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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

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No. 127 - No. 149 (1. Juni - 29. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44124#0583

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Expedition Brunnengasſe 24.

'Perantworllicher Redakteur Philipp Klansner.

Anzeigen: die 1-spaltige
zeile oder deren Raum 5

Heidelberger General-Anzeiger.

tbewilli

Expedition Brunnengafſe 24.



139.

Mittwoch, den 18. Inni



Das neue Rekrutirungsgeſeh in Fraukreith.
Am 24. Mai nahm die französſiſche Deputirten-
kammer diese Frage, welche die Diensſtbefreiung im

' Frieden feststellen ſoll, auf, welcher für die Zuſammen-

seßzung und die militärische Leiſtungsfähigkeit des

. - ganzen Heeres eine ausſchlaggebende Bedeutung zu-

erkannt werden muß. Bestimmt ja doch die Höhe
des Contingents, welches jährlich in die Reihen der
aktiven Armee eingestellt wird, die bei der Mobil-
machung aufzubringende Geſammtziffer; richtet sich
ja doch nach der Dienstdauer, welches dasselbe unter
den Fahnen verbringt, der Grad, bis zu welchem
einestheils die technifcbe Schulung, anderntheils die
Anerziehung des militärischen Geistes gefördert wer-
den kann. Ja, in letzter Linie liegt in der Ent-
scheidung, welche die Kammer treffen wird, größten-
theils die Antwort auf die Frage, was wir bei
einem ernsten, nur mit Waffengewalt zu löſenden
Konflikte von Frankreich zu erwarten haben werden.

_ Sagt man sich doch in Frankreich ſelbſt, daß das
Schlußvotum des Parlaments darüber entscheiden

wird, ob die militäriſche Gesetzgebung bleiben soll,
wie sie seit 12 Jahren iſt, d. h. zweckmäßig im
Großen und Ganzen, aber fehlerhaft in manchen
höchwichtigen Theilen, oder ob. fie eine Umgeſtal-
| tung erfährt, ſo daß der ganze Aufbau auf einer
festeren Grundlage ruht.

Die Discussion in der franzöſiſchen Kammer
wird ſich auf folgende vier Hauptfragen zu ersſtrecken
haben: 1) Auf die Verkürzung der aktiven Dienst-
zeit; 2) die Streichung aller Dienstbefreiung im
Frieden, die nicht aus Rückficht auf das Gemeinwohl
und auf die Unterstützung hilfsbedürftiger Familien
;;)! zssrint. t ou Fr
lonialarmee. ;

. Die Reduzirung der aktiven Dienstzeit erſcheint
in Frankreich geboten, weil es nicht möglich wird,
selbst bei einem Ordinarium von nahezu 600 Mill.
Francs. das gesammte Contingent an Diensttaug-
lichen und nicht durch Familienrückfichten Unab-




Die Prophezeiung der Zigeunerin.

Hiſtoriſche-Erzählung von E. D.



(2. Fortſezung!)

Wie hatte er aufgejauchzt, wie hatten die Kame-
raden mit Neid auf ihn geblickt, dem so ungesucht
und unverlangt das Wichtigste geworden war, was
die damalige Welt zum Gelingen einer Laufbahn
forderte: die Protection eines Mächtigen.

Und nun ~ Fürſt Kaunitz schien ihn vergeſſen
zu haben + er war dreißig Jahre alt geworden
und noch immer war Lieutenant Kleber Lieutenant
geblieben, er, der einzige Bürgerliche in einem Re-
gimente, in welchem zu dienen die Söhne der ersten
Adelsfamilien mit Eifer suchten, denn es hieß dem
Fürſten eine Devotion beweisen, wenn man den Ein-
tritt in ſein Regiment als hohe Ehre erbat.

: Zweites Kapitel.
Die Worte der Zigeunerin hallten ihm noch in

i j der Seele, während er durch die mondhellen Gassen
ſcritt; aber es waren keine freundlichen Bilder,
eelche diese verheißenden Worte wachgerufen ; bittere

danken, Erinnerungen an ihm wiederfahrene Zu-
rücksezung, an beabsichtigte Kränkungen, welche ihm
imKreiſe adeliger Kameraden geworden, legten einen
finſterern Schatten auf seine Seele, finsterer als die
Schatten der Nacht, welche alf der Stadt lagen.
Eine Thurmuhr ſchlug dröhnend die Stunde

