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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 67 (Juli 1911)
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Döblin, Alfred: [Rezension von: William Wauer - Herwarth Walden, Pantomime. Die vier Toten der Fiametta]
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gentlichen Grundriss des Stückes deutlichst klar
hin Sie zeichnet ihn so klar hin, dass nur
Taube und Musikkritiker daran vorüber tappen
können. Was bei Waldens Musik auch dem un-
willigsten Zuhörer auffallen muss, ist die Trans-
parenz des musikalischen Gewebes; man verglei-
che einmal seine Sicherheit den musikalischen
Kern zu fassen mit der des Dr. Strauss, als wel-
cher tausendmal schlankweg oben auf hängen
bleibt und lustig drauf los „komponiert“, drun-
ter durch „komponiert“. — Hier tritt das Le-
benslust- und Karnevalsmotiv von vornherein
allesbeherrschend in den Vordergrund; gegen
das Zom- und Eifersuchtsmotiv bettelt das Mo-
tiv einer verlogenen Unschuld an; resolut wirft
sich aber Fiametta den drei Harlekinen an den
Hals, — hinter der Siziliana, von dem Eifer-
suchtsmotiv gestossen erhebt sich ein Todesmo-
tiv mit seinem Schrecknis; dann ringen die drei
Karnevalsmotiv, Eifersuchtsmotiv, Todesmotiv;
das Karnevalsmotiv will durch; da tritt der ret-
tende Lastträger, der betrunkene, ein: wie das
Schicksal, das in Zufällen sich ergeht, schreitet
sein Thema. Ein kurzer Kampf; der Lastträger
hat seine Aufgabe ausgeführt; über das Todes-
motiv weg tobt der Karneval, singt Fiametta. •—
Ausserordentlich ist die Schärfe der Themata;
wie im Sprunge ist der jeweiligen Bewegung
ihr musikalisches Signum abgerissen. Es erfüllt
sich musikalisch: das Trivial-lascive des Karne-
vals, die Verlogenheit der Unschuld, die Angst
der Eifersucht, der transcendentale Schrecken des
Todes. Die Themata sind ganz plastisch; bei
einigen habe ich den .Eindruck einer psychischen
Demaskierung. Sie sind ganz und garnicht ge-
sucht; wolien weder in Harmonik noch in me-
loclischer Führung aus dem Rahmen bisheriger
Musik fallen. Nur die tiefe Ehrlichkeit der In-
vention, das absolut Prunklose rückt sie ab von
den meisten gegenwärtigen Musikprodukten. —
Die dramatische Musik liegt Walden besonders.
Seine Musik hat Zug, Fluss, Temperament; ich
habe nicht eine tote Stelle gefunden. Sie hält
sich völlig fern von den Lückenbüssem der
Tonmalerei, des Programmatischen; jede Orna-
mentik lehnt sie ab. Sie bleibt streng musika-
lisch auf der Linie der wirklich wesentlichen
Handlung; in diesem Sinne eigentlich dramati-
sche Musik.

Ein Hauptzug der Pantomimen-Musik ist
die Rhythmik. Es musste ein Hauptzug sein
diese Gliederung der Bewegung, die identisch
ist in dem materiellen Ablauf und der Musik;
die Rhythmik musste für die Einzelausführung
als die gemdnsame Wurzel in Musik und Hand-
lung erkannt werden. William Wauer, der Re-
gisseur, erfasste mit nicht zu übertreffender Si-
cherheit diesen Punkt. Er liess die Pantomime
aus der Musik herauswachsen; ich wüsste keinen
Regisseur, der mit so feinem Instinkt den Stil
des Stücks herausgehoben, besser geschaffen hätte.
Im Einzelnen stellt sich der genetische Zusam-
menhang zwischen Musik, ursprünglichem Sze-
narium, Pantomime wie folgt: Walden schrieb
seine Musik nach dem ihm übergebenen Hand-
lungsszenarium, einem blossen Gerüst, einem
Stoff, einem guten Stoff; seine Musik sah jede
Bewegung voraus; es war Sache des Regisseurs
oder Pantomimendichters, der Musik dies abzu-
hören und das Gehörte plastisch, optisch zu ge-
stalten. Es ist Wauer bis auf Reste glänzend ge-
lungen. Seine eigene Charakteristik des Schnei-
ders, die des Lastträgers (Guido Herzfeld) hebe
ich besonders hervor. — Als einen Nachteil der
Aufführung empfand ich die Benutzung des Kla-
viers; es ist einer differenzierenden Musik nicht

gewachsen; das Theater verträgt eine derartig
gleichbleibende Tonqualität nicht. Mögen spä-
tere Aufftihrungen der Pantomime eine Orche-
strierung geben, die das Pathos dieses starken
Werkes zu ganzer Erscheinung bringen.

