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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1884

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No. 77 - No. 100 (1. April - 30. April)
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_ OWondon, 23. April. Einer Standardmeldung
_ aus Kairo zufolge weigert sich Nubar Paſcha be-
stimmt, im Amte zu bleiben, wenn nicht Berber so-

fort Hilfe erhalte. Wood treffe deshalb cilige Vor-
bereitungen zur Absendung von Truppen, die in
dieser Woche aufbrechen, falls nicht die engliſche
Regierung das Gegentheil anordne. + Daily Tele-
graph meldet aus Kairo von geſtern das Gerücht,

f : daß Berber bereits gefallen sei.

London, 22. April. Die allgemeine Geschäfts-
lage in England iſt traurig. Faſt alle Induſtrie-
zweige liegen darnieder und Tauſende von Arbeitern
ſind ohne Beschäftigung. Am meisten leiden wohl
_ die Schiffsbauer, von denen in Nord- und South-
_ Stdthields etwa 15,000, am Tyne 10,000 und in

_ Sunderland eine gleiche Anzahl ohne Beschäftigung
ſind. Zahlreiche Eiſenwerke stehen ebenfalls still,
und wo noch Arbeit vorhanden ist, suchen die

- f.. Arbeitgeber, den Ueberfluß an unbeschäftigten Ar-

beitern benußend, die Löhne herabzuſeßen. Jn

" Sunderland streiken die Maſchinenbauer seit 10

Monaten, in den Clydesdale Works haben etwa
900 Eisen- und Stahlarbeiter wegen Lohnherab-
ſeßzung ihre Werkstätten verlaſſen, in London streiken
die Schuhmacher, in Newport und Preston die Maurer,
in Nottingham die Weber, kurz, in faſt allen In-
duſtriezweigen sieht es so ſchlecht wie möglich aus.

_ Bei den Kohlhlenbergwerken ſind die Arbeitsverhält-
j niſſe ebenfalls sehr unbefriedigend, da durch das

_ Stillſtehen so vieler Fabriken die Nachfrage nach
Kohlen sehr beschränkt iſt.
Rußland.
Petersburg, 22. April. Die Trauung Con-
ſtantin Constantinowitſch's mit Eliſabeth von Sachsen-

:; Altenburg ist für den 27. d. M. anberaumt. Am
L ,.28. d. M. findet eine Theatervorſtellung statt, für

den 1. Mai iſt eine Gratulationscour in Aussicht
genommen.



Deutſcher Reichstag.
Berlin, 23. April. Der Reichstag, der, wie erinner-

lich, vor der Osterpauſe an Beſchlußunfähigkeit und
Ferienstimmung nach kaum erſt angefangener Arbeit ge-
_ tkrankthatte, beginnt jetzt zur Abwechslung wieder
mit Beſchlußunfähigkeit. Sollte es in den nächſten
_ Sitzungen zu Zählungen kommen, ſo könnte dieser

wenig erhebende Zuſtand leicht wiederholt vorge-
funden werden, da, wie es ſcheint, viele Abgeordnete
in der Berechnung, daß es für das Plenum in der
nächſten Zeit nicht viel Nothwendiges zu thun geben

. werde, sich die Vakanz aus eigener Machtvollkommen-

heit verlängert haben. In der That wird der

. Reichstag, wenn er die Hilfskassennovelle und die

Zündhölzervorlage erledigt und die Pensions- und

. îReliktengesetze in eine Kommission verwiesen haben
_ wird, vorläufig nicht allzuviel Arbeitsſtoff, wenigstens

an Regierungsvorlagen, vor sich haben. Das So-

gzialiſtengeſes wird vor Ende nächster Woche nicht

an das Plenum gelangen können; die Unfallgesetz-

t _ kommission wird noch mehrere Wochen zu thun haben;

die Aktiengeſeßkomm. wird mit ihren Berathungen

_ die er in Geſsellſchaft Udo von Sternenberg's auf
. . Reiſen verbracht. Nun stand er nicht allein ver-
_ aiſt, ſondern auch arm und exiſtenzlos inmitten
_ der Kreiſe von Praſsern, die er nur zu seiner Luſt

und Unterhaltung auf Erden gewähnt. Die Spott-
reden ſolcher sogenannten Freunde ertrug er nicht;
ſo hart es ihn anging, die Heimath zu verlassen,
allen Verkehr mit der ihm lieben Welt für die Folge

. zu entſagen; er floh aus dem Lande. Im fernen
_ Italien hatte er eine Stellung gefunden, abhängig,
untergeordnet, die nach seinem Vorurtheil den Edel-

mann erniedrigt, aber sie gab ihm das Leben. Was
mochte es dem Schicksal gelten, daß ihm das Herz

dabei brach!