über ihm; er zählte langſam die Schläge der zwölf-

ten Stunde und erinnerte sich, daß nur noch wenige
Sekunden fehlten, dann würde das Jahr vollendet

keine Zufriedenheit zurückließ und keine Hoffnungen |

ben, ihm ein mühevolles, nutzloſes Jahr, das

1884



Heere einzuverleiben. Selbſt bei Anwendung einer
außerordentlichen Generoſität in Bezug auf Dienst-
befreiung im Frieden aus allen möglichen Gründen
war es nicht angängig, fünf Jahrgänge à rund
150000 Mann, worunter noch 6000 Einjährig-
Freiwillige, auf die normale Zeit, d. h. 5 Jahre
unter den Fahnen zu erhalten. Es wurde vielmehr
eine Theilung in eine premiére und eine deuxieéme
portion erſtere im Durchschnitt 90 000, letztere
49 000 Köpfe umfassend + erforderlich. Da erſtere
in der Praxis 40, lettere nur 6-10 Monate
dienten, ſo war und ist damit eine Homogenität des
mobilen Heeres von vornherein ausgeschloſſen, um
ſo mehr, als man, da die Dienstbefreiungen im
Kriege wegfallen, die im Frieden Dispensirten und
oft nur 22-08 Wochen Geschulten einzuſtellen ge-
dachte. Bei den Anforderungen, welche die moderne
Kriegführung an die Ausbildung des Mannes ſtellt,
konnte bei dieser Theilung an vollständig durchge-
bildetem und wirklich in militäriſchem Geiste er-
zogenen Personal nur auf 9 Jahresklassen erſter
Categorie ~ 5 Contingente aktiv, 4 der Reserve
. für das Feldheer gerechnet werden. Die bleiben-
den Lücken bis zur Füllung des Kriegsetats mußten
durch Leute der deuxième gortion oder gar durch
solche der Territorialarmee geſchloſſen werden.

Der neue Gesetzentwurf strebt, indem er die
Dienstdauer auf 3 Jahre reducirt, eine durchaus
gleichmäßige Ausbildung des gesammten Jahres-
contingents an. Soll die budgetäre Ziffer der jetzt
bestehenden Friedenspräsenz beibehalten werden, so
würde sich bei einer nominellen Dienstdauer von 3
Jahren, die sich faktiſch auf 33 Monate redueirt,
zunächſt nur die Frage ergeben: „Wie stark kann |
man die jährliche Aushebungsklaſſe halten und iſt
sie in diesem Umfange ausreichend, die Gesammt-
kraft der abkömmlichen Wehrfähigen jedes Jahres
aufzunehmen und auf 3 Jahre dem aktiven Heere
zu incorporiren?“ Man hätte dann, gering ver-
anſchlagt, 3 Mal 166 000 Mann gleich 498 000,
wozu die Gensdarmerie, die Sappeurs-Pompiers,
die Offiziere und der sogenannte permanente Stamm
an Reengagirten und Unteroffizieren mit ca. 93 000







dem nächstfolgenden entgegentrug - keine Hoffnun-
en? keine? Unwillkürlich mußte er lächeln, als er
ch das fragte, denn es war eine Stimme in seinem
Herzen, die dagegen ſprach ; es gab noch einen Punkt
wo er hoffte, hoffte mit der glühenden Kraft einer
unbefriedigten Männerseele.
Er hatte seine Schritte gegen seine einſame
Wohnung gewendet; aber bei dem Gedanken an
diese Hoffnung, welche er hegte, wandte er sich wie-
der um, sein Gang war elaſtiſcher geworden, und
indem er jezt um eine Ecke bog, ſah er in geringer
Entfernung vor sich die mit Pechpfannen glühend
roth erleuchtete Facade eines stattlichen Hauſes, ſah
er in die weit geöffnete helle Flur Gäſte eintreten,
die Offiziere seines Regiments, Damen im glänzend-
ſten Putze, ihren Sänften oder Carossen entſteigend.
Es war das Haus des Barons von Tornaco, des
reichſten Luxemburger Edelmannes, der dem ſchei-
denden Jahre zu Ehren ein glänzendes Fest gab.
Auch Lieutenant Kleber hatte eine Einladung
c §. t Ct uh ue ER
denn es war eine Demüthigung vorgefallen, deren
Ziel der als gaſtfrei bekannte Baron Tornaco war.
Die Offiziere von Kaunit waren bei dem Ba-
ron zu Tiſch geweſen und fanden fich beleidigt, daß
die Tafel ihrer Meinung nach mit weit weniger
Aufmerksamkeit bedient gewesen ſei, als die der Offi-
ziere des andern mit ihnen rivalifirenden Regiments
Vierſet bedient waren, ja mit einer anffallenden
Gleichgültigkeit und Kargheit, welche man bei des
Barons Festen ſonſt nicht gewohnt war. '
Allerdings war die Zahl Derer nur klein ge-

!1

.





rung des Festes, ein frecher Schelmenſtreich.

