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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 66 (Juni 1911)
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Adler, Joseph: Die vier Toten derFiametta: die Quittung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0080

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Kenner über Kunst belehren zu wollen, wäre
ebenso lächerlich wie unmöglich.

Mit diesen gemischten Geftihlen stehen mir
auch die übrigen Herren Kritiker gegenüber. Sie
biiden sich offenbar ein, sich an mir für den
Sturm gerächt zu haben. Er hat ihnen so um
die Ohren geheult, daß ihnen Hören und Sehen
hätte vergehen können, wenn sie jemals in dein
Besitz dieser Sinnestätigkeiten gewesen wären.
Der Sturm wendet sich auch garnicht gegen sie,
denn man braucht Blinde und Taube nicht erst
blind und taub zu machen. Aber der Sturm soll
die Leser aufrütteln, daß sie von Blinden und
Tauben nicht Sehen und Hören lernen wollen.
Ich will die Geister, die ich nicht rief, schon los
werden. Und wenn ich ihnen mit dem Besen-
stil, aus dem sie entstanden sind, um die Ohren
schlagen muß. Sie werden auch dann meine
Musik noch nicht hören können, aber wenigstens
die Stelle fühlen, an der die bei ihnen so beliebte
Natur das Loch gelassen hat, um sie aufzunehmen.

Die Andern

Da der Ton die Mitsik macht, will ich den
Lesern des Sturms keine Töne vorenthalten. Die
dolose Absicht und die Dummheit ergibt sich
von selbst und ich werde mich mit ganz wenigen
Bemerkungen begnügen können.

Vorwärts: Herwarth Walden, aus dem Konzert-
saal bekannt dadurch, daß er sich auf den Beet-
hoven setzt, und ihn erstickt, wollte nun einen
neuen Musikstil erfinden: Die übergeschnappte
Klavieretude, die charakterisieren soll, aber
hauptsächlich einen wildgewordenen Klavier-
schüler parodiert, der sich an ihr rächt. In
übereinstimmender Weise auf einem Klavier
hinter der Bühne gespielt, bildet sie die Musik
zu der genannten Pantomime. Die Mimiker,
voran Rosa Valetti, spielten so gut, daß man
sie ob ihrer Gebundenheit an solche Unmusik
von Herzen bedauern konnte. sz.

Der Reichsbote: Zu dieser fürchterlichen Hand-
Iung erklang eine ebenso fürchterliche Musik,
die auf einem noch fürchterlicheren Klavier
heruntergepaukt wurde. y.

Herr X. hat sich leider nicht geäußert.

Berliner Morgenpost: Und dazu eine, auf dem
Klavier gespielte Musik, so mißtönig und gequält,
daß ein normal gebildetes Ohr sich mit Entsetzen
und Schrecken von ihr abwenden muß. Der-
gleichen Geräusch kann man wirklich nicht
ertragen. Lg.

Trotzdem ging Herr Hauptmann Lusztig noch
einmal hinein:

Berliner Morgenpost: . . . Mit der „Musik“
von Herwarth Walden kann ich auch nach dieser
ersten Darstellung vor dem Publikum nichts
anderes sagen, als das, was mein gestriger
Bericht über die Generalprobe enthielt: Ein
unerträgliches gequältes Ding, von qualvoller
Wirkung, dessen musikalische Begleitungeinfach
unmöglich ist. Das Publikum tat das klügste,
was es in diesem Falle tun konnte — es nahm
die bitter ernst gemeinten Szenen mit wohl-
wollendem Humor auf und half sich auf diese
Weise über die Peinlichkeiten der Sache selbst
hinweg. Lg.

Die Behauptung über die Aufnahme der Pan-
tomime bei dem Publikum ist subjektiv und ob-
jektiv unwahr. Herr Lusztig hat das Recht, sich
zu blamieren, aber als anständiger Journalist die
Pflicht, über die Aufnahme eines Werkes beim
Publikum die Wahrheit zu berichten, auch wenn
sie ihm nicht flir seine Zwecke paßt. Von diesem

Kritiker konnte der Sturm ja schon wiederholt
recht lustige Dinge berichten.