Den Druck eines ſolchen Verhältnisses ertrug er

. sechs Jahre lang. Allmählich war der Uebermuth
Her Jugend geſchwunden, das Vorurtheil der hohen

Geburt war dahin, die gute und edle Grundlage
seines Charakters aber hatte sich in den Jahren der
î Trübſal zu glänzender Blüthe entfaltet, Herz und
Sinn waren in der Schule des Lebens gereift.
Alus dem unbedachtſamen Jüngling war ein Mann

_ dvon ſo viel Edelmuth und Größe, von so viel Bie-
_ Hersinn geworden, daß wohl nicht mit Unrecht Mancher,

der ihm augenblicklich an Stellung überlegen, aus
<tung vor ihm den Hut abnahm.

Da traf es sich, daß der Baron von Tondern

ihn einlud, für die Dauer ſeiner alten Tage ihm

ein Freund und Gefährte zu sein. Viktor von

Hohenheim war - - obgleich weit verzweigt + der
einzige Verwandte, welchen das Schickſal dem greiſen
Krieger übrig ließ; er berief ihn zu sich und be-
bediente sich während der Jahre, die er noch auf
_ Erden verbrachte, seiner Pflege, wofür er ihm das





V Us: ' u Sm w C cue

in dieser Session überhaupt schwerlich zu Stande
kommen; auch die Komm. für die Vorlage über den
Feingehalt der Gold- und Silberwaaren hat ihre
Arbeiten kaum erst begonnen. Dagegen wird dem
Reichstag, sofern er Luſt hat zu arbeiten, Zeit blei-
ben, sich mit den Anträgen aus dem Haufe zu be-
ſchäftigen, deren eine ganze Reihe vorliegt: so die
Anträge über die unschuldig Verurtheilten, die Wie-
dereinführung der Berufung in Strafsachen, die
Aufhebung der Bestimmungen über den Kolportage-
buchhandel und die Handlungsreisenden in der vor-
jährigen Gewerbeordnungsnovelle, über die Erweite-
rung der Innungsbestimmungen und Errichtung von
Handwerkerkammern, über eine wirkſamere Börsen-
ſteuer, über Aufhebung des Gesetzes betreffend die
unbefugte Ausübung von Kirchenämtern u. v. a.

Aus Nah und Fern.
* Karlsruhe, 21. April. (Personalveränderungen
im Oberpoſtdirektions-Bezirke Karlsruhe im 1. Vier-



teljahr 1884.) Angenommen ſind: 1) als Poſtan-

wärter: Schweizer, Bezirksfeldwebel in Haßmers-
heim und Baumann, Vizefeldwebel in Weinheim;
2) als Poſtagenten: Fitzer, Hauptlehrer in Legels-
hurſt, Breithaupt, Hauptlehrer in Auenheim und
Nothstein, Billetausgeber in Zuzenhausen. Ernannt
ſind: 1) zu Oberpoſtdirektions- Sekretären : Tele-
graphenſekretär Krüger und Poſtsekretär Mann in
Karlsruhe; 2) zum Öberpoſtſekretär : der Poſtſekretär
Rang in Mannheim; 3) zum Bureauaſsiſtenten:
Poſtaſſiſtent Nißler in Karlsruhe; 4) zu Poſtassi-
ſtenten: die Poſtgehilfen Springer und Schrnepf in
Karlsruhe, Leiſer und Heinefetter in Pforzheim und
Schmitt in Heidelberg, ſowie der Poſtanwärter Güter
in Bühl. Angeſstellt sind: 1) als Poſtſekretäre : die
Poſtpraktikanten König und Okter in Karlsruhe, die
karakteriſirten Poſtſekretäre Schönthaler und Henne-
berger in Karlsruhe, Bock in Bruchsal, Lehmann in
Pforzheim, Ehrmann in Heidelberg und Stecher in
Mannheim; 2) als Poſtaſſiſtent: der Poſtaſſiſtent
Güter in Rastatt; 3) als Telegraphenassiſtenten:
die Poſtaſſiſtenten Beck und Hölscher, die Telegraphen-
aſsiſtenten Throm, Penk, Wehrle und Rudert in
Mannheim. 1