TTT.

Köpfen zu addiren wären. Daraus reſultirte aber
ein Ueberſchuß von circa 70000 Mann über de.
budgetäre Friedenspräsenzziffer. Der Schluß, ds
man also entweder die Summe der Friedenzpräſen.
erhöhen oder eine Theilung des Jahrescontingente.
in erſte und zweite Portion beizubehalten sich ene.
ſchließen muß, daß man einen Ausweg darin ſuche.
eine Anzahl gutgeschulter Leute ſchon nah dem
zweiten Dienstjahre zu entlassen. v

Die ganze Maßregel führt demzufolge nicht ſon
wohl zu einer Vermehrung der Quantität des Friee..
densheeres, wohl aber zu einer Verbeſerung de
Qualität des für den Krieg verwendbaren Contin..
gents, insofern ein großer Theil der Armee längere
im Dienst gewesen ist und demzufolge eine beſſeree..
Ausbildung genoſſen hat. Für die franzöſiſhenV
Finanzwirthſchaft iſt aber der neue Entwurf vm
so einschneidender Bedeutung, daß heftige Käme.
in dem geſetgebenden Körper nicht ausbleiben wer.
den. Aber auch, wenn der neue Gesetzentwurf ge.
nehmigt ist, wird es dem stark verſchuldeten Franke..
reich schwer genug fallen, die neue Laſt zu den alten
Lasten zu tragen. ;1

Deutſches Reich.

Karlsruhe, 15. Juni. Die Mehrzahl der Alle.
geordneten ist bereits in ihre Heimat abgereiſt. Bien
dem gestrigen Diner im Reſsidenzſchloſſe wurden si
noch durch die ganz besondere Huld und Lieben
würdigkeit des Großherzogs erfreut, der ſeiner G
nugthuung über den’ Verlauf des Landtags die.
wärmsten Worte lieh. Nicht immer ſind die ban.
Landtage auch nach den großen Verfaſſungskämpfen
der dreißiger Jahre in ſo harmonischer Weise ge:
ſchloſſen worden, und daß dies gerade in einer
Zeit geſchehen konnte, in der doch so viele Kime
der Zwietracht noch in der Luft liegen und außen.
halb der Kammern förmlich gepflegt werden, in.
kein übles Zeichen für die ausgleichende Kraft.
des parlamentariſchen Lebens und für die Geſundhetn.
unseres Volksgeisſtes. ,
Berlin, 16. Juni. (Deutscher Reichstag.) Zweie.
Berathung des Unfallversicherungs-Gesetzes. Kräcken.











geladenen Öffiziere widerſtritt dieser Ansicht, ohne..
daß jedoch die Einſichtigen die Händelſuchenden ene.
Beſſeren belehren konnten. ss

Nun war eine Unart vertibt worden, und d'en
unbekannt gebliebenen Urheber derſelben hatten dn
Geburtstag des Barons dazu gewählt, einn Tt).
welchen dieser festlich im Familten- und einem auen.
gedehnten Freundeskreiſe zu begehen pflegte. Mm
hatte anonym im Vorzimmer als Geſchenk für dn
Baron eine Paſtete abgegeben, nach der Mode de
Zeit kunstvoll verziert und decorirt. Seidenen Schlien.
fen, welche daran flatterten in den Farben des.

Wappens der Tornaco, waren auf den Tag bezige.

liche Sinnsprüche aufgedruckt, an der Vordersſeiiee.
befand sich der vergoldete Namenszug des Gefeien.
ten; eine Blumenguirlande umgab das prächtiize.
Schauſtück, welches zwei Diener mit vielſagennn.
Mienen hereintrugen. | 41

Der Baron freute sich des anonymen Geschenke.
Er hatte die Schwachheit, als der vermögendſte um.
einflußreichſte Mann der Stadt seinen ute. ales.
einen auch für diese bedeutſamen angesehen zu wîünn.
schen, und er glaubte, dieses Geschenk könne im
von irgend einer der städtischen Zünfte, als deen.
Schützer er sich gerne gerirte, gesandt worden sein.

Man ſette die prächtige Paſtete auf die Tafel.
Der ganze Kreis der Gäſte war aufgeſtande, uw
näher getreten; man hob den mit dem Wappen
der Tarnaco verzierten Deckel ab und + ein tote.
Hund lag darinnen. Das war eine häßliche Sto



„Die Offiziere von Kaunit, haben das gethan !“ .
raunte man sich zu. j ;
 
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