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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

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No. 101 - No. 126 (1. Mai - 31. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44124#0483

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E d e f f t I IN TEE UN. Mee;
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täriſche Geſellſchaft“.



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bezogen viertelj. 1 RUk. 40 Pfg.

Expedition Brunnengafſe 24.

hjeidelberger Tageblatt

Yeraniworlliher Redakteur Philipp Klausner.

Anzeigen: die 1-ſpaltige Petit-
zeile oder deren Raum 5 Pfg.,
für auswärts 10 Pfg.

Rabattbewilligung.

Heidelberger General-Anzeiger.

Expedition Brunnengaſſe 24.



M 115.

Der Hochverrathsprozeß in Leipzig.

Seit einigen Tagen ſpielt sich in Leipzig eine
Prozeßverhandlung wegen Landesverrath ab, die
überall das größte Aufsehen erregt. Angeklagt sind
1. der polnische Dichter und Schriftsteller K r a 8-
zeew sk i, der sich ſeit dem Ausbruch des polniſchen
Aufstandes in Dresden niedergelassen hatte, und 2. der
ehemalige preußiſche Hauptmann Hentſch, welcher
fich seit ſeiner Pensionirung in mißlichen Vermögens-
verhältniſſen befand. Durch Vermittlung eines
Literaten Namens Adler, wurde Hentsch mit Kras-
zewski bekannt und benützte seine frühere gesellſchaft-
liche Stellung, um fich in den Beſit von militärischen
Aktenstücken zu setzen, deren Geheimhaltung anderen
Regierungen gegenüber, für das Wohl des deutschen
Reiches geboten war. Die Angeklagten werden be-
schuldigt, zu den Regierungen von Frankreich und
Rußland landesverrätherische Beziehungen unterhalten
zu haben. Hentsch ſtand im Solde von Kraszewski
und lieferte für die französische Regierung einen
Plan über den Aufmarsch resp. Eisenbahntransport
der deutschen Armee nach der Westgrenze. Bei der
gestrigen Prozeßverhandlung wurde ein Schreiben
des deutschen Reichskanzlers an den preußiſchen

Kriegsminiſter verlesen, welches die größte Sensation

hervorrief und die Grundlage des Prozeſſes in das

ſrcärfste Licht gerückt wird. Daſſelbe lautet:

„Euer Excellenz! In Bezug auf den Fall Kras-
zewski beehre ich mich, Euer Ercellenz folgende Mit-
theilung zu machen : In Paris beſteht seit 1864

eine Geſsellſchaft unter dem Namen „Polniſth-mili- | .
Dieſelbe zählt 30 Mitglieder

und verfolgt folgende Zwecke: 1) Gine Statistik
über die Stärke der europäiſchen Heere zu führen;
2) eine Verbindung zwischen den Officieren polni-
scher Nationalität anzubahnen, welche im deutschen,
ruſſiſchen und öſterreichiſchen Militärdienste sich be-
finden und Sorge zu tragen, daß unter den Mit-
gliedern dieser Verbindung die Idee der Wiederher-
stellung der Unabhängigkeit Polens propagirt werde;
3) bei allen wichtigen europäischen Kriegsereignissen

werkthätig einzugreifen. Die Geſsellſchaft hat bereits

fs Wem

Die Frankenburg.

Roman von Marie Romany.



(32. Fortſetzung.)

Plötlich hörte sie im anstoßenden Gemache ein
Geräuſch. In der Meinung, die Gräfin sei es und
werde jetzt erscheinen, ſchlug sie das Heft, welches
ſie in der Hand hielt, zuſammen und stellte es an
seinen vorherigen Platz zurück. Jedoch Clothilde
kam nicht; der Ton verhallte und die Thüre blieb
verſchloſſen, Niemand ließ sich sehen.

Als das Mädchen nun im Begriff war, das
Buch wieder zu nehmen, um zu lesen, fiel ihr der
prächtige Einband in die Augen, den sie vorher

nicht beachtet hatte; es war eine Faſſung von Maro-

quin, mit einer Guirlande aus Silberblumen ver-

ſehen, in deren Mitte, ebenfalls in Silber aufge-

legt, der Name prangte : Clothilde von Sternenberg.
von Sternenberg!

