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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

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No. 51 - No. 76 (1. März - 30. März)
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Heidelber

Perantwortlicher Redakteur Philipp Klausner. ; :

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Expedition Bruunengaſſe 24.



Expedition Brunnengaſſe 24.
Ne 59.

Deutſche freiſinuige Partei.

Das Ereigniß des Tages iſt die Verſchmelzung
der Fortſchrittspartei mit den. Secessioniſten zu einer
„deutschen freiſinnigen Partei.“ Der Telegraph hat
Ihnen bereits die Thatsache der Verschmelzung, das
Programm und die Grundzüge der Parteiorganiſa-
tion übermittelt. Die Sache war längst vorausge-
sehen und von den gemäßigten, friedliebenden Ele-
menten beider Fraktionen lebhaft gewtnſcht worden.
Die Verwirklichung des Planes aber ging zur allge-
gemeinen Ueberraſchung und Verwunderung grade
von jener Seite aus, welche man bis dahin als
Hemmniß des Ganzen angesehen hatte, von ~ dem
Abgeordneten Eugen Richter. Dieſer leitete, unter-
ſtützt von seinen nächſten Freunden, die Verhand-
lungen mit den Secesſioniſtenführern ein, man nahm
sich gegenseitig das Wort ab, nichts verlautbaren
zu laſſen, selbſt die Mitglieder der Fraktionen waren
darüber in Unkenntniß bis gestern Abend. Da
traten denn die beiden Fraktionen und zwar jede
für sich, zusammen, um sich über das Programm
schlüssig zu machen und nahmen dasselbe an. Drei
Berliner Blätter empfingen noch in der zehnten Abend-
ſtunde die erforderlichen Mittheilungen. Heute
Abend treten die vereinigten Fraktionen zuſammen.
Alle Welt iſt begierig, ob und wie lange die neue
Partei zuſamuenhalten wird. Vielleicht führt die
Frage über Stellung der Partei zur Verlängerung
des Socialiſtengesetßes ſchon zu Zerwürfnissen, denn
die Rachricht, es ſei in Bezug hierauf den Mitglie-



dern von vorn herein freie Hand gelaſſen, wird be-

reits beſtritten; es heißt, die Mitglieder ſollten ver-
pflichtet werden, dagegen zu stimmen, womit viele
nicht einverſtanden wären. Die Nationalliberalen
hoffen, sie würden durch. den Vorgang verſtärkt aus
den nächſten Wahlen hervorgehen, auch die Conſer-
vativen machen gute Miene zu dieser Klärung der
Parteiverhällnisse, wie sie ſagen. Die Kreuzzeitung
weiß noch nicht recht, wie sie ſich zur Sache ſtellen
ſoll. Norddeutſche Allgem. Zeitung und ,,Poſt“
wollen sich ihr Urtheil vorbehalten. Diese Blätter

scheinen auf höhere Weiſungen über ihre Haltung

Aus dem Stift.

Erzählung von E. Hartner.



H: Fortfetzung.

Ob sie innerlich etwas empfunden hat, weiß
ich nicht, äußerlich war ihr jedenfalls nichts anzu-
merken, als eine vornehme kühle Zurtickhaltung.“

„Nun,“ versetzte der Graf lachend, „es wird
gut sein, wenn sie Eberhards Tollheiten gegenüber
dieſe vornehme Haltung behält.!“

„Wo denkſt du hin, Hugo!“ sagte die Gräfin
„Eberhard und unsere Erzieherin !“ heb
„Erhebe
deinen Sohn nur nicht gleich bis in die Wolken!
Du mußt nicht vergeſſen, daß „unsere Erzieherin“
ein ſehr schönes Mädchen iſt und unser Sohn leider
ein nur allzu lockerer Vogel .“

Von dieſem Tage an war in Viktorinens Stel-
lung zu der Gräfin eine unmerkliche Verſchiebung
eingetreten, die sie mehr fühlte als bemerkte. Die

Gräfin hatte sie ins Vertrauen gezogen, sie theilte
ein Geheimniß mit ihr. Die Gräfin hatte ihrer
Verſchwiegenheit, ihrer Zuverlässigkeit vertraut, sie
fuhr fort, ihr kleine Zeichen besonderer Gunſt zu
ertheilen. Ihr Geschmack, ihr Urtheil wurde bei
der Auswahl von Weihnachtsgeſchenken zu Rathe ge-
zogen, und die Gräfin fand, daß ihre beiderseitige
Ansicht in den meisten Fällen zuſammentraf. Durch
eine Gemahlin angeregt, wendete auch der Graf ihr
größere Aufmerksamkeit zu, er verwickelte sie zu-
weilen in ein Geſpräch und freute ſich, wenn sie

ärgerlich.
„Nun, nun, nun! ries der Graf.