Uraufführung am Kleinen Theater zu Berlin

Noch einige Töne

Seit Erscheinen der Nummer 66 dieser Wo-
chenschrift haben sich noch einige „Musikkriti-
ker“ über meine Pantomime geäussert. Auch sie
sollen der Vollständigkeit halber hier veröffent-
licht werden.

Freisinnige Zeitung: Es scheint,
als wenn das Mimodrama, um dessen Wieder-
belebung man sich seit einiger Zeit ebenso ei-
frig wie erfolglos bemiiht, ohne umfangreichen
Mord und Totschlag nicht auskommen könnte.
. . . Leider, oder soll man sagen glücklicher-
weise, hat der Autor es nicht verstanden, diese
Konjunktur auszunutzen. Er operierte mit den
vier Toten derartig, dass das Publikum nicht
erschauerte, sondern in Lachen ausbrach, und
dass sich der Vorhang iiber einem ungewollten
Heiterkeitssturm senkte. Das hinderte selbstver-
ständlich einen Teil der Zuschauer nicht, heftig
zu klatschen und alles was an der Pantomime
mitschuldig war, an die Rampe zu zitieren, dar-
unter auch Herrn Herwarth Walden, dessen
ebenso kindliche wie prätenziöse Musik nicht we-
nig zu clem Lacherfolge beigetragen hatte. rit.

Die Behauptung, von dem Heiterkeitssturm
und dem Lacherfolg ist glatt erlogen. Wenn ein
Musikrelerent schon von Musik nichts versteht,
sollte er es doch wenigstens unterlassen, tatsäch-
liche Vorgänge gefälscht zu berichten. Im Ue-
brigen empfehle ich Herrn rit sich im Konver-
sationslexikon Aufklärung über die Begriffe
Tragikomödie und Groteske zu verschaffen.

Deufscher Reichsanzeiger: Zu
dieser Pantomime hat Herwarth Walden eine
Musik geschrieben, die in ihrer Geschraubtheit
und mit ihrer Sucht nach modernen Klangschat-
tierungen recht wenig mit diesem kräftig zu-
packenden alten Märchenstoff im Einklang steht.
Dafür ereiferten sich die Gemüter um so stürmi-
scher, ob Herrn Wauer, der den rachsüchtigen
Schneider spielte, oder Herrn Walden für seine
Musik mehr Anerkennung gebühre. Guido Herz-
feld spielte den Bettler mit drastischer Komik,
Rosa Valetti mimte die liebelüsterne Schneiders-
frau keck und gewandt.

Deutsche Nachrichten: . . . Mit
„Musik“ von . . . einem ders lieber hätte las-
sen sollen. Alf.

Tägliche Rundschau: . . . Wobei
die Missvergnügten ihren Ingrimm besonders ge-
gen die Musik des Herrn Herwarth Waiden rich-
teten, der aber trotzdem von eifrigen Freunden
gerufen wurde.

Das nenr.t die Tägliche Rundschau Musik-
kritik.

Neue PreussischeKreuzzeitung:
Noch unglaublicher aber ist es, dass die Zu-
schauer einem so frivolen Scherz wie der Panto-
mime Die Vier Toten der Fiametta, um dessen
Autorschaft, wie man hört, ein Streit entbrannt
ist, und zu dem auf besagtem Klavier Geräu-
sche vollführt wurden, die man beim besten Wil-
len nicht als Musik bezeichnen kann, noch Bei-
fali spenclet. M. B. P.