Kehl, 21. April. Eine merkwürdige und schwierige
Arbeit wurde kürzlich von Legelshurſter Zimmer-
leuten vollführt. Dieſelben haben nämlich das dem
Bierbrauer J. Ehrhardt gehörige zweistöckige Wohn-
haus mittelſt Winden und Walzen von ſeiner Stelle
gerückt und gedreht. Während das Haus früher
mit der Gicbelſeite der Straße zugekehrt war, ſteht

| es nunmehr mit der Längsfront der Straße entlang

und zugleich etwas weiter vorn. Zur Vollführung
dieser Arbeit waren nur die Riegelwände des 1.
Stocks herausgeſchlagen, im Uebrigen aber Alles im
alten Zuſtande belassen worden. Nachdem die Arbeit
ſo gut abgelaufen iſt, ſoll demnächſt das ganze Haus
noch um 1!/, Meter in die Höhe gehoben werden,
damit es mit Sockelmauern versehen werden kann.

+ Allerheiligeu, 21. April. (Ausflug in

den Schwarzwald.) Der Straßburger Kegel-
CCC EE

ganze Bermögen, nebſt Beſsißung und Allem, was er
ſein Eigen nannte, verschrieb.

Vier lange Jahre waren nun verstrichen, seitdem
Viktor von Hohenheim auf der Beſitung war; die
unersättlichen Launen des alten Mannes aber, seine
oft kindiſch einfältigen Grillen, denen er mit dem
hartnäckigsten Eigenſinn nachging, machten dem jungen
Edelmann das Leben in dieſem Hauſe nicht im Ent-
fernteſten angenehm. Sein Herz war verwaist, er
der so gefühlvolle, ſo gemüthliche Mann, entbehrte
die Freundſchaft, die Liebe, die auch an diesem Platze
ihm Niemand zu bieten im Stande war. Graf Vik-
tor, mehr denn ein Anderer, bedurfte der Liebe und
Freundſchaft; aber ein Wesen, ihn hierdurch für die
Einsamkeit seiner Tage entschädigt zu halten, fand
ſich an diesem Orte, wie ja auch an dem vorigen
Aufenthalt des jungen Edelmannes nicht vor.

& #
1

Es war zu Ende September und man feierte
den Tag des heiligen Michael durch ein fröhliches

Feſt. Die Stadt Luzern prangte im bunteſten |

Schmucke. Die Häuſer waren beflaggt, Teppiche
und Decken schmückten Balkone und AÄltane, Guir-
landen und Blumenkränze hingen von den Fenſter-
geſimſen und Thüren herab; im Theater gab es
Vorstellungen zu wohlthätigen Zwecken, auch auf
dem Marktplatße waren Schaubuden, Affentheater
und Menagerien in Reihe und Glied aufgeschlagen,
und in allen Konzertgärten und Vergnügungslokalen,

welche außerhalb der Stadt an den Ufern des Sees

gelegen waren, gab es heute Gelegenheit, in bunter
Abwechselung bald hier einer Morgenunterhaltung
zu lauſchen, bald dort sich dem fröhlichen Reigen



klub hatte, wie die „Straßb. Poſt“ berichtet, am

Sonntag seine Mitglieder nach hier entſandt, um
die würzige Frühlings- und Gebirgsluft in vollen

Zügen zu genießen. Statt deſſen traf man hier-

ſelbſt eiſige Gefilde. Der ſonſt so schöne Waſſern

fall war zugefroren. Ungeheure Eiszacken hiengen

von den ſteilen Felſen, über welche sich sonst die

Wassermassen stürzten, hernieder. Fußhoher Schnee
lagerte auf allen Wegen, im Walde, auf den dunk-

len Tannen, und ließ die müden Ausflügler nur /
mit aller Mühe die glatten steilen Steintreppe der

Waſſerfälle finden. Ein Wunder iſt es, daß die

Ausflügler mit heiler Haut davon kamen. Nur
der Findigkeit eines Mitgliedes, eines alten Weine.

mannes von bewährtem Ruf, war es zn danken,

daß man nach verschiedenen Irrwegen und unfrein.
willigen Rutſchpartien mit knurrendem Magen um

naſſen Füßen in dem Gasthofe „Zur Taube“ landete.
+{ Neckarſulm, 21. April. Der auf der hies.