Norddeutsche Allgemeine Zeitung: .. Musik
von Herwarth Walden. Die denr Theaterzettel
beigegebene Erklärung läßt uns Grausiges er-
warten. Vier Ermordete, die von einem trunkenen
Bettler aus dem Fenster geworfen werden. Und
was bringt die Pantomime zur freudigen Über-
raschung? Eine echte italienische Harlekinade,
voll burlesker Komik, und dazu eine allerliebste
charakterisierende Musik, die manclie harmo-
nische Feinheiten darbietet. M. S.

Die Post: Die etwas blutige Pantomime dürfte
ohne Herwarth Waldens kindlich naive, nach
Effekten haschende Musik eine glücklichere
Wirkung haben. A. v. Kl.

Vossische Zeitung: Herwarth Walden hat diese
grausige Groteske mit einer rohen und seltsamen
Klaviermusik versehen, die in grellen Harmonieen
und rythmischen Zumutungen schwelgt. E. N.

Deutsche Tageszeitung: Zum Ueberfluß ließ
Herr Herwarth Walden eine Musik dazu machett,
von urwüchsig kindlicher Schaurigkeit.... Und
(Offenbachs) Musik ist wie ein Blätterrauschen
und Heeresgeläute gegen das Waldensche Back-
fischgeläute. W. M.

BerlinerVoIkszeitung: ... DieHerwarthWalden
zum Komponisten hat. Zwar wurde hier nur
von einem Klavier, das hinter der Szene stand,
ein unangenehmes Geräusch entlockt. War das
aber überhaupt Musik? — Ich habe es nicht
erhorchen können. Johannes Döbber.

Berliner Börsencourrier: Herwarth Waldens
Musik ... macht sich die realistische Tonschilde-
rung der Vorgänge zur Aufgabe. Erst ganz
charakteristisch gerät diese Musik dann aus der
Tondichtung in eine Art von Geräuschnach-
ahmung oderTonphotographie. Mißverslandener
Rich Strauß. HerrWauer und Fräulein Valetti, die
den krassen Emotionen der Fiametta kräftigen
Ausdruck zu geben sich mühte, setzten sich
ganz für das Werk ein, das aber einer empörten
Gegnerschaft begegnete, deren der eifrige Bei-
fall der Anhänger nicht Herr werden konnte.
Herr Walden wurde gerufen. L.

Ich möchte Herrn Landau nicht gern wehe tun,
denn er ist einer der wenigen anständigen Jour-
nalisten in Berlin, wenn auch sein Kunstgefiihl
nicht iiberwältigt. Hätten Sie, sehr geehrter Herr,
sich die zweite Hälfte meiner Musik noch e i n-
m a 1 angehört, würden Sie statt einer Geräusch-
nachahmung, wie Sie glauben, vermutlich auch
charakteristische Musik gehört haben. Ich habe
nicht Richard Strauß, sondern Sie haben mich
mißverstanden. Lesen Sie bitte im „Sturm“ nach,
was ich über Richard Strauß gesagt habe, dann
werden Sie die Unmöglichkeit eines Mißverständ-
nisses meinerseits einsehen.

Berliner Neueste Nachrichten: . . . Herwarth
Walden gab ihm als Ersatz daftir eine musika-
lische Begleitung. O, hätt’ er das nicht getan!
Hätte er sich aus irgend einem Kientopp einen
Klavierspieler verschrieben, der allabendlich zu
stummen Bildern die Musik macht, und das
Geschäft kennt, dann hätte Fiametta Eindruck
gemacht. . . So aber lachte man, weil die auf-
dringliche Musik, die zu der stillen Kunst der
Bühne in so schroffetn Kontrast stand, die ganze
Stimmung zerriß. HerrWalden muß vieleFreunde
geladen gehabt haben, daß man ihm am Schluß
so stürmische Ovationen bereitete, die dieZischer
nicht aufkommen ließ. J. L.

