppt hätten, und da ihnen diesmal höchſt wahr-
scheinlich ein gleiches Loos bevorſtand, hatte ihr ( : t

Hug sw dg ute h
qwwi ; ; laffen, Ful M .
ieder FUN ("up ‘die vierzehn Tage, die win.

Groll und Mißmuth den Höhepunkt erreiche.

So finden wir sie an jenem Tage, einem Sonn-
tage, nachmittags auf der Back (Vordertheil des
Schiffes) liegend und über ihre Lage eifrig. dis- |
putierend. Der Deckjunge Otto Buder hatte seine
Stunde am Steuer, die chineſiſchen Matroſen, zur
Steuerbordswache gehörig, hatten Ruhezeit und
schliefen, folglich waren die Unzufriedenn un»

eſtört. : /

sf Zunächst des Spills lag der am robusten Aus-
sehende, und wie cs ſchien derjenige, der bis dahin
das Wort führte. Sein rechter Arm stützte das
sonnengebräunte Gesicht, das durch einen wenig ge-
pflegten Vollbart umrahmt wurde, nur die Oberlippe
war von diesem zweifelhaftem Schmucke freigeblieben.
Sein Haupthaar war gänzlich geſchoren, viel-
leicht der Hitze wegen, und ſchon dieses allein ge-
nügte, das Aussehen dieſes Mannes wenig sym-

patiſch erſcheinen zu lasſen, hätte nicht zum Ueber-

fluſſe noch das rechte Auge gefehlt, ein Verlust, den







Route nicht ändere.“



1884. . , .

gierung nicht bald zu kräftigen feſten Entſchlüssen §
kommen, ist es nicht ausgesſchloſſen, daß nächſeen.
aus Paris die Nachricht von einem sogenanten.
„unvorhergesehenen Ereignisſſe“ kommt und daß über I
Nacht die Staatsform in Frankreich gewechſelt han.



Deutſches Reich.

Berlin, 1. Febr. Zur dritten Leſung des Etats
iſt ein Antrag Windthorſt-Löwe eingebrach, den.
Regierung aufzufordern, sich für ein Reichsgeſces zu
bemühen, durch welches alle in deutſchen Stateen.
bestehenden Lotterien aufgehoben werden unn de..
Errichtung neuer verboten wird.

München, 30. Jan. Ueber den Aufenthalt de.
vorgeſtern Abends 8 Uhr von hier mit dem Salz-
burg-Wiener Kurirzug nebſt Gefolge, perſönlichem
Adjutanten Major von Plönnies von hier zurück-
gereiſten Kaiſers Franz Josef iſt noch Folzeeneeen.
mitzutheilene. Am Sonntag Morgen wohnte e in
der Hauskapelle seines Abſteigequartiers, des Palais
des Prinzen Leopold an der Schwabingerlandſtraße
einer Meſſe bei. Nachmittags 5 Uhr war bei dee
Königin Mutter große Tafel. An derſelben nahmen

alle z. Z. hier anwesenden Mitglieder des kaiser.

Hauſes, mit Ausnahme des durch Unpäßlichkeit ver- :
hinderten Herzogs Maximilian Emanuel, Theile.Ö
Abends besuchte er mit Prinz und Prinzeſſin Le.
pold die erstmalige, nicht günstig vom Publinm
zſgzrguene Porſlug urs. tar her r
Montag 28. Morgens arbeitete er von 7- 10 Uhr .
Vt. sc Rfv§W tue te E
kammer. Nachmittags war Tafel beim Prinzen.
Leopold. Der Kaiser sah ganz gesund und whk.
aus. Auffallend war die ungemeine Abn<aehne um
Ergrauung seines Haupthaares. s
München, 31. Jan. (Landtag.) In fortgzen.
setter Spezialdebatte über den Münchener Unver.
ſitätsetat wird der Antrag Rittler angenommen neben.
dem Erſatß für den Geſchichtsprofeſſor Gieſebreeet.



Piraten kämpfend erhalten. Die Kleidung war den.
gewöhnliche dortiger Seeleute : eine weite leinnee.
Hoſe und ein buntes Hemd aus gleichem Stoff,
Schuhe und Strümpfe ließen sich entbehren, des
Haupt deckte ein breitkrämpiger Baſthut, + diese.
war Franz Mehnert, der Koch der „Martha“ un



der Rädelsführer seiner Kameraden. Schon schien 4

er durch seine Gründe die Matroſen Ernſt und Fiss
faſt überzeugt zu haben; andere, wie der Leiche.
matroſe Paul und der Zimmermann Peter, ſchwanten.
noch, ſich zu seiner Anſicht zu bekehren.
. „Va, Boys, was habt ihr euch denn nun ge.
dacht,“ begann Franz, kurze Wolken aus seinm.

in dem Lehmneſt liegen, nicht von Bord läßt? Ich

dächte, wir hätten uns für lange genug als Sklaven

verkauft läßt er mich diesmal nicht von Born,.
fo. gebe t t .. fn Etlaubni. 49.3: j es . #
; hretur und will L tf§gn heran. .







nünftigen Plate. Reden wir ihm jetzt nicht ernte.
lich ins Gewissen, ſo führt er uns vielleicht neh
einmal von Bangkok nach Soerabaya.“.. _
„Möglich ist's,“ warf Fritz dazwischen. ..
„Gewiß ist's,“ fuhr der Koch fort, „ich habe
den Speckſchneider ~ (zweiter Steuermann) schon
munkeln hören, daß der Alte vor der Hand die



„Ja. aber willſt du denn die ganze Heuer von
zwölf Monaten im Stiche lassen ?““ fra
Zimmermann.
 
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