Schiffswerfte für die Schleppſchifffahrt auf dem

Neckar im Bau befindliche Kettendampfer Rr. VL
iſt nach der N.-Ztg. soweit fertig gestellt, daß er in

das Wasser gelaſſen werden kann. Der Stapelauat

findet nächſten Dienstag ſtatt.
]] Frankfurt, 23. April. Gestern Abend er-
schienen in einer Restauration unweit des Römer-

bergs zwei Soldaten mit silbergrauen Bärten. De.

anderen Gästen waren über die ſeltſame Erscheinung

erſtaunt und auf Befragen erzählten sie ihre Leiden.

geſchichte. Im Jahre I1870 waren beide als Land-
wehrleute bei der Belagerung von Metz. Hier ver-
griffen sie sich an einem Unteroffizier und wurden
in Folge deſſen zu 15 Jahren Feſtung verurtheilt.
Vierzehn Jahren haben sie abbüßen müſſen, eins

wurde ihnen geschenkt. Der eine der beiden Solo

daten war aus Stettin. Als er in den Krieg zog, .
verließ er die Frau und sechs Kinder; die Frau iſt
unterdeſſen geſtorben. Der andere, unverheirathet,
war aus Hamburg. Beide waren in hohem Grade
freudig gestimmt, namentlich fühlte sich der Unver-
heirathete glücklich, seine greiſen Eltern wiederzu-
ſehen; ſchwer aber fiel es Erſterem auf's Herz, daß
ihn seine Kinder nicht kennen werden.

S Aus Baden, 22. April. In Meissen-
h eim iſt die Scheuer und Stallung des Altbürger-
r"z§ L OU! TrLveugerezn

und Joh. Meister gehörigen Wohn- und Oekonomie: |

gebäude abgebrannt. ~ Beim Herabſteigen von der
Scheuerleiter blieb der 9-jähtige Sohn des Eugen

Endreß in Worndorf, A. Meßkirch, mit dem Lide |

des rechten Auges an einem Nagel hängen und
ſchlizte sich dabei die Haut vom Lide an bis nach
der Schläfe hin auf. Der Augapfel blieb glücklicher
Weise verſchon. ~ In Altlußheim warf ein

*/, -jähriges Kind einen Kübel mit heißem Wasser |

um und erhielt derartige Brandwunden, daß der
Tod nach einigen Stunden eintrat. ~ Aus Kehl
wird berichtet: Am Freitag Nachmittag trieb ſich
ein ältlicher Mann auf der Rheinbrücke umher, wie
es ſchien in der Absicht, fich in die Fluthen zu

der Tanzenden b.izugesellen oder Auge und Ohr an
dem herzgewinnenden Jodeln einer Tyroler Sänger-
geſellſchaft zu erfreuen. Kurzum, es war ein Volks-
feſt im ganzen Sinne des Wortes; die Götter ſelbſt
schienen ihre Freude an der Glückseligkeit dieser
Leute zu haben, denn die Natur prangte in üppiger
Schöne und das Wetter war so selten ruhig und
heiter, daß nicht das leiseſte Säuſeln des Windes
die Wonne störte, die ſeit geſtern schon über der
Stadt Luzern und deren ganzer Umgebung lag.

Graf Viktor, der unter entsprechenden Verhält-
niſſen wenig Geschmack für derlei Feſtlichkeiten be-
zeugt haben würde, fühlte fich heute veranlaßt, Zer-
ſtreuung in dem bunten Gewoge der Menge zu
ſuchen, zumal der Oheim ſchon seit Wochen ver-
drießlicher war denn je; er übertrug also auf kurze
Stunden deſſen Pflege dem alten Verwalter und
schlenderte langſamen Schrittes dem Städtchen zu,
in der Hoffnung, der Anblick der Freude werde
lt einſamen Dasein eine augenblickliche Wohl-
that sein.

Manche halbe Stunde schon hatte er sich an
dem bunten Durcheinander ergött, als, da er eben
den Rückweg anzutreten meinte, die grauenerregen-
den Bilder an der Vorderseite eines Zeltes, in wel-
chem eine Gesellſchaft von Gauklern und Taschen-
ſpielern ihre Produktionen zum Beſten gab, seine Auf-
merksamkeit auf ſich zogen. Zufälligerweise war ach |
die Stunde, wo die Vorſtellung ihren Anfang nahm, |
denn ein Mann im altdeutschen Rittergewande, mit.
wehenden Federn an seiner blanken Mütze, verkündete
mit lauter Stimme den Beginn des Spiels.

(Fortsetzung folgt.)








 
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