gewandt antwortete. Sie war jetzt häuſig in dem



Dieuſtag, den 11. März

zu warten. Die künftigen Reichstagswahlen mtiſſen
beweisen, wie das Volk tber den Vorgang denkt
und dies — wird entscheiden. :

Das Programm der Partei lautet:

1) Entwickelung eines wahrhaft conſtitutionellen
Verfaſſungslebens in gesichertem Zusammenwirken
zwiſchen Regierung und Volksvertretung und durch
geſetzliche Organisation eines verantwortlichen Reichs-
miniſteriums. Abwehr aller Angriffe auf die
Rechte der Volksvertretung, insbesondere Aufrecht-
erhaltung der einjährigen Finanzperiode, der jähr-
lichen Einnahmebewilligung, der Redefreiheit. 2)
Wahrung der Rechte des Volkes: Erhaltung des

geheimen, allgemeinen, direkten Wahlrechts; Siche-
rung der Wahlfreiheit, insbesondere auch der Be-

willigung von Diäten; Preß-, Verſammlungs-,
Vereinsfreiheit; Gleichheit vor dem Gesetz ohne An-
sehen der Perſon und der Partei; volle Gewisſens-
und Religionsfreiheit ; gesetzliche Regelung des Ver-
hältnisses zwiſchen dem Staate und den Religions-
Gesellſchaften unter gleichem Rechte für alle Be-
kenntnisse. 3) Förderung der Volswohlfahrt auf
Grund der beſtehenden Geſellſchaftsoronung. Bei
voller Wahrung der Gleichberechtigung, der Selbſt-
thätigkeit und des freien Vereinigungswesens der
arbeitenden Klassen, Eintreten für alle auf Hebung
derſelben zielenden Beſtrebungen. Bekämpfung auch
des Staatsſozialismus, sowie der auf Bevormun-
dung und Feſſelung des Erwerbs- und Verkehrs-
lebens, der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit gerich-
teten Maßregeln. 4) Im Steuerſyſtem Gerechtig-
keit und Schonung der Volkskraft; Entlaſtung der
nothwendigen Lebensbedürfniſſe; keine Zoll- und
VWirthschaftspolitik im Dktenſte von Sonderinteresſen ;
keine Monopole; Gesetzgebung und wirksame Aufsicht
des Reiches im Eisenbahnwesen. 5) Erhaltung der
vollen Wehrkraft des Volkes; volle Durchführung
der allgemeinen Dienstpflicht bei möglichſter Abkür-
zung der Dienstzeit; Feſtſtellung der Friedensprä-
ſenzſtärke innerhalb jeder Legislaturperiode. Dies
alles zur Befestigung der nationalen Einigung
Deutſchlands, in Treue gegen den Kaiſer und auf
dem verfaſſungsmäßigen Boden des Bundesstaates.



| Zimmer der Gräsin und saß manchen Abend in |

heiterm Geplauder mit dem Ehepaar.

Sv kam der Weihnachtsabend heran, dem die
Kinder nicht mit größerer Spannung entgegen
sahen als die Erwachsenen ; die Kinder hofften auf
Erfüllung ihrer geheimen und lauten Wünſche
und die Eltern harrten mit Spannung des Tages,
der ihnen den langentbehrten Sohn wiedergeben
ſollte. Seit vierzehn Tagen hatte man den jungen
Grafen halb und halb erwartet, endlich hatte er
sein Eintreffen bestimmt auf den Morgen des vier-
undzwanzigsten zugesagt. Am Morgen erschien ſtatt
seiner ein Brief der in wenigen flüchtigen Worten
mittheilte, unaufschiebbarer Geschäfte wegen mtiſſe
er seine Reiſe noch um zwölf Stunden ausschieben,
doch werde er jedenfalls am Abend zur Beſcheerung
eintreffen. Der Graf runzelte die Stirn und gab
Befehl, daß ein zweites Gespann mit einem andern
Kutscher zum Nachmittagszuge auf die Eisenbahn-
ſtation geschickt werden ſollte, die Gräfin bejammerte
die rückſichtsloſe Härte des Gesandten, der doch
einen andern Herrn der Geſandtſchaft mit der
Arbeit hätte beauftragen können, der Graf zuckte
die Achseln und versetzte: „Mache dich darauf ge-
faßt, liebe Ulrike, noch einen Weihnachtsabend ohne
deinen Sohn zu verleben. Ich glaube nicht, daß
Eberhard mit dem Nachmittagszuge kommen wird!
Die Gräfin proteſtirte lebhaft, allein der Gatte
ſollte Recht behalten: Kutscher und Pferde kehrten
müde und durchfroren heim, ſie brachten einen leeren
Wagen ii. ihm nur nichts zugestoßen iſt!“ klagte
die Mutter händeringend. „Wenn er nur nicht
irgendwo krank liegt !“