Wie begeistert ruhte Elſa's Blick auf diesen
Zeichen; als gälte es ein liebes Wesen, so ſchwär-
meriſch glitten die Silben wieder und beseligender
über ihren Mund. Sie hatte ihn ja ſchon einmal
im Leben gehört, diesen hehren Namen, der ihr ſo
fest, wenn auch momentan im Dunkel der Vergesſſen-
heit verloren, in der Seele ſſan.

von Sternenberg! '§ a

Unverwandt haftete das Auge auf den Zügen
dieſer Schrift; wieder und immer wieder flüſterten

ihre Lippen die ſo traulich klingenden Laute; fie

sann, fie grübelte und vertiefte fich in alle, auch

die entfernteſten Winkel der Erinnerung, bis dann

endlich der Schleier, welchen das zauberreiche Ge-





des, der Erinnerung an die Liebe ihrer Mutter, an

Samfſtag, deu 17. Mi.

wiederholt ihre Thätigkeit entfaltet und zwar 1866
beim Garibaldischen Freicorps 1870 in Frankreich,
1877 im türkiſchen Kriegsdienste rte! Rußland ;
1873 wurden ſämmtliche Mitglieder der Geſellſchaft
von dem Chef des ſtatiſticchen Bureaus des Kriegs-
ministeriums, Oberſt Samuel, zu Spiondiensten be-
nutzt, um die Verbindung der deutſchen, ruſſiſchen
und öſterreichiſchen Officiere polniſcher Nationalität
herzustellen; 1877 wurde das Bureau aufgelöſt,
und Gambetta beauftragte einen gewiſſen Wolowski,
ein Nachrichtenbureau zu gründen, um Mittheilungen
über die deutſche, ruſſiſche und italienische Armee zu
erhalten. Der Mittelpunkt dieses Bureaus war in
Dresden. Kraszewski übernahm es, diesbezügliche
Arbeiten entgegenzunehmen und zu honoriren. Bei
seiner Anwesenheit in Paſſy verkehrte Kraszewski
mit dem dort weilenden Samuel und wurde dem
Minister Ferry vorgeſtellt, welcher Kraszewski eine
französische Decoration versprach. Als die Nachricht
der Verhaftung Kraszewski's in Paris bekannt wurde,
ließ General Thibaudin beim Baron Erlanger eine



Hausſuchung halten, weil dieser im Verdachte stand,

deutscher Agent zu sein. Um aber dies zu ver-
decken, gab man vor, es handle sich um die Affaire
der Union Générale, Gambetta bestellte auch in
der Person eines Bruders Wolowskis einen Agenten
in Wien, welcher ihm militäriſche Mittheilungen zu-
kommen lassen sollte. Gez. v. Bismarck.“

Sehr bezeichnend iſt auch, was der Kölnischen
Zeitung heute aus Berlin über den fraglichen Proceß
geſchrieben wird.. Es heißt dort: ;

„Der Landesverrathsprozeß Kraszewski - Hentſch
beschäftigt die hiesigen militäriſchen Kreiſe auf's
lebhafteſte. Der frühere Hauptmann Hentſch war
auch als Mitarbeiter bei einigen der bedeutendsten
deutschen Militärzeitſchriften thätig und pflegte als
beſondere Spezialität das Gebiet der militär-techni-
schen Erfindungen. Anfänglich wurde vielfach ver-
sucht, die ganze Angelegenheit als eine ziemlich
harmlose darzuſtellen, und zwar unter den Gesichts-
punkten, als ob Kraszewski lediglich für seine lite-
rariſchen Zwecke Hentſch benutßt und lettterer ſeine
Mittheilungen lediglich auf legalen Wegen gesammelt

heimniß ihrem Geiſte v.rhüllte, abfiel und sie in
der Wirklichkeit den Faden des Ereignisses wieder-
fand. Zurück in die Vergangenheit flohen ihre Ge-
danken, weg über alles Elend, allen Jammer, denen
sie eine Reihe von Jahren ausgesetzt war; hinüber
über alle Sorge, die sie niederdrückte, weg über
alle Schmach, unter der sie bei Madeleine lange
Jahre geseufzt. Fort eilten sie, über die Orte der
Schweiz und Italiens, in denen sie die elendeſte
Mißhandlung durch Jahre getragen, bis sie an
einem stillen Platze ankamen, an jenem einfachen,
kleinen Dorfe an der Küste des Meeres, wo ihre

friedliche Heimath gewesen war, wo die Hütte ge-
standen, die sie ihr trautes Vaterhaus nannte, wo

Bella noch die fröhliche, die heitere Gespielin ihrer
Kindheit war; wo ihr eine Mutter gelebt, so fromm
und treu, wie kein zweites Mutterherz mehr auf
Erden, die für ihre Kinder gesorgt und gelitten, die
für ſie gearbeitet, geduldet und endlich der Laſt
ihrer Leiden erlegen war. ;

Ja, da war es gewesen, da hatte sie den Namen
gehört; sie ſelbſt hatte ihn getragen, ihre Mutter,
ihre Schwester hatte man bei diesem Namen ge-
nannt Deutlich, wie auf jenem Buch dem Auge,
lagen jetzt die Zeichen ihrem Geiste offen: es war
der Name ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihr eigener,
der seit vielen Jahren in Vergeſſenheit gerathene
Name von Sternenberg. Ihr ohnehin trauriges
Gemüth wurde vollends weich und zur Wehmuth
gestimmt ; glänzende Zähren drängten sich mit Macht
in ihre Wimper; vergeſſen ihrer ſelbſt, vergeſſen des
Orts, an dem ſie weilte, glitt der Kopf in ihre
Hände und sie weinte heiße Thränen, tiefsten Lei-



habe. Es kann aber + ohne der Entscheidung des

Reichsgerichts irgendwie vorgreifen zu wolle... :
nunmehr schwerlich Zweifel darüber bestehen, disk.. .