G e r m a n i a : Ach, richtig, eine auf dem
Primabühnenflügel (Bechstein) heruntergeholzte
Musik, die in ihrer inneren Schönheit wohl auch

nur der Komponist Herwarth Walden würdigen
kann. Möge ihm Kraft und Gesundheit im rei-
chen Masse verliehen sein, auf dass er uns noch
weiter mit solchen Universal-Schweisstreibemitteln
erfreue. E. K.

Soll geschehen.

Hamburger Fremdenblatt: Auf-
dringliche, durchaus talentlose Musik, die „mo-
ciern“ klingen soll, aber nichts anderes ist, als
eine gesuchte Folge von Misstönigkeiten. Für
ein gesundes Ohr eine Qual von unerträglicher
Pein. Es ist eigentlich unbegreiflich, dass ein
Mann von Geschmack und auch Geschick, wie
es William Wauer zweifellos ist, etwas derarti-
ges überhaupt einem Publikum vorzuführen zu
können glaubt. J. C. Lusztig.

Das ist die dritte Besprechung des tapferen
Hauptmanns mit dem gesunden normal gebilde-
ten Ohr.

Frankfurter Zeitung: . . . Und
der alte Stoff iat prächtige Wirkung, zumal Fräu-
leine Valetti clie Fiametta mit Temperament und
Ausdrucksfähigkeit darzustellen wusste. E. H.

Der Verfasser der Kritik, Herr Ernst ITeil-
born, Herausgeber des Literarischen Echos, kann
mich offenbar ebensowenig leiden, wie sein ta-
lentloserer Vorgänger Herr Josef Ettlinger. Herr
Ettlinger machte sich das Vergnügen, die Zeit-
schriften, mit denen ich zu tun hatte, erst dann
in seinem „objektiv aufzählenden“ Blatt zu zi-
tieren, wenn ich mit diesen Zeitschriften nichts
mehr zu tun hatte, und sie infolgedessen schlech-
ter geworden waren. Herr Heilborn bringt es
fertig, über die Pantomime zu berichten, ohne
auch nur die Tatsache zu erwähnen, dass eine
Musik dazu gehört. Immerhin hat er sich auf
diesc Weise eine Blamage erspart. Begriffen hätte
er sie sicher nicht. Beim Tode Samuel Lublins-
kis leistete er sich folgende Sätze: „Ein Mann
ist gestorben, der Zeit seines Lebens ein Fremd-
ling geblieben (ist aus poetischen Gründen aus-
gelassen): Samuel Lublinski. Ein vierschrötiger
Gesell, in dem eine sehr zarte, höchst verletz-
bare Seele wohnte, eine äusserlich unkultivierte
Erscheinung, ganz erfüllt von dem brennenden
Verlangen nach grosser Kultur. Wenigstens ist
er mir so erschienen, wenn er mir, was wohl
des öfteren zutraf, in meinem Zimmer gegenüber-
sass, ein beinahe unheimlicher Gast, von der
Zofe argwöhnisch eingelassen.“ Herr Heilborn
hat eine Zofe. Das ist so ungeheuer poetisch,
dass es nur von den fehlenden ist überboten
werden kann. Und dieser Autor, von dessen
Sensibilität die Zofe zeugt, besitzt nicht einmal
die Fähigkeit, eine äussere Erscheinung zu se-
hen. Das Kennzeichen des Journalisten: Aeus-
sere Eindrücke falsch wiederzugeben, und inne-
re nicht zu besitzen. Wer in der äusserlich ab-
solut korrekt bürgerlichen Erscheinung meines
Freundes Lublinski einen vierschrötigen Gesellen
erblicken konnte, vor der gar eine Zofe argwöh-
nisch zurückschrickt, der muss soviel Poesie im
Leibe haben, wie seiner Psyche an Geschmack
fehlt. Von Takt garnicht zu reden. Man wird
mir nachfühlen können, wie glücklich ich bin,
dass mir die Taktlosigkeit der Musikbesprechung
dieses Herrn Heilborn auch nur im Echo ver-
sagt blieb.

*

Sollte ich irgend eine bisher erschiene Kri-
tik nicht zitiert haben, so kann ich dem Leser
die Versicherung geben, dass sie mindestens eben-
so ungünstig und albern ausgefallen ist. Man
hat mich absolut so „vernichtet“, dass ich auflebe.
Die Einmütigkeit imponiert mir. Sie halten fest

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