188%
Deutſches Reich. s
Berlin, 8, März. Der Kaiser, welcher sich im

besten Wohlsein befindet, wird in den allernächſten

Die Feier des Kaisergeburtstages wird ſich bezüglich

des Empfangs u. s. w. ganz wie in den frühen
Jahren vollziehen. Die mit großer Beſtimmthiet.
verbreitete Nachricht von einer unmittelbar bevnee.
stehenden Ankunft des Fürsten Bismarck in Berlln.
beruht wieder auf Vermuthungen, die sich als falſche_
erweisen dürften, da man in wohlunterrichteten Kein.
ſen verſichert, der Fürſt habe beztiglich seiner AG.
reiſe von Friedrichsruh noch gar keinen beſtimmen
Entschluß zu erkennen gegeben. ..

Berlin, 8. März. Die Eröffnung des Reichs..
tags im Weißen Saale vollzog sch fo.
einfach und formlos wie möglich. Die Thronrede
wurde trotz der ſchwunghaften Schlußſäte über den.
Frieden mit tiefem Schweigen angehört. Im Publine.
kum haben dieſe Sätze die lebhafteſte Zuſtimmumg
hervorgerufen. Ueber die angekündigten Vorlagen

ſind die Meinungen nach wie vor getheilt.

Darmftadt, 8. März. Die zweite Kammer vree.
tagte sich auf unbestimmte Zeit, nachdem sie in de
heutigen Nachmittagssitung die Gesetvorlage, bee.
treffend die Erbſchafts- und Schenkungsſteuer, an

genommen.



Gegenüber den Gerüchten über Erwerbung de
Hesſiſchen Ludwigsbahn durch Preußen erfährt den.
„Nat. Ztg.", daß gelegentlich der Enthüllungsfeer
des Niederwald-Denkmals der Großherzog von Heſen.
dem Minister Maybach persönlich erklärte, das, wuam
die andern Staaten ihre Eiſenbahnen an das Rich
abtreten sollten, er sich einer solchen Abtretung an
ſchließen würde, daß er aber nicht geneigt sei, eenm
Uebergang der in Heſſen beſindlichen Eiſenbahnen
an Preußen allein zuzulaſſen. Soviel bekannt, haba
seitdem die Verhandlungen vollſtändig geruht, um.
ſomehr, als ein Druck gegen die von Heſſen einge.
nommene Stellung nach den an den höchſten Stellan
ovbwaltenden Intentionen vollſtändig ausgeſchloſen.
iſt. Die Verantwortung dieser Nachricht überlaſeen.

1vir der „KNat.:ßtg.



rauf, er iſt gar nicht abgereiſt!“ .
Es wurde ein trübes Weihnachtsfeſt, das sſelblkt.

von dem Jubel der beiden kleinen Mädchen niet.

recht aufgehelltt werden konnte. Der Graf ſah

finſter, die Gräfin verweint aus, und auch Viktorine .
konnte das Gefühl einer großen Enttäuſchung t : :

los werden. Am qglùcklichſten war die

Amelie, sie hatte die heißersehnte blondgelolte.
Wachspuppe bekommen, von deren Engelſchónhit.
Das Wunderkind konte.
prachtvolle himmelblaue Augen auſfschlagena un.
durch einen besondern Druckapparat auf den Magen.
Töne ausstoßen, die von den Verkäufern für Plan

sie ſeit Wochen träumte.

und Mama ausgegeben und von den Kindern
auch dafür angenommen wurde.

Der erste Feiertag verſtrich. der zweite folgte . .
ihm und keine Kunde von dem verlorenen Sohn des

Hauſes ! Die Gräfin verhehlte ihre Thränen nicht
mehr, und auch der Graf wurde von ihrer Unruhe
angesteckt, endlich am frühen Morgen des folgenden
Tages hielt ein Bauernwägelchen auf dem Hof,
eine ſchlanke Jünglingsgesſtalt stieg aus und einige
Koffer und sonstige Reiſcesfekten wurden abgeladen,
ehe die ſchlaftrunkene Dienerſchaft auf die Beine
kam. Viktorine, die sich, seit ſie Erzieherin war,
ein ziemlich frühes Aufstehen angewöhnt hatte, trat
mit dem brennenden Licht in der Hand in den
Korridor, um den Diener zu rufen. Doch sie kam
zu spät, der Ankömmling stand bereits vor ih.

„Iſt mein Zimmer geheizt?“ fragte er in ziean



lich unwirſchem Ton. ; t
_ YViktorine war eine reſpektvollere Behandlur



Tagen das Präsidium des Reichstages empfangen.



Tinfinn 1-7 brummte der Graf ärgerlich. , Dann G
würde er telegraphiert haben. Verlaſſe dich, de.



 
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