beide Angeklagte ſich der Sträflichkeit ihrer Hand-
lungen bewußt waren, wobei ſelbſtredend den An-
geklagten Hentſch als ehemaligen Offizier eine un-

gleich größere Schuld trifft, als den Polen Knsn

zewski. Sicherlich iſt ja jeder Staat darauf bedacht,
ſich über die inneren militärischen Angelegenheiten
der Nachbarstaaten zu unterrichten, aber merkwürdiger-
weise sind es bis jetzt immer Rußland und Frankreich

geweſen, deren große Fürsorge für uns m

Beziehung amtlich festgeſtellt werden mußte, während
troß allen Geſchreies in beiden Ländern über die
deutsche Spionage auch noch nicht in einem einzigen
Falle der wirkliche Nachweis eines von Deutschland

inspirirten Landesverrathsverſuchs geliefert werdſen.

konnte !“



Deutſches Reich.

Karlsruhe, 14. Mai. Die Zweite Kmmer.

hofft, mit ihren sämmtlichen Arbeiten bis Pfingsten

zu Ende zu kommen. Da aber ſelbſtverſtändlich de.

geſetzgeberiſchen Arbeiten nicht gleichzeitig auch in
der Erſten Kammer erledigt werden können, so wird
ein nochmaliger Zuſammentritt der Zweiten Kammer
nach Pfingsten nothwendig. Die Geschäfte der Ersten
Kammer hatten ohnehin eine Unterbrechung zu er-

leiden, weil 5 Mitgliedern des Hauſes zugleich Mit-

gliedern des Reichstag sind.

Karlsruhe, 14. Mai. Der vom Abg. Friedrich
ausgearbeitete Bericht über das Einkommenſteuerge-
set iſt heute vertheilt worden. Daſſelbe iſt mit ver-
schiedenen Aenderungen angenommen. Was die finan-
zielle Tragweite der von der Kommission vorge-
ſchlagenen Aenderungen des Entwurfs anbelangt,
so wird 1) der Antrag auf Befreiung sämmmtlicher
Steuerkapitalien des persönlichen Verdienstes von
der Erwerbſteuer eine ſehr erhebliche Minderung des
Steuerertrages, 2) auch der Antrag, diejenigen Reichs-
ausländer, welche nicht des Erwerbs wegen ihren
Wohnsit in Baden haben, nur bezüglich ihrer aus
reichsinländiſchen Quellen fließenden Einkommenbe-

A
das längst entſchwundene Glück ihrer Kindheit, ge-
weiht. Immer reichlicher floſſen die Thränen, immer
heftiger wogte es in ihrer Bruſt; ergoß sich doch
in dieſe Zähren all das Wehe, das seit dem vorigen
Tage schon ihr Inneres erfüllt, weinte sie doch in
dieſen Perlen den ganzen Schmerz ihrer einſamen
Verlasſsenheit aus! | ;

In der Hingabe an ihre Wehmuth hatte ſen.

nicht einmal vernommen, daß die Gräfin in den

Saal getreten war und eine c .
Betrachtung an ihrer Seite ſtand; erſt dann, le.
Clothilde mit der Hand ihre Schulter berühre uw.

in einem Tone großer Befremdung die Frage ſtellte,

warum sie weine, fuhr sie in die Höhe und sſtammellee.

verlegen ein paar unzuſammenhängende Worte der
Entschuldigung. w , ;

Ich würde viel darum geben, die Ursache ihres
Kummers zu erfahren, meinte die Dame in einem
Tone, der einen ſeltenen Abstand gegen die hoch-
mäthige t hes Fs Auftretens bildete.
Gr Lr erwiderte it N um k
hüt... .. Das heißt, Sie wollen mir Ihr Ge-

heimniß verschweigen, unterbrach sie Clothilde; dam
alſo laſſen Sie uns an die Auseinanderſesunn der..

von mir gewünschten Arbeiten gehen.

Elſa gehorchte. Sie trocknete die Augen und. :
Dame aufmerkſam. Sie verſteeen.
doch, Schleifen und Bänder nach der Mode zu .

zeigte ſich der

ordnen? fragtr diese wieder. Elſa bejahte.

So kommen Sie alſo. Vor allen Dingen, wie '
heißen Sie ? Elsa's blaſſes Antliß übergoß ſichmit.

Purpurgluth; diese Frage schien die ganze Wucht
ihrer Gefühle von Neuem heraufzu i



.




 
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