Ich habe durchaus nicht viele Freunde geladen

„gehabt“. In dem vollständig besetzten Hause
waren höchstens zehn Personen, die ich persönlich
kenne, und von denen zwei meine t'.'unde sind.
Auch ich stelle jetzt einen schroffen Kontrast fest:
Herr L. im Börsencourier behauptet, daß der eifrige
Beifall der Anhänger der empörten Gegnerschaft
nicht Herr werden konnte. Herr J. L. in den
„Neuesten Nachrichten“, daß meine angeblichen
vielen Freunde, durch stürmische Ovationen die
Zischer nicht aufkommen ließen. Nun also, Ihr
meine zwei beiden Iieben Freunde, erklärt mir,
wie Ihr Herren und doch nicht Herrn des ganzen
Hauses werden konntet. Aber vielleicht haben
meine acht anderen Bekannten diese komplizierte
Situation hervorgebracht.

Berliner Börsen-Zeitung: Die zu diesen Vor-
gängen von Herwarth Walden geschriebene
Musik ist so aufdringlich und schwulstig, daß
Sie mit Recht den Beifall seiner im Hause stark
vertretenen, mit Vorliebe ebenso aufdringliche
und schwulstige dramaturgische Feuilletons von
sich gebende Freunde fand. Kp.

Ich habe keine Ahnung, wen Herr Kp. zu
meinen Freunden zählt. Jedenfalls kann ich ihm
versichern, daß ich keine Freunde habe, die
Feuiiletons schreiben, nicht einmal dramaturgische.
Daß es mich aber sehr erfreuen würde, wenn alle
diese zitierten Herren, die einen so aufdringlichen
und schwülstigen Quatsch über meine Musik ge-
schrieben haben, zu den Freunden des Herrn Kp.
gehören.

National-Zeitung: Aber direkt leichtsinnig ist

es von Herrn Walden gewesen, eine solche

Musik dazu zu machen. st.

* *

*

Künstlerischen Menschen aber kann ich nur
empfehlen, sich die Pantomime mit meiner über-
geschnappten, mißtönigen, gequälten, unerträg-
lichen, allerliebsten, charakterisierenden, kindlich-
naiven, nach Effekten haschenden, rohen, selt-
samen, dilettantischen, nrwüchsig-kindlichen, un-
angenehmen, mißverstandenen, aufdringlichen und
schwulstigen Musik anzuhören. Sie werden das
debacle der Berliner Kritik nebenbei feststellen

können. H. W.

*

* *

Buffon zog zum Schreiben Manschetten an:
„Dieser Luxus ist ein Symbol.“ Die Herren Re-
zensenten der Berliner Presse haben sich in die
Hände gespeit, als sie sich hinlümmelten, um ihr
kritisches Urteil an „den vjer Toten der Fianetta“
zu vollstrecken. Sie haben ihre Gasse, in die sich
Herwarth Walden gewagt hat, zum Gemeinplatz
aller Niedertracht erweitert. Sie haben sich, aus
lauter Lust, Rache an einem üben zu können,
der sie verachtet und verspottet, in die
schmutzigste Gosse der Verleumdung gesttirzt, sie
haben sich wie Schweine in ihr gewälzt und die
reine Wahrheit mit zehnmal so viel Schmutz be-
worfen, als auf sie selbst zurückfallen konnte.

Sie haben sich zusammengerottet, vielleicht
zwei Dutzend tapfere Männer, um einen einzelnen
nieder zu hauen, weil er, ihre winkligen Wege
furchtlos kreuzend, auf grader Straße der Zukunft
zustrebt. Fiir sie war die Musik, die Herwarth
Walden zu einer Pantomime geschrieben hat, die
Aufforderung zum Veitstanz der Vergeltung. Die,
einem Fehdehandschuh nachgeworfene Hand, deren
Finger zu klopfen sie seit Jahr und Tag nicht
erwarten konnten. Für sie ist die Musik zu der
Pantomime nicht das Werk eines bedeutenden,
ernsten Künstlers, sondern nur der törichte Ver-
such des Kritikers Walden, als Komponist die
Anerkennung des „breiten“ Publikums zu suchen.

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